Die drei Männer bringt so leicht nichts mehr aus der Ruhe. Mit „Judahej“, einer sorbischen Folkloregruppe, reisten sie in der Vorwendezeit durch Ost und West. Sie erlebten Trinkwasserknappheit in Bulgarien und wussten sich mit Rotwein zu behelfen. Sie wurden in Libyen genau deswegen festgesetzt, sie nächtigten in Norddeutschland mit 50 weiteren Festivalteilnehmern auf einem Heuboden oder fuhren mit praktisch nicht vorhandenen Bremsen in einem Barkass B1000 zu einem Auftritt. Im Westen vergaßen sie beim Tanken das Öl für den Zweitaktmotor umzurühren und blieben qualmend liegen.
Wenn die Drei bei Proben zusammenkommen, fällt immer mal das Stichwort für das eine oder andere Erlebnis, das sie in den Jahrzehnten hatten. So etwas schweißt zusammen. Die Männer verstehen sich meist wortlos. Trifft einer mal die falschen Töne, egal ob beim Musizieren oder Diskutieren, reicht ein Blick. Und irgendein nächster Auftritt wartet immer auf die Männer, die sich seit zwei Jahrzehnten „Drjewjanki“ nennen, nach dem wendischen Wort für Holzpantoffeln. Mit diesem traditionellen Schuhwerk der Spreewälder symbolisieren sie, dass sie mit ihrer Musik auf festem Boden stehen und die Ursprünglichkeit des Volksgesanges zeigen wollen. Bei aller Professionalität und auch Entspanntheit nehmen sie jede Aufgabe ernst und bereiten sich gründlich vor. Sie proben immer mal wieder neue Lieder, die vom Leben der Menschen in der sorbischen Lausitz handeln. Sie singen oft zweisprachig, Niedersorbisch und Deutsch, ihre Texte zeigen viel Lokalkolorit („Frauen aus Schmogrow“) und berichten über das Leben der Menschen in der Niederlausitz früher und heute. Die Drei haben ganz unterschiedliche Biografien, die Musik spielte aber bei jedem schon frühzeitig eine Rolle – und irgendwann sollten sich ihre Lebenslinien kreuzen.
Drei finden sich
Der Älteste von ihnen, Gerhard Paucker, wurde 1948 in Schönhöhe am Großsee geboren. Vater Heinrich war Neulehrer und unterrichtete von der 1. bis zur 8. Klasse eigentlich alles, besonders gern aber Musik. Das übertrug sich auf den kleinen Gerhard, der schon mit zehn Jahren am Klavier saß. Später, an der sorbischen Oberschule, war er im Chor und spielte sich bei den „Taifuns“ in wilde Rockerzeiten. Diese währten allerdings nur kurz, denn die Band wurde unter Ulbricht, der etwas gegen das „Yäh, yäh…“ hatte, verboten. In Zwickau studierte Paucker Musik und Deutsch: „Wer Paucker heißt, musste Pauker werden. Mehr noch: Als Musiker wollte ich auf die Pauke hauen“, blickt er auf seine Studienjahre zurück. Das mit der Pauke hatte sich bald erledigt: „Ich sollte mit diesem Instrument zu einem 1. Mai-Auftritt kommen, kam damit aber nicht in den Bus hinein. Notgedrungen fuhr ich es mit der Schubkarre zum vier Kilometer entferntem Bahnhof.“ Paucker wollte dann eigentlich nur noch Piccoloflöte spielen, besann sich dann aber doch noch auf einigermaßen transportablere Instrumente, wie Dudelsack oder die Kontrabassbalalaika: „Die passte zentimetergenau in den Trabi!“ Nach dem Studium verschlug es den Junglehrer nach Burg in den Spreewald. Dort leitete er 17 Jahre den Gesangsverein „Concordia“, ging zu der sorbischen Folkloregruppe „Judahej“ und war oft als Alleinunterhalter in den FDGB-Ferienheimen im Spreewald unterwegs. Die Tourneen waren schwer zu bestreiten, denn für den Lehrer gab es selten Freistellungen vom Unterricht, erst recht nicht, wenn es auf Westreise gehen sollte. Da sprang manchmal Vater Heinrich ein, er übernahm kurzerhand die Stunden seines Sohnes. Inzwischen ist das Reisen kein Problem mehr, Gerhard Paucker ist Rentner. Bei den „Drjewjankis“ spielt er den Kozol, (sorbischer Dudelsack-Bock), die Panflöte, die Schäferpfeife (deutscher Dudelsack) und übernimmt den Gesang.
Walter Könitz wurde 1951 in Mühlberg/Elbe geboren. Vater Werner war Schlosser in einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, der Sohn erlernte ebenfalls diesen Beruf, gleich mit Abitur. Sein Studienwunsch Musik/Germanistik wurde ihm verwehrt, da er seinerseits drei Jahre Volksarmee ablehnte. „Ich habe dann im Rahmen eines FDJ-Aufgebotes in der Volkswerft Stralsund Schiffe ausgebeult, bin aber dann wieder nach Mühlberg gegangen, um meiner musikalischen Neigung nachgehen zu können“, erinnert sich Könitz. Dort wurde im Rahmen der Parteiinitiative „Kultur aufs Land“ ein Ensembleleiter für den Dorfclub gesucht. Walter Könitz kniete sich in die Arbeit, er feierte mit Chor und Kabarett Erfolge bei Bezirksleistungsvergleichen und wurde für seine gute Arbeit ins Cottbuser Konservatorium delegiert, wo er endlich seine musikalische Ausbildung vervollkommnen konnte. Nach einem weiteren Studienjahr in Dresden konnte er den begehrten Berufsausweis als Sänger in den Händen halten – die Grundlage dafür, als „Freischaffender Künstler“ tätig werden zu dürfen. Auch er traf um 1980 auf „Judahej“ und blieb der Gruppe Jahrzehnte treu. Heute arbeitet er bei der Volkssolidarität im Spree-Neiße-Kreis als Musikerzieher. Bei den „Drjewjankis“ spielt der stämmige Mann die große Kontrabassbalalaika, beide bilden schon rein optisch eine gelungene Einheit. Er greift auch zu Mandoline und Gitarre, und er singt.
Jens-Hagen Pietsch ist der jüngere der „Drjewjankis“. Er wurde 1953 in Groß-Kölzig, bei Döbern, geboren. Die Familie zog aber schon ein Jahr später nach Cottbus um. Vater Arnim war als Bauleiter tätig, Mutter Ilse machte die Lohnbuchhaltung. In der 3. Klasse wurde er im Musikunterricht bei Frau Gröschke auffällig. „Ich habe den ‚Meister Nadelöhr‘ so eindrucksvoll vorgesungen, dass die Lehrerin mich zum Besuch der Musikschule drängte“, erinnert sich Pietsch an das Ereignis, das ihn letztlich auch zur Musik brachte. Während seine Kameraden Fußball spielten, zog er mehrmals in der Woche mit der Gitarre zum Unterricht. Später, neben und nach der Lehre als Baufacharbeiter im Tiefbaukombinat Cottbus, trat er im „Konsument-Singeclub“ auf, während des Wehrdienstes auch im Regimentssingeclub der NVA. „Wir hatten dort Patenschaftsbeziehungen zum Berliner ‚Metropol‘. Von dort kam eine ausgezeichnete Unterstützung. Die Theater-Musiker haben uns eine Menge beigebracht, noch heute kann ich von deren Tipps und Anregungen profitieren.“ Jens-Hagen Pietsch arbeitet inzwischen beim Amt Schenkendöbern. Im Wichern-Haus ist er nebenbei noch als Musiktherapeut tätig, nachdem er noch eine entsprechende Qualifizierung abgeschlossen hatte. Bei den „Drjewjankis“ ist er für Gesang, Gitarre, Mandola und Perkussion zuständig.
Die drei Musiker sehen ihre Geburtstage als Programm und Vorsehung zugleich: Gerhard Paucker feiert am Welttheatertag, Walter Könitz hat seinen Ehrentag mit Karl Marx und Jens-Hagen Pietsch begeht diesen am Tag der sorbischen Vogelhochzeit. So sehen sie sich philosophisch, traditionell, mit viel Theater. Als Vollblutunterhalter sind sie neben der wendischen Folklore auch in vielen anderen Genres zu Hause.