Noch deckt Deutschland seinen Bedarf an medizinischem Cannabis ausschließlich durch Importe. Doch ab 2019 sollen im Inland produzierte Sorten bereit stehen. Die zum Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gehörende Cannabisagentur hat bis 2022 rund 6600 Kilogramm ausgeschrieben. Internationale Cannabisproduzenten konkurrieren auf diesem neuen Markt. Abcann Germany will in Deutschland produzieren. Die Ausschreibung läuft noch bis Ende des Jahres, dann steht fest ob Abcann Germany den Zuschlag für den Anbau erhält, sollte dies so sein wird in der Lausitz investiert.
John Hoff, Geschäftsführer der ABcann Germany GmbH, sieht in Deutschland eine enorme Nachfragesteigerung – sowohl bei Cannabis-Patienten, die bislang unzureichend versorgt wurden, als auch durch weitere Indikationsgebiete für den Einsatz der Wirkstoffe. Seit der im März 2017 in Kraft getretenen Änderung des Betäubungsmittelgesetzes ist medizinisches Cannabis in Deutschland verschreibungs- und erstattungsfähig. Darum erschließt sich Abcann Germany nun den deutschen und europäischen Markt und will hier produzieren. Die Neugründung und ihr kanadisches Mutterunternehmen ABcann Medicinals Inc aus Napanee, Ontario, nutzen die Expertise ihres medizinischen Beirats, zu dem der Vater der internationalen Cannabisforschung, Professor Raphael Mechoulam von der Hebrew University of Jerusalem, sowie der Onkologe Donald Abrams, Professor für klinische Medizin an der University of California, San Francisco, zählen. In Kalifornien und in Israel ist der Gebrauch von Medizinalcannabis bereits seit Mitte der Neunzigerjahre legal, sodass dort entsprechende Studien und Erfahrungen vorliegen. Sie beziehen sich etwa auf die Behandlung von Krebssymptomen, das Substituieren von Krebs- und Schmerzmedikamenten, die unerwünschte Nebenwirkungen haben, sowie auf Epilepsie bei Kindern. ABcann-Beirätin Eva Milz, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Berlin, hält eine bessere Verfügbarkeit des standardisierten medizinischen Produkts Cannabis für dringend erforderlich, um auch Patienten in Deutschland eine individuelle und indikationsgerechte Behandlung zu ermöglichen. ABcann Germany unterstützt die Erforschung weiterer Einsatzgebiete, beispielsweise des Tourette-Syndroms und ADHS.
ABcann Germany hat sich für die Lausitz (Land Brandenburg) als Produktionsstandort entschieden. Das Investitionsvolumen für die neue Anlage beziffert Hoff mit rund 40 Millionen Euro. Unter anderem, um den Pflanzenanbau auf höchstem Effizienzniveau zu betreiben, sind Forschungskooperationen mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg vorgesehen. Darüber hinaus treibt ABCann seine strategische Zusammenarbeit mit dem israelischen Technologieunternehmen Syqe voran, das weltweit das erste Patent auf einen Inhalator für Medizinalcannabis hält. „Er erlaubt das passende Cannabinoidprofil je Indikation und die jeweils korrekte Dosierung“, erläutert John Hoff. „Solche Lösungen sind entscheidend für die Akzeptanz bei den Ärzten und eine zielführende Behandlung.“. Derzeit befindet sich der Prozess in der Ausschreibung, Firmen können sich bewerben
John Hoff, CEO von Abcann Germany, über Standortargumente und Perspektiven der Cannabisproduktion in Deutschland.
Worin sehen Sie die größten Marktchancen und -risiken?
Eine große Chance ist, dass der Markt bereits existiert. Es handelt sich um einen Übertrag: Die Patienten wechseln von der Selbstmedikation zum verordneten Medikament. Dies bedeutet zugleich, dass nicht zuletzt in der Fachwelt das Stigma, das mit Cannabis verbunden ist, überwunden werden muss. Unsere Informationsveranstaltungen für Ärzte und klinische Studien werden Effekte zeigen. Diese Aufklärung ist allerdings Kärrnerarbeit. Der Bedarf auf Patientenseite ist groß. Darum habe ich meine Zweifel, ob die Mengenbeschränkung, die die Cannabisagentur für ihre erste Ausschreibung formuliert hat, gerechtfertigt ist. Ein Marktrisiko sehe ich im Übrigen in der Entwicklung patentierbarer Wirkstoffe durch die Pharmaindustrie, die Medizinalcannabis überflüssig machen sollen.
Was hat den Ausschlag für Ihren künftigen Standort in der Lausitz im Land Brandenburg gegeben?
Um den europäischen Markt zu bedienen, kamen auch EU-Länder wie die Niederlande, Tschechien oder Portugal in Betracht. Für Deutschland, speziell für die Lausitz, sprachen eine günstige Wirtschaftsförderung von Landes- und kommunaler Seite, das Renommee des Qualitätsstandorts Deutschland sowie die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte. Je nach Auslastung wird unsere Investition 150 bis 300 Arbeitsplätze schaffen, darunter für Biologen, Chemiker, Informatiker und Pharmazeuten. Unsere Kooperation mit deutschen Hochschulen, insbesondere mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, dient der Rekrutierung von Akademikern und der Entwicklung von Forschungsprojekten.
Welche Erfahrungen aus Kanada können Sie auf Deutschland übertragen?
Kanada zählt zu den sehr wenigen Lieferländern, die Medizinalcannabis rechtskonform nach Deutschland importieren können. Unser produktionstechnisches Know-how stellt selbstverständlich einen Vorteil auf dem deutschen Markt dar. Hochentwickelte Wachstumskammern erlauben es, alle Parameter der Natur nachzubilden, zu kontrollieren und ein standardisiertes medizinisches Produkt gedeihen zu lassen. Vertriebswege, die im angelsächsischen Bereich möglich sind, etwa direkt vom Hersteller zum Patienten, funktionieren hingegen in Deutschland nicht. Dafür gibt es die Apotheken, deren Leistung auch in die Preisgestaltung für Medizinalcannabis eingeht.
Hintergrund: ABcann Germany GmbH
ABcann Germany mit Sitz in Schönefeld, Brandenburg, ist die deutsche Niederlassung des kanadischen Mutterunternehmens ABcann Medicinals Inc. mit Sitz in Napanee, Ontario, Kanada. Das Unternehmen baut seit 2014 in Kanada Cannabispflanzen für medizinische Zwecke an. Da die Inhaltsstoffe der Cannabispflanze unter natürlichen Wachstumsbedingungen starken Schwankungen unterworfen sind, hat ABcann in enger Zusammenarbeit mit renommierten Wissenschaftlern ein eigenes Anbauverfahren entwickelt, das die Standardisierung von Inhaltsstoffen gewährleistet. ABcann setzt dabei auf den computergestützten Indoor-Anbau in geschlossenen Systemen. ABcann Germany bewirbt sich derzeit im Verfahren der Cannabisagentur um eine Anbaulizenz für Deutschland. Das Unternehmen plant in Deutschland den Bau und Betrieb einer Anlage zum Anbau von medizinischem Cannabis. Bis der Bedarf an Medizinalcannabis durch hiesigen Anbau gedeckt werden kann, muss auf Importe aus Kanada und den Niederlanden zurückgegriffen werden. ABcann bewirbt sich auch hier um eine Importlizenz.
pm/red
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