Seit 21 Sommern stakte Jutta Pudenz ihren gelben Kahn durch die Spreewald-Fließe und brachte die Post zu den Bewohnern des Dörfchens Lehde, einem Ortsteil von Lübbenau. An diesem 7. Oktober 2011 ist aber alles ein wenig anders: Jutta Pudenz macht zwar alles so wie sonst, nur erwischt sie sich immer wieder bei dem Gedanken, dies zum letzten Mal zu tun. Die saisonale Kahnpostzustellung endet an diesem Tag ohnehin planmäßig, Jutta Pudenz weiß aber, dass sie die nächste Saison nicht mehr die Post im Kahn ausfahren wird. Nach über zehn Jahren im Postkahn –wenn man die Sommerhalbjahre hochrechnet- geht sie noch vor der neuen Zustellsaison in den Vorruhestand. Ruhig und gelassen steuert sie auf Kaupen 1 das Bootshaus für den Postkahn an, nimmt ihre persönlichen Sachen aus dem Kahn und bringt ihr ganz privates Rudel auf das Nachbargrundstück zur Aufbewahrung. „Das hat mir mal ein alter Lehd ‘scher geschenkt, das ist so schön leicht – ein Frauenrudel eben“, erklärt sie noch bevor sie das Bootshaus verschließt und in ihrem Post-Caddy nach Hause fährt. Im Auto gehen die Gedanken der wohl berühmtesten Postzustellerin Deutschlands immer mal wieder zurück, sie erinnert sich: Die Lehd‘scher haben auf ihren Grundstücken zwei Briefkästen: Einen straßenseitigen, für den Winter und einen wasserseitigen, für den Sommer. Jutta Pudenz kann manchmal direkt vom Kahn die Post einwerfen, manchmal muss sie auch den Kahn festmachen und ein paar Schritte gehen. Genau dies hat ihr auch die „Spreewaldtaufe“ eingebracht: Einmal kam plötzlich Sturm auf und trieb den nur leicht befestigten Kahn vom Ufer ab, Jutta Pudenz konnte nur mit einem beherzten Sprung ins Wasser den Kahn noch erreichen. Die Lehd’schen adelten sie dafür zur „echten Spreewälderin“. Nur wer schon mal unfreiwillig Kontakt mit dem Wasser hatte, ist in deren Augen auch ein richtiger Spreewälder.
Die Postfrau ist natürlich eine Attraktion auf den Fließen, denn genau so etwas wollen die Touristen sehen. „Ich weiß nicht, wie viel tausendfach ich schon fotografiert und gefilmt wurde, die Interviews habe ich auch nicht gezählt.“ Jedes Jahr werden Journalisten von der Deutschen Post DHL eingeladen, an Saisoneröffnung der Postzustellung per Kahn teilzunehmen. Jutta Pudenz gibt dann geduldig Auskunft, lächelt in die dutzendfach vorhandenen Kameras und steuert ihren Kahn schon mal vor und zurück, so dass auch immer die gewünschten Aufnahmen entstehen. In der Saison stakt sie etwa 1100 Kilometer durch Lehde, täglich 19 Kilometer, sie beliefert 81 Haushalte mit wöchentlich etwa 600 Briefen und 30 Paketen. Sie ist mit ihrem gelben Kahn auch eine fahrende Filiale, denn sie nimmt Post entgegen oder verkauft Briefmarken. Damit erspart sie so manchem weite oder auch beschwerliche Wege.
Die in Senftenberg Geborene hatte ursprünglich mit dem Spreewald wenig zu tun. Erst familiäre Bindungen führten sie näher an den Spreewald heran, hier fand sie auch bald Arbeit als Postzustellerin, zunächst noch ungelernt, aber schon 1990 holte sie den Facharbeiterabschluss nach. Mit der politischen Wende änderte sich auch für die Post sehr viel, das Brief- und Paketvolumen stieg enorm und die bisher praktizierte Zustellung per Fahrrad stieß an Grenzen. Nun waren Postzusteller mit Fahrerlaubnis gefragt – Jutta hatte aber keine! „Dann können wir Sie nur auf der Lehde-Tour einsetzen, allerdings müssten Sie dann wenigstens Kahn staken lernen“, so ihre damaligen Vorgesetzten. Ehemann Karl-Heinz, ein Fährmann, lehrte sie erfolgreich darin, sie hat zwischenzeitlich sogar den „Fährmannsnachweis“ erbracht, obwohl dies für den Postkahn nicht nötig gewesen wäre: „Wer weiß, was noch kommt! Ich kenne jeden Winkel hier und könnte später durchaus auch mal Touristen durch den Spreewald staken.“
Die Fahrerlaubnis hat sie inzwischen auch abgelegt und fährt im Winterhalbjahr mit dem Auto die Post aus. Bis dahin musste sie bei Wind und Wetter das oft schwer beladene Fahrrad durch Schnee und Matsch nach Lehde schieben. „Aber im Sommer wurde ich dafür entschädigt: Ich bin an der frischen Luft, die schwere Post liegt im Kahn und hier und da ist auch mal Zeit für einen kurzen Plausch am Briefkasten oder mit neugierigen Touristen oder Journalisten.“ Unter den Spreewaldbesuchern war auch einmal Wolfgang Bötsch, der letzte Bundespostminister. Der war von der Kahnpostfrau, von der er bis dahin nichts wusste, so sehr beeindruckt, dass er sie spontan zum Essen in eine Lehder Gaststätte einlud und sich nach ihrer Arbeit erkundigte. Prominenz beeindruckt sie inzwischen allerdings kaum noch, sie hat schon von Matthias Platzeck, damals noch Brandenburger Umweltminister, das Postrudel übergeben bekommen oder machte auch schon mehrmals mit Attila Weidemann den rbb-Wetterbericht aus dem Postkahn. Nicht gerechnet die zahlreichen Sendungen des Rundfunks und der großen Fernsehstationen immer mal wieder aus dem Spreewald, in denen nur selten auf den Postkahn verzichtet wurde. Besonders stolz ist sie aber dann doch noch auf etwas: „Die Deutsche Post hat 2005 eine Briefmarke herausgebracht, mit mir und dem Kahn. Dies ist eine besondere Ehre, denn eigentlich werden auf Briefmarken nur ganz selten noch lebende Personen dargestellt. Mit der Queen und mir hat man da wohl eine Ausnahme gemacht!“
Jutta Pudenz hatte den Kahn stets sicher im Griff und wich geschickt den schweren Touristenkähnen und ungeschickten Paddlern aus. Grüße wechselten oft von Kahn zu Kahn. Den nachfragenden Kahnfahrgästen, ob denn „Post für mich“ dabei sei, gab sie tausendmal die gleiche Antwort: „Nein für Herrn Mich ist nichts dabei!“
Nach der kurzen Autofahrt ist sie zuhause angekommen. Karl-Heinz Pudenz wartet mit dem Kaffee auf sie. Morgen geht es wieder zum Dienst, an jetzt nur noch mit dem Auto. Bis Februar 2012, dann gibt sie auch noch die Zündschlüssel ab.
aus: “Die Spreewälder…”von Peter Becker übernommen und vom Autor aktualisiert