Als William Shakespeare vor über vierhundert Jahren seine 154 Sonette verfasste, konnte er kaum ahnen, welch zeitlose Kraft sie noch Jahrhunderte später entfalten würden. Gedichte von Liebe und Leidenschaft, von Schönheit und Vergänglichkeit, von Eifersucht, Sehnsucht und dem unaufhaltsamen Lauf der Zeit – sie sind Spiegel der menschlichen Existenz und zugleich Spiegel ihrer Epoche.
Lausitz Festival eröffnet
Schon in Sonett 18 erhebt Shakespeare die Frage, ob die Schönheit eines geliebten Menschen nicht weit über die des Sommers hinausgehe: „Soll ich dich einem Sommertage vergleichen? / Du bist lieblicher und gelassener.“ Ein Bild von solcher Schlichtheit und Tiefe, dass es sich bis heute ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Es ist der Wunsch, das Flüchtige festzuhalten – eine Sehnsucht, die auch die Gegenwart kennt, in der wir Momente auf Bildern und in digitalen Erinnerungen konservieren. Doch Shakespeare war sich stets bewusst, dass Schönheit vergänglich ist. In Sonett 60 heißt es: „Wie Wellen eilen, sich ans Ufer zu verlieren, / so jagen unsere Minuten ihrem Ende zu.“ Die Metapher der Wellen, die unaufhaltsam ans Ufer schlagen, verdichtet das Wissen um die Kürze des Lebens – ein Gedanke, der heute, in einer beschleunigten Welt von permanenter Selbstoptimierung, aktueller klingt denn je. Neben Liebe und Zeit verarbeitete Shakespeare auch gesellschaftliche Missstände.
Sonett 66 klingt wie ein Aufschrei gegen Korruption und Verdrehung von Werten: „Müd’ all der Qual, ruf’ ich nach Ruhe hier: / Vom Bettlerstand, der Gunst genießt beim Reichen, / vom leeren Prunk, vom Amt in Narrenhand, / von blindem Urteil, das das Recht zertritt…“ Ein Echo, das auch in der heutigen Welt von bedrückender Aktualität bleibt. Und immer wieder ist da die Kunst selbst, die Trost spendet. In Sonett 55 verspricht Shakespeare, dass Dichtung stärker sei als Stein und Marmor: „Nicht Marmor, noch der Fürsten stolze Grabmal’, / wird dieses kraftvolle Gedicht überdauern.“ Eine Überzeugung, die Worte überdauern lässt – und Menschen Unsterblichkeit verleiht. Gerade in einer Zeit der Schnelllebigkeit klingt diese Botschaft wohltuend wie ein Versprechen.
Poesie im Maschinenraum – Die „Sonettfabrik“
Im Rahmen des 6. Lausitz-Festivals verwandelt sich die älteste noch voll funktionsfähige Brikettfabrik der Welt – die Louise in Domsdorf – in eine Bühne von einzigartiger Atmosphäre. Unter der Regie von Michael Sturminger begegnen Shakespeares Sonette den gewaltigen Kolossen einer längst vergangenen Industriezeit. Der Abend beginnt in der großen Kraftwerkshalle mit ihren Stucksäulen und der monumentalen alten Maschine. Im zweiten Teil werden die Gäste in kleinen Gruppen von einem Guide durch das Gelände geführt – vorbei an acht Stationen, die gleichsam poetische Inseln inmitten der technischen Relikte bilden. Der gebürtige Wiener Sturminger und sein junges Schauspielensemble schaffen den Spagat zwischen uralten Texten und heutiger Erfahrungswelt. Mit ausdrucksstarker Körperlichkeit, präziser Sprache und farbenfrohen, zeitgenössischen Kostümen – wie frisch aus Berliner Mode-Labels – holen sie die Sonette in die Gegenwart. Die Transformation gelingt: Shakespeare spricht hier nicht aus dem Elfenbeinturm, sondern mitten in unsere Zeit.
Festivalauftakt mit literarischem Zauber
Zur Eröffnung begrüßten Festivalintendant Daniel Kühnel und Geschäftsführerin Maria Schulz das Publikum. Grußworte sprachen Kathrin Schneider, Chefin der Staatskanzlei des Landes Brandenburg, sowie weitere Vertreter aus Politik und Kultur. Das Lausitz-Festival hat sich längst als Bühne für Hochkultur in besonderen Räumen etabliert. Mit Shakespeare verbindet es eine besondere Tradition: Ob „Kaufmann von Venedig“ in der Telux Glashütte, „Othello“ als immersives Theater oder nun die „Sonettfabrik“ – immer wieder werden seine Werke in industriellen Kathedralen der Lausitz neu befragt. Die Frage, wie sich die zarte Logik von Liebesgedichten mit den stählernen Monumenten der Technik verträgt, bleibt reizvoll. Doch gerade dieser Gegensatz verleiht der Aufführung ihre Spannung: Hier begegnen sich die Fragilität menschlicher Gefühle und die scheinbar unzerstörbare Schwere der Maschinenwelt – und es zeigt sich, dass Poesie selbst in den rauesten Hallen Resonanz findet.
Fazit
Die „Sonettfabrik“ ist mehr als eine Theaterinszenierung. Sie ist eine poetische Wanderung durch ein Industriemuseum, eine Begegnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Wort und Werkstoff, zwischen Schönheit und Vergänglichkeit. Shakespeares Sonette sind dabei nicht bloß Relikte einer alten Literaturgeschichte, sondern Spiegel unserer eigenen Fragen: nach Liebe, nach Zeit, nach Gerechtigkeit und nach der Möglichkeit, im Wort einen Hauch von Ewigkeit zu finden.
Weitere Aufführungen: 25. August 2025 19 Uhr, 6. September 2025 19 Uhr, September 2025 19 Uhr
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Text & Bilder: Sven Krüger