“Zeitgenössische Kunst muss aus ihrem Elfenbeinturm herausgenommen und den Menschen zugänglich gemacht werden”, so lautet der Anspruch der neuen Kuratorin Petra Schröck für die nunmehr elfte Ausgabe des internationalen Kunstprojektes “aquamediale” im Spreewald.
Bei einem Stadtspaziergang durch Lübben konnten Medienvertreter gestern bereits einen ersten Blick auf einige der Kunstwerke werfen.
In diesem Jahr zeigt das Kunstprojekt unter dem Titel „Metamorphosen“ die Veränderungen und Wandlungen der Spreewaldregion. Pate dafür steht die Idee des französischen Schriftstellers und Philosophen Albert Camus, der das Leben mit zehn wichtigen Begriffen charakterisierte: die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer und das Meer.
Es sind Worte, mit denen sich jeder Mensch identifizieren kann. Für die ’aquamediale‘ haben nun zehn Künstlern zehn Begriffe ausgewählt, die für den Spreewald typisch sind. Ausgehend davon entwickelten sie temporäre Kunstwerk für den öffentlichen Stadt- und Landschaftsraum und vollziehen somit eine Metamorphose vom Wort zum Kunstwerk.
Einige haben in ihrem Werk das Verhältnis von Natur und Kunst als Schwerpunkt, andere die Wechselwirkungen von Erinnerung, Geschichte und Sprache, Materialität und Farbe. Das Spektrum der Arbeiten reicht von Installationen, Interventionen, Malerei, Skulptur, Fotografie bis hin zur Interaktion. Ganz im Sinne Camus‘ liegt das Ziel des Kunstfestivals nicht im fertigen Kunstwerk, sondern im Prozess der Auseinandersetzung des Künstlers und des Betrachters mit dem Werk.
Die Künstler und ihre Werke:
Mario Asef (Argentinien / Deutschland)
Der Konsum / KONSUM DER LANDSCHAFT
Unter dem Stichwort Konsum entwickelte der Künstler Mario Asef drei Projekte, die sich mit Prozessen der Nutzung und Transformation von Landschaft beschäftigen. Auf dem Lübbener Schlossplatz eignet er sich einen Bereich des Parks an, um seine eigene Backsteinproduktion zu gründen. Er mischt vor Ort Eisenockerschlamm mit Zement für die Produktion von Backsteinen und testet die Resultate für die nachhaltige Nutzung im Baubereich. Parallel dazu entwickelte Mario Asef in Kooperation mit Edelmond Chocolatiers GmbH einen geologischen Kuchen, der mit Schokolade, Vanille, Marzipan und Zuckerguss die geologische Beschaffenheit des Spreewald-Bodens nachbildet. Der Kuchen wird den Kunden des Edelmond’s Restaurant serviert. Im Laufe der Aquamediale 11 wird Mario Asef eine Videoarbeit realisieren, die die die Aspekte der Landschaftsnutzung und die unterschiedlichen Ebenen desKonsums der Landschaft vorstellt. Das Video wird am 8. August 2015 in Schloss Golßen gezeigt.
Blanca Gomila (Spanien / Deutschland)
Die Route / THE SPRAWLING ROUTE (DIE WEITLÄUFIGE STRECKE)
Die spanische Künstlerin Blanca Gomila untersucht in ihrem Projekt die Frage, wie die einzigartige Spreewaldlandschaft, die von bis zu drei Millionen Touristen im Jahr besucht wird, von den Einheimischen selbst wahrgenommen wird. Dazu durchquerte sie wochenlang den Spreewald mit dem Fahrrad und befragte die Bewohner nach besonderen Orten, um sie dorthin zu begleiten und zu porträtieren. Auf diese Weise ergab sich ihre Route, die sie von Groß Wasserburg und Schlepzig (Unterspreewald) im Norden über Lübben und Lübbenau bis nach Ragow und Groß Beuchow im Süden führte. Entstanden sind 30 Porträts an 30 verschiedenen Orten, die von der Künstlerin mit Eisenstangen markiert und in einem Heft zusammen mit den Porträtfotos vorgestellt werden. Dazu werden die Fotografien mit der markierten Route auf einer Wand im Stadtraum Lübben zu sehen sein. Gomilas prozessorientierte Arbeit spiegelt den Blick einer „Fremden“ auf eine spezifische Landschaft und die davon geprägte soziale Lebensgemeinschaft wider.
Dieter Buchhart (Österreich)
Das Biosphärenreservat / LIBELLEN SIND SENSITIV
Die Werke des österreichischen Konzeptkünstlers Dieter Buchhart „funktionieren“ nicht als isolierte Objekte, sondern nur in Zusammenarbeit mit den Betrachtern. Die Interaktion, die ausgeführt wird oder nicht, gibt ihrer Mitwirkung eine entscheidende Rolle. Seine für die Aquamediale 11 entwickelte Schilderkampagne „Libellen sind sensitiv“ richtet sich an die Bevölkerung und die Gäste des Spreewaldes. Sie bezieht sich auf Calopteryx virgo, die Blauflügel-Prachtlibelle, und fordert zum Handeln ohne Anweisung auf. Denn wer nicht handelt, unterlässt. Calopteryx virgo reagiert hochsensitiv auf Veränderung, ist Symbol von Wandel. Die Passanten werden zur Teilnahme und Veröffentlichung der einzelnen Libellenindividuen auf Instagram, Facebook, WhatsApp, LinkedIn bis hin zur Postkarte aufgefordert.
Marco Evaristti (Dänemark)
Die Insel / BROTHERHOOD
Marco Evaristti, das „Enfant terrible“ der dänischen Kunstszene, wagt sich provozierend an Tabus heran. Auf seiner Suche nach immer neuen ästhetischen Ausdrucksformen reizt er die Grenzen des Abbildbaren aus. Durch den Rückgriff auf eine kulturell definierte Bildsprache wirken Evaristtis Arbeiten unmittelbar in ihrer Metaphorik. Gleichzeitig führt er diese plakativ überspitzten Darstellungsformen und Farbgebungen ad absurdum. Das Werk des Künstlers trifft gezielt den empfindlichen Nerv gesellschaftlicher Moralvorstellungen. Sein Projekt Pink State – eine Staatsgründung mit eigener Verfassung und Unabhängigkeitserklärung – proklamiert Frieden, Gerechtigkeit, Liebe und Brüderlichkeit. Er realisiert dieses hochpolitische Thema in Form einer Multimedia-Installation auf der Lübbener Liebesinsel und als temporäre Intervention im Lübbener Stadtraum.
Joachim Froese (Australien)
Der Übergang / DE HERBIS LEICHHARDT II
Die großformatigen Fotografien von Joachim Froese zeigen Keime von Pflanzen, die Ludwig Leichhardt, der deutschstämmige Entdecker und Botaniker, auf seinen Reisen durch Australien gesammelt und katalogisiert hat. Auf diese Weise bringt der australisch-deutsche Künstler einen Teil von Leichhardts australischen Entdeckungen zurück an seinen Geburtsort im Spreewald. Froeses Arbeiten für die Aquamediale 11 sind Teil eines übergreifenden Projektes, das sich mit dem Verhältnis von Mensch und Natur befasst. Seit zwei Jahren züchtet und fotografiert der Künstler Keimlinge in seinem Garten in Brisbane und stellt sie in immer neuen Assemblagen aus, die jedes Mal neue Zusammenhänge und Übergänge schaffen. Froeses Arbeiten hinterfragen auf subtile Weise unseren Blick auf die Natur, die durch menschliche Eingriffe immer mehr zerstört wird. Nicht zuletzt hat der Künstler für seine Beobachtungen die Geburt einer Pflanze gewählt – jenen Augenblick an dem sich die Natur gleichzeitig am stärksten und am verwundbarsten zeigt.
Irene Hofmann (Deutschland)
Die Vergänglichkeit / EINE „ROSSKUR” FÜR SÄKULARE ANDACHTSBILDER
Lübben ist „Paul-Gerhardt-Stadt“. Hier verbrachte der Barockdichter die letzten sieben Jahre seines Lebens. Die Berliner Malerin Irene Hofmann wählte als Grundlage ihrer Aquamediale-Arbeit die folgenden sechs Zeilen aus seinem Lied „Warum willst du draußen stehn“: In der Welt ist alles nichtig, nichts ist, das nicht kraftlos wär. Hab ich Hoheit, die ist flüchtig; hab ich Reichtum, was ists mehr als ein Stücklein armer Erd? Hab ich Lust, was ist sie wert?
Aus der rhythmischen Gliederung und dem Zahlenmaß des Verses ergibt sich eine strenge formale Ordnung und Ornamentstruktur. Unweit des Marktplatzes und der Paul-Gerhardt-Kirche installiert sie an der Giebelwand Breite Straße/Ecke Brückenplatz drei Tafeln, denen in Variationen die immergleiche Ornamentstruktur einer vierfach symmetrischen Konstruktion aus gleichseitigen Sechs- und Achtecken sowie annähernd gleichseitigen Fünf- und Siebenecken zugrunde liegt. Damit schafft sie eine mathematisch orientierte Verbindung zum Aufbau von Gerhardts Gedicht. Außerdem stellt sie drei Bilder in den Schlangengraben am Lübbener Schloss direkt ins Wasser, die mit Licht, Schatten und Wasserspiegelung interagieren. Alle ihre in alter Technik hergestellten Ölbilder sind bewusst ungeschützt ins Freie gestellt, um sie der Witterung und einer möglichen Metamorphose auszusetzen – als Reminiszenz an Edvard Munch, der diese Methode als „Rosskur“ bezeichnete.
Jaqueline Kny (Deutschland)
Die Farben / FAHNEN
Jaqueline Kny ist eine Bewohnerin der Berliner Stephanus-Stiftung und als Malerin Autodidaktin. Der malerische Prozess führt bei ihr primär zum Ausdruck von Lebensfreude und Schaffenskraft. Ihr außergewöhnliches Farbempfinden und ihr versierter Umgang mit dem Pinsel führt zu Bildern von intensivster Leuchtkraft und frischer Transparenz. Ihre Grundform ist der Umriss eines kopfartigen Gebildes, die sie bevorzugt mit Wasserfarben in unendlichen Versionen mit Flächen oder Binnenstrukturen. Sie kombiniert gern Stifte und Tuschfarben, Zeichenkohle und Acrylfarben in experimenteller Weise – die Ergebnisse sind eine durchweg genuine Malerei: kraftvoll und wild, aber auch zart und lasierend. Die Form der Fahnen und Flaggen am Lübbenauer Hafen, im Stadtraum von Lübben und auf einigen Kähnen wurde einerseits gewählt, um die malerische Leuchtkraft in der Landschaft weithin sichtbar zu machen, und andererseits als leuchtendes Zeichen für den Inklusionsgedanken.
machen und andererseits als leuchtendes Zeichen für den Inklusionsgedanken.
Nicola Rubinstein (Deutschland)
Die Brücke / EINE GOLDENE BRÜCKE BAUEN
Für Nicola Rubinstein steht die Brücke als Übergang und Verbindung der drei Elemente Erde, Luft und Wasser. Für die Aquamediale 11 vergoldet sie komplett eine Brücke auf der Lübbener Schlossinsel. Sie bezieht sich auf die Redewendung „jemandem eine goldene Brücke bauen“. Diese beruht auf einer alten Kriegsregel, nach der man den flüchtenden Feind nicht weiter bekämpft und ihm zur Not sogar eine Brücke zum Rückzug baut. Damit wird ihm die Möglichkeit geboten, sein „Gesicht“ zu wahren. Im letzten Jahr gab es weltweit 20 Kriege und 400 kriegerische Auseinandersetzungen – Flüchtlingsströme, großes Leid und Verelendung sind die Folgen. Viele politische und zwischenmenschliche Konflikte gelten als „unüberbrückbar“. Mit der Goldenen Brücke schafft die Künstlerin ein starkes Symbol für Frieden durch Ausgleich. Während der Aquamediale 11 haben die Besucher die Möglichkeit, einer bestimmten Person eine Postkarte zu schicken, um ihr eine persönliche Goldene Brücke zu bauen.
Igor Sacharow-Ross (Russland/Deutschland)
Das Lauschen / UNTER FREUNDEN
Der russisch-deutsche Künstler thematisiert das allseits gegenwärtige und gleichzeitig verdrängte Thema der Überwachung in Form von Abhören und Ausspähen durch die Spionagedienste. In Form eines monumentalen Schildes am Wasser will er die Absurdität und die Realität von Überwachung, Big Data, Vorratsdatenspeicherung und letztlich die Kontrollgesellschaft visualisieren – eine Irritation und eine subtile Provokation mitten in der touristischen idyllischen Spreewaldnatur. In Verbindung mit einer fortlaufenden Wassertropfen-Klanginstallation soll dieses Werk seine überraschende Wirkung (Metamorphose) entfalten und an die Camus’sche Absurdität anknüpfen.
Udo Wid (Österreich)
Die Stille / MESS-STATION – PERUN-DENKMAL
Im Lübbener Hain, dem heiligen Ort der alten Sorben, wurde wahrscheinlich neben der Liebesgöttin Liuba auch der Blitz- und Fruchtbarkeits-Gott Perun (vergleichbar mit Zeus) verehrt. Perun waren die Eichen zugeeignet, die hier auch jetzt noch zahlreich wachsen. Doch heute zürnt Perun zunehmend über die durch gedankenlose Profitgier verursachte Erderwärmung und lässt es daher öfter blitzen. Blitze aber erzeugen eine starke, niederfrequente Radiostrahlung, von der man annimmt, dass sie physiologische Wirkungen hat (Wetterfühligkeit, Baumringe). Um das nachzuweisen, werden diese Wellen von einer ‚Perun-Kopf-Antenne‘ am Dach der Mess-Station (Perun-Denkmal) beim Eingang des Hains empfangen, registriert und mit dem Saftfluss der umliegenden Bäume verglichen.
Udo Wid kommt aus der Biophysik-Forschung, lebt in Wien und verbindet in seiner Arbeit die gegensätzlichen Sichtweisen von Wissenschaft, Kunst, Philosophie und Alltagspraxis. Er wird hier experimentieren, „stille Entladungen“ messen und Peruns Kultstätte betreuen.
Projektleiterin Anika Schäfer, Kuratorin Petra Schröck und Kulturdezernent Carsten Saß gehen über die GOLDENE BRÜCKE von Nicola Rubinstein.
Vielfältiges Rahmenprogramm
Das reichhaltige Rahmenprogramm der aquamediale 11 als essenzieller Bestandteil des Kunstfestivals ist offen für alle und schafft viele Möglichkeiten der Begegnungen mit Kunst und Künstlern. Darüber hinaus bietet es die Öffnung in andere zeitgenössische Medien wie Musik, Film und Literatur und lädt zu kreativen Workshops ein. Das Einbinden und Mitwirken verschiedener Institutionen wie Diakonie, Einrichtungen der AWO, Schulen, Kitas sowie lokal ansässiger Firmen soll die Teilhabe der Bewohner und Besucher des Spreewaldes an zeitgenössischer Kunst verstärken und das Thema Metamorphose auch als gesellschaftlichen Diskussionsprozess vermitteln.
Mehr Infos unter www.aquamediale.de.
Fotos: LDS-Pressestelle
Quelle: Landkreis Dahme-Spreewald