Wie wäre die Welt ohne Christentum? Was wäre das Christentum ohne den Jesus am Kreuz? Was wäre Jesus ohne Judas? Alle diese Fragen scheinen banal und doch gleich schwer wie die Frage nach dem Ursprung von Henne und Ei. Hätte es Judas nicht gegeben, wäre Jesus nicht verraten worden, nicht am Kreuz gestorben. Alle christliche Theologie wäre dahin.
Heißt das nicht aber, dass es immer den einen Menschen braucht, der einen Fehler begeht, damit wir ihn verurteilen können? Der sich versündigt, damit wir wissen, was richtig wäre? Dass es Weiß nur gibt, weil wir wissen, was Schwarz ist? Genau das erklärt uns der Mann, der sich nicht wagt, seinen Namen auszusprechen. Einen Namen, den jede*r kennt, der immer zuzuordnen ist und den heute niemand mehr seinem Neugeborenen geben mag. Lot Vekemans hat mit ihrem fulminanten Monolog keine Kulturgeschichte des Namens vorgelegt, aber tiefschürfende Fragen nach Schuld, nach Wissen, nach Notwendigkeit von Fehlverhalten verhandelt. Sie zeigt in ihrem Text, wie einfach eine Verurteilung ist, wenn wir wissen, auf wen wir mit dem Finger zeigen müssen. Aber was ist mit unseren eigenen Fehlern? Sind wir zu uns selbst so offen, wie es ratsam wäre? Stehen wir alle vielleicht nur deshalb gern offen kritisierend da, weil kein Verrat dem von Judas gleich kommt? Weil er, wie Jesus selbst, eine Grenze überschritten hat, der wir uns gar nicht nähern können?
Foto: Steffen Rasche / Wikipedia CC30
pm/red