Archäologen entdecken eine der größten mittelalterlichen Produktionsstätten Deutschlands.
Eine Besonderheit der Archäologie in Braunkohletagebauen ist die Größe der Grabungsflächen. Die Untersuchung ganzer Dörfern, Siedlungen und Ackerfluren sowie von Werkplätzen und technischen Anlagen auf mehreren hundert Hektar ist in den Tagebauen keine Seltenheit.
Dies führte im Vorfeld des Tagebaus Nochten zur Entdeckung einer fast vergessenen Produktionstechnik aus vorindustrieller Zeit. Im Jahr 2009 wurde hier ein Pechofen eingehend archäologisch untersucht. Die Grabung beschränkte sich jedoch nicht nur auf den Ofen selbst, sondern bezog auch das weitere Umfeld ein. Dabei fielen länglich-rechteckige Gruben auf, die sich im Halbkreis um den Ofen gruppierten.
Die Funktion dieser Gruben blieb lange unklar, bis in einer von ihnen ein kompletter Barren aus Pech gefunden wurde. Durch diesen glücklichen Umstand wurde offenkundig, dass die länglichen Gruben der Aufnahme von Pech gedient haben.
Inzwischen ist es gelungen diese Pechgruben auch in der Nähe weiterer Pechöfen archäologisch nachzuweisen. Und auch ein schriftlicher Beleg aus dem Jahre 1793 von L.H.J. Wiesenhavern über das »Teer oder Pechbrennen« liegt vor:
»… Wenn das Pech durch das Kochen seine gehörige Qualität erhalten, so wird ein länglichtes Viereck etwa 6 bis 8 Zoll tief in den Sand gegraben, und das Pech mit einer kupfernen Kelle aus dem Kessel geschöpft und in solches gegossen, worin es alsdenn so lange bleibt, bis es völlig hart geworden ist, da es denn herausgegraben und an einem kühlen Orte bis zum Verkauf aufbewahret wird …«
Die Forscher stießen auf beeindruckende Überreste von Pechgewinnung, die in ihrer Ausdehnung als eine der größten mittelalterlichen Pechproduktionsstätten Deutschlands bezeichnet werden können. Dabei ermöglichte ein Stück Kiefernholz, das unter dem Abflussrohr des Pechofens gefunden wurde, eine sogenannte dendrochronologische (jahresringbasierte) Datierung auf das Jahr 1324 n. Chr. Eine solch genaue zeitliche Zuordnung in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts ist für einen Pechofen eine absolute Rarität.
Die Verwendung von Pech ist bereits für die mittlere Steinzeit nachgewiesen. Das vom Mittelalter bis in die Neuzeit weit verbreitete Pechsieden hat auch in der Oberlausitz deutliche Spuren im Boden hinterlassen: Reste von Öfen und der charakteristischen, länglichen Pechgruben konnten bereits an verschiedenen Stellen ausgegraben werden. Die aktuell entdeckte Fundstelle zeichnet sich aber nicht nur durch den außerordentlich guten Erhaltungszustand aus, sondern gehört zu den ausgedehntesten ihrer Art in ganz Deutschland. Anhand der freigelegten Befunde lässt sich hier der gesamte Produktionsprozess hervorragend nachvollziehen.
Dr. Wolfgang Ender, stellvertretender Abteilungsleiter im Landesamt für Archäologie, zeigt sich von der mittelalterlichen Pechsiedeanlage begeistert: „Dieser phantastische Befund zeigt einmal mehr, wie wichtig eine gewissenhafte archäologische Erforschung des Tagebauvorfelds ist, damit diese spannenden, bisher unbekannte Zeugen unserer Vergangenheit nicht unbeachtet verschwinden. Wir haben dank der engen Kooperation mit Vattenfall die Möglichkeit, auch eine aufwändige Grabung wie diese fachgerecht durchzuführen.“
Pechsiedereien waren Produktionsstätten, die außerhalb städtischer und dörflicher Siedlungen angelegt wurden. Einerseits war die Brandgefahr zu groß, andererseits wollte man eine unmittelbare Nähe zur Rohstoffquelle Holz. Bei der Teergewinnung im Ofen wird harzhaltiges Holz in einer Kammer gestapelt. Sie besitzt einen trichterförmigen Boden mit einem zentralen Abfluss, der nach außen führt. Die Kammer wird vollständig von einem Heizraum umgeben. Durch die Hitze werden die Baumharze umgewandelt und können als Teer außerhalb des Ofens aufgefangen werden.
Pech, eine zähe braun-schwarze Flüssigkeit, war in der Vor- und Frühgeschichte fast universell einsetzbar: als Schmierstoff, schwarzer Farbstoff, zum Abdichten, als Brennstoff zur Beleuchtung, als Klebefalle beim Vogelfang („Pechvogel“), bei der mittelalterlichen Verteidigung von Festungen, als Folterinstrument („teeren und federn“) oder sogar für medizinische Zwecke. Die negative Besetzung des Wortes ‚Pech‘ stammt erst aus dem Mittelalter und hat ihren Grund wahrscheinlich in der christlichen Vorstellung der Hölle, wo der Teufel sein Feuer mit Pech und Schwefel schürt.
Auf den Vorfeldflächen der Tagebaue Nochten und Reichwalde können Archäologen großflächig zusammenhängende Gebiete erschließen, wie es sonst nur äußerst selten möglich ist. Damit können sie archäologische Strukturen und Befunde in einem größeren Kontext bewerten. Im Bereich des Tagebauvorfelds Nochten werden seit 1993 wichtige neue Erkenntnisse über die Besiedlungsgeschichte von den ersten steinzeitlichen Jägern vor 13.000 Jahren bis zu den spätmittelalterlichen Dorfgründungen gesammelt. Die Grabungen werden durch Vattenfall finanziell getragen.
Quelle: Landesamt für Archäologie Sachsen/Vattenfall
Fotos: Landesamt für Archäologie Sachsen