Manchmal scheint es, als ob die Welt für einen Augenblick innehält, um einem einzigen Ereignis Raum zu schenken. So war es am gestrigen Septemberabend, als die ehrwürdige Dorfkirche Cunewalde, die größte ihrer Art in Deutschland, zur Kathedrale der Klänge und Begegnungen wurde. Zwischen barocken Galerien, unter dem funkelnden Herrnhuter Stern, öffnete sich ein Kosmos, der Mahler, alte chinesische Dichtung, Jazz und Rap in einem schier überirdischen Dialog vereinte.
Das Lausitz Festival brachte mit Gravitations, Das Lied von den Menschen, nicht nur eine Uraufführung, sondern eine künstlerische Offenbarung nach Cunewalde. Gustav Mahlers „Lied von der Erde“, inspiriert von der chinesischen Lyrik der Tang-Zeit, wurde hier nicht einfach interpretiert – es wurde verwandelt, aufgesprengt und neu zusammengesetzt. Der chinesische Kunqu-Meister Zhang Jun hauchte den uralten Gedichten ihre ursprüngliche Sprache zurück, während Haggai Cohen-Milo mit seinem Ensemble die Saiten, Bläser, Trommeln, Trompete, Harfe, Saxofon, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Querflöte, chinesischer Flöten und Stimmen zu einem vibrierenden Netz spannte.
Die Musik entfaltete sich wie Planetenbahnen um ein unsichtbares Gravitationszentrum: Mal leise und zerbrechlich wie ein Flötenhauch, mal kraftvoll und raumfüllend wie der Ruf einer Trompete, die im Kirchenschiff aufleuchtete wie ein goldenes Zeichen. Die Harfe glitzerte wie ein fließender Strom, die Querflöte schwebte zwischen den Emporen, während Bass und Schlagwerk den Boden zum Vibrieren brachten. Plötzlich trat der Rap ins Geschehen, ungestüm, rhythmisch, direkt – und die hölzernen Kirchenbänke verwandelten sich fast in Tanzflächen, als die Zuhörer im Takt mit den Füßen wippten, erinnernd an Massive Attack, die britische Trip-Hop-Band.
Die Begegnung von Kunqu-Gesang, europäischer Klassik, Jazz-Improvisation und Rap war mehr als eine Fusion – sie war ein Dialog über Jahrhunderte und Kontinente hinweg. Als Zhang Juns Stimme sich in der Höhe der Empore mit dem warmen Atem des Saxophons verband, entstand ein Moment von solch tiefer Schönheit, dass man kaum wusste, ob man noch hörte oder bereits träumte.
Die Dorfkirche Cunewalde erwies sich dabei als weit mehr als ein Spielort: Sie war Resonanzkörper, geistige Hülle und Mitwirkende zugleich. Ihre schiere Größe, die Emporen, die in Ringen den Raum umschließen, schufen eine Akustik, die jedes Instrument, jede Stimme nicht nur trug, sondern erstrahlen ließ. In dieser Weite verschmolzen Altar, Kreuz und Klang zu einem Sinnbild der Versöhnung von Kulturen, Zeiten und Stilen.
„Das Lied von den Menschen“ war kein Konzert im üblichen Sinn – es war ein Fest der Menschheit, ein klingender Beweis dafür, dass Musik in der Lage ist, Gegensätze nicht nur nebeneinanderzustellen, sondern sie in einer neuen Ordnung aufgehen zu lassen. Und vielleicht war es gerade Cunewalde, dieser kraftvolle Ort im Herzen der Lausitz, der diese kosmische Verschmelzung möglich machte. Die Trompete war eine Offenbarung!
Als die letzten Töne verklangen, herrschte für eine Sekunde Stille, dann der jubelnde Applaus. Das Publikum erhob sich, begeistert, überwältigt und von Dankbarkeit erfüllt. Man spürte: Hier war nicht nur ein Konzert zu Ende gegangen. Hier hatte ein Lied begonnen – ein Lied von den Menschen, das weiter klingen wird. Ein unwiederbringliches Hörerlebnis der ganz besonderen Art, was man nicht in eins zu eins in Worte übersetzen kann und von daher….
Heute, am Freitag, den 5. September gibt es um 19.30 Uhr eine weitere Vorstellung in Cunewalde und jeder Kilometer der Anreise ist es wert!
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Red. / sok