„Es kotzt mich an. Ihr Kroppzeug!“ – Kuttner bringt Coriolanus nach Forst. Der altehrwürdige Saal des Forster Hofes war bis auf den letzten Platz gefüllt, als Jürgen Kuttner zur Uraufführung seiner neuesten Theaterarbeit lud. Mit „Es kotzt mich an. Ihr Kroppzeug! – Forster Bürger proben den Coriolan“ nahm er sich erneut einer Figur an, die seit Jahrhunderten für Kontroversen sorgt: dem römischen Feldherrn Coriolanus, einer Gestalt zwischen Heldenpathos und antidemokratischer Hybris. Kuttner, bekannt als Radiomann und Theatermacher, verzichtete auf eine lineare Nacherzählung. Stattdessen setzte er auf ein vielschichtiges Mosaik aus Textsplittern, Videoschnipseln, Live-Musik und Chorpassagen. So entstand eine hybride Form zwischen Revue, politischem Essay und lokalem Theaterexperiment. Gerade diese kaleidoskopische Inszenierungsweise macht die Aufführung zu einem vielstimmigen Kommentar über Macht, Demokratie und das gefährliche Charisma autokratischer Anführer. „Es kotzt mich an, ihr Kroppzeug! Forster Bürger proben den Coriolan“, Forster Hof, in Forst/Lausitz, Donnerstag und Freitag (11. und 12.9.2025) jeweils 19 Uhr. Tickets: www.lausitz-festival.
Ein Hauptdarsteller, der glänzt
Im Zentrum: der Berliner Schauspieler Peter René Lüdicke. Er verkörperte Coriolanus als machtbewussten Egomanen mit einer Mischung aus kühler Arroganz und verführerischer Strahlkraft. Mit fast beiläufiger Eleganz ließ er seine Figur zwischen heldenhaftem Selbstbewusstsein und gnadenlosem Größenwahn pendeln. Lüdickes Coriolanus ist kein antiker Krieger, sondern ein moderner Polit-Macho, der in seinem Hochmut die Verachtung für das „Kroppzeug“ Volk kaum verbergen will. Gerade dadurch gelingt es ihm, die Brücke zur Gegenwart zu schlagen – zu all jenen Figuren, die heute populistisch oder autokratisch auftreten und auf die Schwäche demokratischer Systeme setzen.
Puppen als intellektuelle Widerhaken
Einen besonderen Reiz entfalten die Szenen mit Suse Wächter, die als Puppenspielerin historische Geister auf die Bühne holt. Ihre überlebensgroßen Figuren von Brecht, Sigmund Freud und sogar Hitler wirken wie pointierte Kommentare, die das Geschehen ironisch brechen oder philosophisch vertiefen. Wenn Brecht das Publikum an die Notwendigkeit erinnert, Widersprüche auszuhalten, wenn Freud die komplizierten Mutter-Sohn-Dynamiken von Feldherren analysiert oder Hitler mit einem Lied aus „Cabaret“ unheimlich nah an der deutschen Vergangenheit rückt, dann entsteht jene produktive Reibung, die Kuttners Theaterarbeiten auszeichnet. Wächter gelingt es, den Puppen nicht nur Stimme, sondern auch eine beklemmende Präsenz zu verleihen – mal komisch, mal unheimlich, immer pointiert.
Musik als Verstärker
Ebenfalls unverzichtbar: Matthias Trippner am Keyboard. Seine Musik trägt und konterkariert das Bühnengeschehen, oszilliert zwischen melancholischen Tönen und bissigen Schlagern. Wenn Udo Jürgens’ „Gib mir deine Angst“ plötzlich im Raum steht oder das Cabaret-Lied „Der morgige Tag ist mein“ erklingt, verschieben sich die Ebenen von Theater und Wirklichkeit. Trippner versteht es meisterhaft, musikalische Brücken zwischen Antike, 20. Jahrhundert und heutiger Popkultur zu schlagen. Seine Einspielungen wirken nicht wie bloße Zitate, sondern wie Kommentare, die den Coriolanus-Stoff neu kontextualisieren.
Ein Chor als Herzstück
Das eigentliche Zentrum aber bildete der Forster Bürgerchor. Dreizehn Laiendarstellerinnen und -darsteller aus der Region verkörperten die Stimmen des Volkes. Mal im Gleichklang, mal im Widerspruch, wurden sie zu den eigentlichen Gegenspielern Coriolanus’. In ihrer Unfertigkeit lag ein besonderer Reiz: kein professionelles Pathos, sondern das fragile, authentische Ringen einer Gemeinschaft, die im Rhythmus zu einer Stimme finden musste. Es war berührend, zu erleben, wie diese Bürgerinnen und Bürger nicht nur Shakespeare- und Brecht-Texte artikulierten, sondern auch in Dialog mit der lokalen Politik traten. In diesen Momenten wurde aus Literatur lebendige Demokratie.
Ein Theaterabend von bedrückender Aktualität
Kuttner spickte die Aufführung mit Videomaterial – etwa Aufnahmen des „Coriolanus“ von 1964 mit Hilmar Thate oder Szenen, in denen Stalin ins Bild rückt. Gleichzeitig schaffte er direkte Bezüge zur Lausitz und zu den Herausforderungen kommunaler Politik. Wenn am Ende eine Bürgerin den Satz spricht, es werde „keinen Sieger mehr geben, nur noch Besiegte“, hallt er wie eine düstere Diagnose unserer Gegenwart nach. Der Abend war keine einfache Kost. Doch gerade in seiner Mischung aus intellektueller Schärfe, theatralem Spielwitz und regionaler Bodenhaftung entfaltete er eine Wucht, die das Publikum im Forster Hof zu minutenlangem Applaus hinriss.
Mein Fazit
„Es kotzt mich an. Ihr Kroppzeug!“ ist mehr als eine Inszenierung des Coriolanus. Es ist eine kluge, sperrige und zugleich unterhaltsame Auseinandersetzung mit Macht, Demokratie und der Verführbarkeit der Massen. Lüdicke glänzt als moderner Despot, Wächter lässt ihre Puppen als kluge Widerworte sprechen, Trippner verschränkt Geschichte und Pop mit musikalischem Gespür, und der Bürgerchor verleiht dem Abend seine unverwechselbare Stimme. Kuttner hat in Forst ein Stück geschaffen, das weit über die Region hinausstrahlt – ein Theaterexperiment von seltener Aktualität und Kraft. Im Sahl Standing Ovations! Blumen für alle! Sehr zu empfehlen! Fravo Lausitz Festival!
Sok