Am Freitag traf ich mich mit Dr. Jürgen Goldschmidt, dem hauptamtlichen Bürgermeister der Stadt Forst (Lausitz) zu einem Gespräch. In einigen Monaten wird er nach acht Jahren die Amtsgeschäfte einem der drei Bürgermeisterkandidaten übergeben. Ich wollte etwas mehr über den Menschen Jürgen Goldschmidt erfahren, über seine Motivation, vor acht Jahren als Bürgermeister zu kandidieren und natürlich über die Veränderungen in Forst während seiner Amtszeit.
Helmut P. Fleischhauer: Erlauben Sie mir, ganz weit zurückzugehen. Seit wann lebt ihre Familie in Forst?
Jürgen Goldschmidt: Meine Vorfahren stammen aus Magdeburg und die ältesten Einträge darüber stammen aus dem 14. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert kam meine Familie nach Forst, seither ist sie hier ansässig. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, lebe gerne hier und fühle mich mit meiner Heimat eng verbunden.
hpf: Also ein waschechter Forschter …
Sie waren ja bereits kurz nach der Wende in der Forster Verwaltung als Baudezernent tätig, war das der Beginn Ihrer politischen Tätigkeit?
Jürgen Goldschmidt: Am 1.8.1990 begann ich meine Tätigkeit als Bauderzernent und wurde 2. Stellvertretender Bürgermeister. Als der 1. Stellvertreter entlassen wurde, wurde ich 1. Stellvertretender Bürgermeister. Das Amt als Stellvertreter habe ich also über 16 Jahre bekleidet.
Zu dieser Zeit möchte ich aber noch ein paar Hintergründe erläutern, die zu Problemen Jahre später führten.
Die ehemals volkseigenen Wohnungsgesellschaften wurden privatisiert und mussten auch die Schulden übernehmen. Diese Schulden waren in dem geschlossenen Wirtschaftssystem der DDR allerdings buchhalterische Schulden, die bei den ebenfalls volkseigenen Banken zwar als Kredite geführt aber nicht zurückgezahlt werden mussten. Nun waren es auf einmal reale Schulden und die Wohnungsgesellschaften standen vor dem Konkurs. 1994 erkannte die Bundesregierung das Dilemma und erließ diese fiktiven Schulden. Allerdings mit der Auflage der Privatisierung von Wohnungen und der Verpflichtung der Sanierung. Die Wohnungsgesellschaften bauten die Häuser um und verkauften Eigentumswohnungen. Die Eigentumswohnungen wurden für die Käufer mit 7.000 DM an verlorenen Zuschüssen gefördert. Besonders erfolgreich war der Verkauf in der August-Bebel-Straße. Die Sanierung der Mietwohnungen musste ebenfalls über Kredite realisiert werden und verschuldete die Wohnungsgesellschaften erneut. Die Finanzkrise, die Ende 1998 Deutschland erreichte, trieb viele mittelständische Betriebe, die Anfang der Neunziger gegründet wurden, in die Insolvenz und die Arbeitslosigkeit stieg. Viele Forster verließen ihre Heimat und der Leerstand der Wohnungen stieg und trieb die Wohnungsgesellschaften erneut in eine dramatische Schieflage.
Ich wurde im Jahre 2000 als einer von Vielen in die „Kommission zur Weiterentwicklung der besonderen städtebaulichen Zukunft der neuen Länder“ des Bundesbauministeriums berufen in der es darum ging, das Dilemma zu lösen. Das Ergebnis des daraus resultierenden Gesetzes wirkt sich bis heute auf die Stadt Forst aus.
Die Wohnungsgesellschaften erhielten wiederum Fördermittel um sie aus dem finanziellen Dilemma zu befreien, diesmal, um Wohnungen ‘zurückzubauen’, also abzureißen.
Bei Gebäuden, in denen ein hoher Anteil an Eigentumswohnungen vorhanden ist, geht das nicht. Aber die Gebäude um den Marktplatz waren betroffen.
hpf: Nun verstehe ich so Manches. Nun in das Jahr 2006 und der Abwahl von Bürgermeister Reinfeld. Wie sah es zu dem Zeitpunkt aus? Hatten Sie da bereits Ambitionen, Bürgermeister zu werden?
Jürgen Goldschmidt: 2006 war ein besonders schwieriges Jahr. Die Wohnungsgenossenschaft war mit 35 Millionen Schulden und 40% Leerstand im Konkurs, die Stadt Forst stand kurz vor der Zahlungsunfähigkeit und Zwangsverwaltung, der Finanzdezernent war nach dem abgelehnten Haushalt zurückgetreten, der Bürgermeister durch ein Volksbegehren abgewählt und die Arbeitslosigkeit betrug 23%. Ambitionen, mich für das Bürgermeisteramt zu bewerben hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht. Dr. Borisch bat mich zu einem Gespräch. Das war an einem Donnerstag. Irgendwann im Verlaufe des Gespräches sagte ich ‘Ja’.
hpf: Hat er Sie an der Ehre für Forschte zu arbeiten gepackt?
Jürgen Goldschmidt: Ja, so war es.
hpf: Nun sind fast 8 Jahre vergangen, was ist Ihr Resümee? Was ist gelungen, was nicht?
Jürgen Goldschmidt: Der Start war sehr hart, da die Stadt hochverschuldet und in Folge der Konkursverhandlungen der Wohnungsgenossenschaft eine 17 Millionen Euro Bürgschaft übernehmen musste. Voraussetzung für die Genehmigung war unter anderem, dass 340 Wohnungen der ehemaligen Genossenschaft abzureißen sind. Zudem waren die kommunalen Unternehmen wie die Stadtwerke, das Krematorium, das Krankenhaus in einer wirtschaftlich prekären Lage. Die notwendigen Sparmaßnahmen waren natürlich unpopulär. So wurden als ein Beispiel die Mitarbeiter der Stadtverwaltung aufgefordert, auf einen Teil ihres Gehaltes zu verzichten und es erfolgte ein spürbarer Personalabbau. Der Gehaltsverzicht wurde einvernehmlich mit der Mitarbeitervertretung vereinbart und weit über 90% der Betroffenen haben dies akzeptiert. Aber diese und weitere Sparmaßnahmen führten letztendlich dazu, dass Forst in 2013 und 2014 erstmalig einen ausgeglichenen Haushalt hat. Na gut, fast ausgeglichen.
Die Lage der kommunalen Unternehmen konnte nach und nach auf solide Füße gestellt werden. In den vergangenen Jahren wurde über 300 neue Arbeitsplätze geschaffen und über 400 Arbeitsplätze gesichert. Möchte da als Beispiele die Unternehmen ‘EEB’, ‘Spinnerei Forst GmbH’, ‘VIS Forst GmbH’, ‘FOR Werk GmbH’ und die Firma ‘Mrose’ erwähnen.
Die Gewerbesteuereinnahmen sind von zwei Millionen auf fünf Millionen gestiegen. Das haben wir den Unternehmen in Forst zu verdanken.
hpf: Muß mal kurz unterbrechen. Das sind alles High-Tech Unternehmen und bei Erweiterungen haben sie Forster Unternehmen beauftragt. Damit haben sie weitere Arbeitsplätze in Forst gesichert.
Jürgen Goldschmidt: So ist es. Die enge Verbindung vieler Unternehmen zu ihrer Stadt ist ein Segen für Forst.
hpf: Eine Frage zu dem Konzept der regionalen Entwicklungskerne, zu denen Forst ja nicht gehört, und der davon abhängigen Fördermittelvergabe.Hat das die Lage für Forst erschwert.
Jürgen Goldschmidt: Das hat die Ansiedlung von Unternehmen sehr erschwert. Fördermittel für Neuansiedlungen in Forst liegen dadurch 5% unter den Möglichkeiten der Entwicklungskerne.
2010 wurde das Land Brandenburg noch in zwei Förderregionen unterteilt, Nord und Süd. Die Grenze liegt etwa bei Eisenhüttenstadt. Der südliche Teil wird bezogen auf das Investitionsvolumen um 10% benachteiligt. Bei einem Volumen von 1 Million und 50% Förderung macht das 100.000 Euro aus, durchaus ein Argument für ein Unternehmen sich im nördlichen Teil anzusiedeln.
hpf: Was wünsche Sie sich für die Zukunft von Forst?
Jürgen Goldschmidt: Ohne die Mithilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadtverwaltung und der Forster Unternehmen hätte ich in Forst kaum etwas wirklich bewegen können. Ich möchte mich bei all denen ausdrücklich bedanken. Dies gilt auch für die Stadtverordneten. Die Situation von Forst hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert aber es gibt noch viel zu tun.
Ich wünsche mir, dass die Forster Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen, die Stadtverwaltung, die Stadtverordnetenversammlung und der kommende Bürgermeister alle an einem Strang für unser Forschte ziehen.
hpf: Eine Frage zu den emotionalen Höhepunkten Ihrer Amtszeit …
Jürgen Goldschmidt: Ach, da gibt es so viele Höhepunkte. Wir haben unser altes Wappen wieder, 250 Jahre Brühl, das 100-Jährige des Rosengartens, in diesem Jahr das 750-Jährige der Stadt, die Steher Europameisterschaften und viele dankbare Menschen …
hpf: Zum Schluss noch eine Frage. Die Tätigkeit des Bürgermeisters ist ja kein 40 Stunden Job. Was ist Ihre bevorzugte Entspannung?
Jürgen Goldschmidt: Ein Spaziergang im Euloer Bruch ist für mich einer der schönsten Orte zum Entspannen und Kraft zu tanken.
hpf: Ich danke ihnen für das spannende Gespräch, die vielen Hintergrundinformationen, die so manche Entwicklungen verständlich machen. Nun sind zwei Stunden wie im Fluge vergangen. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, meine Fragen so umfassend zu beantworten und wünsche Ihnen noch erfolgreiche kommende vier Monate.