Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung “Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS” (18/6866)
Ich bin davon überzeugt, dass man einen militärischen Einsatz gegen den sogenannten „IS” – im Folgenden verwende ich den Begriff Daesh – durchaus auch braucht. Das vorgelegte Mandat halte ich aber für nicht zustimmungsfähig.
Die Terroranschläge in Paris galten nicht allein Frankreich, sondern richten sich gegen das liberale Europa, unsere Werte und säkulare, pluralistische Lebensweise. Frankreichs Präsident Hollande hat sich mit der Bitte um Beistand bewusst nicht an die NATO gewandt, sondern an die Solidarität der Europäischen Union appelliert. Wie immer man also entscheidet: man muss reflektieren, was diese Entscheidung für das Deutsch-Französische Verhältnis bedeutet. Es ist daher alles andere als leicht, diesem Mandat nicht zuzustimmen. Wir müssen und werden Frankreich unterstützen – z.B. auch durch unseren Einsatz in Mali. Das steht für mich außer Frage. Der von der Koalition vorgelegte Mandatstext für Syrien enthält jedoch so viele offene Fragen und Unklarheiten, dass ich darin nicht die Unterstützung sehe, auf die es jetzt ankäme. Zudem ist es mehr ein Vergeltungsschlag als eine politische Antwort auf die Gräueltaten des Daesh.
Der Krieg ist in Syrien seit fünf Jahren blutige Wirklichkeit. Deswegen geht es zuvorderst um die Frage, wie dieser Krieg beendet werden kann, um Raum für eine politische Lösung herbeizuführen. Wichtig ist darüber hinaus die Einschränkung der ausländischen Finanzströme und des Ölhandels von Daesh, aber allein damit lässt sich ihr Terror nicht austrocknen. Die bedeutendste Ressource des Daesh ist die unter seiner Kontrolle stehende Bevölkerung und seine Fähigkeit, tausende Dschihadisten aus aller Welt anzuziehen, zu trainieren und in den Kampf zu schicken. Diese Ressourcen wird man nur einschränken können, wenn man Daesh wieder Territorium abringt – wie es im Übrigen z.B. den Peschmerga-Kämpfern im Nordirak gelungen ist Russland hat seit dem 30. September 2015 massiv zugunsten des Assad Regimes in den Konflikt eingegriffen. Dabei trafen seine Angriffe bislang vorwiegend die syrischen Widerstandskämpfer und weniger Daesh. Die Türkei geht gegen Stellungen der Kurden in Syrien vor, die wiederum verstärkt von den USA unterstützt werden. All dies macht deutlich, dass die Allianz der Willigen, die dort jetzt verstärkt eingreifen, kein gemeinsamer Wille eint, sondern sie widersprüchliche Ziele verfolgen. Auch fährt die Bundesverteidigungsministerin einen Zickzackkurs in Bezug auf die Beteiligung der Regierungstruppen von Assad. Weder das Mandat noch die Äußerungen der Bundesregierung legen offen, ob, wie und unter welchen Bedingungen eine militärische Zusammenarbeit mit Russland – das Assads Armee unterstützt – erfolgen soll. Insbesondere offen ist, wer sind die Kooperationspartner als Bodentruppen, wer wen dabei wie stabilisiert und unterstützt? Wer schließt z.B. das Vakuum am Boden, wenn Daesh dort verdrängt wurde? Diese Fragen sind zu relevant und auch zu riskant, als dass ein Mandat sie offen lassen dürfte. Angesichts einer so komplexen Akteurskonstellation braucht es hier Klarheit, bevor die deutschen Truppen entsendet werden.
Zudem ist die völkerrechtliche Grundlage für das Mandat enorm umstritten, auch deswegen stimme ich mit Nein.
Auch die mittelfristigen Ziele und politischen Strategien dieser militärischen Intervention in Syrien sind unklar. Wie soll der Übergang zu einer Post-Assad-Ära gestaltet werden? Wie will die westliche Allianz den Schutz von Minderheiten und die Beteiligung aller relevanten Gruppen an einem politischen Prozess zur Zukunft des Landes sicherstellen? Wie könnte eine Nachkriegsordnung für Syrien aussehen?
Leider hat die Bundesregierung ein extrem verkürztes parlamentarisches Verfahren gewählt, sodass nicht einmal eine angemessene, parlamentarische Beratung über diese Fragen stattfinden konnte. So sehr rasches Handeln nötig ist und so sehr auch die Solidarität mit unseren französischen und insgesamt europäischen Partnern selbstverständlich ist – bevor der Startpunkt für einen womöglich jahrelangen Bundeswehreinsatz gesetzt wird, müssen die Rahmenbedingungen erörtert werden.
Hierzu gehört:
- die Akteure zu benennen, mit denen kooperiert und Informationen ausgetauscht werden und sich auch über diejenigen Akteure klarzuwerden, mit denen ein solcher Austausch nicht erfolgt – hierzu gehört für mich die klare Festlegung darauf, dass mit der Assad-Armee nicht zusammengearbeitet wird,
- eine planvolle, politische Strategie zu bedenken und darzulegen, was z.B. mit erkämpften Gebieten geschieht und wie Arrangements für einen Waffenstillstand vereinbart werden können.
Insgesamt bleiben zu viele entscheidende Fragen offen, das Handeln besitzt keine klare Perspektive und scheint damit auch hilflos. Es braucht dagegen eine langfristige Strategie, in die auch durchaus militärische Einsätze einzubinden sind. Der Wiener Prozess gibt hierfür leichte Hoffnung. Dieser Einsatz ist so wenig planvoll, dass die Gefahr besteht, das Gegenteil zu bewirken, von dem was beabsichtigt ist.
Daher kann ich dem Mandat in dieser Form nicht zustimmen, auch wenn es mich umtreibt, dass wir seit Jahren unserer Schutzverantwortung nicht nachkommen.
Foto: Stefan Kaminski
Quelle: Annalena Baerbock Mitglied des Deutschen Bundestages Sprecherin für Klimapolitik