“Wir haben das Vertrauen in die Fähigkeit der Bundesregierung verloren und der Frust sitzt tief”. Mit dieser Aussage lassen sich die heutigen Protestreden in Cottbus auf einem Nenner bringen. Am Mittag fand die Protestkundgebung der Mittelstandsinitiative Brandenburg gegen die Politik der Ampelregierung statt. Unterstützt wurde der Aufruf ebenso von der Handwerkskammer Cottbus. Auf dem Altmarkt waren zahlreiche Handwerker, Landwirte, Logistiker und Vertreter bzw. Angestellte weiterer mittelständischer Unternehmen zusammengekommen. Redner aus unterschiedlichsten Branchen machten ihrem Frust über Entscheidungen der Bundesregierung Luft. Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach war gekommen, um zu den Protestierenden zu sprechen. Er wurde allerdings mit Buh-Rufen und Pfiffen empfangen und erhielt heftigen Gegenwind.
Zwischen Dialogbereitschaft und der Forderung nach Rücktritt
Die Mittelstandsinitiative mit ihren Rednern Matthias Schulze und Thomas Knott holte zum Rundumschlag gegen die Politik der Bundesregierung aus. Die Themenpalette des Frustes war groß: Vom sogenannten Heizungsgesetz, über gestiegene Energiekosten, fehlender Bürokratieabbau, verfehlte Migrationspolitik, Mehrbelastungen durch höhere Maut, die geplanten Kürzungen beim Argardiesel bis hin zu den Waffenlieferungen für die Ukraine. All die Unzufriedenheit über die dazugehörigen Entscheidungen der Bundesregierung mündete immer wieder in der Forderung nach dem sofortigen Rücktritt der Ampelregierung. Ohne Rücktrittsforderung formulierte dagegen die Präsidentin der Handwerkskammer Cottbus, Corina Reifenstein ihre Belange für das Handwerk. Sie forderte allen voran Entlastungen, Bürokratieabbau und Planbarkeit für den Mittelstand. Doch als sie davon sprach, dass sie Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke dankt, sich beim Protest am 11. Januar solidarisch mit den Bauern gezeigt zu haben, wechselte der bisherige Beifall in Pfiffe, Buh-Rufen und breite Antipathie für ihre Dialogoffenheit mit der Politik.
Steinbach redet gegen Buh-Rufe an
Diese Antipathie bekam wenig später in vollem Umfang auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach zu spüren. Er war gekommen, um ebenfalls zu den Protestierenden zu sprechen. Im Laufe seiner Rede drehten die allermeisten Protestteilnehmer dem Minister allerdings ihre Rücken zu und Traktoren begannen zu hupen. Steinbach versuchte gegen die lauterwerdene Menge anzureden, verstanden hat man ihn kaum noch. “Ich würde Sie darum bitten, dass der Respekt, den ich ihnen hier zolle, indem ich hierher gekommen bin und mir das angehört habe, dass sie dem auch mit Respekt erwidern, dass Sie mich antworten lassen. Das wäre gelebte Demokratie”, so der Minister. Aus der Menge entgegneten ihm unter anderem “Hau ab” und “Zu spät”-Rufe. Steinbach riet unter anderem, sich mehr Zeit zu nehmen, um zu recherchieren, wo die Energie-und Strompreisentwicklung in Wirklichkeit steht. “Die Zahlen, die hier genannt worden sind, sind falsch”, sagte Steinbach. Ebenso machte er darauf aufmerksam, dass jeder in unserem Land seine Meinung wie auf der heutigen Kundgebeung äußern kann, weil das Grundgesetz beachtet wird. Schärfer wurde der Ton, als Steinbach die Waffenlieferungen für die Ukraine verteidigte: “Ich schäme mich für jeden hier, der an der Stelle die Ukrainer im Stich lässt gegen den Angriffskrieg Russlands. Das ist peinlich”, so Steinbach. Daraufhin erwiderte Matthias Schulze. “Herr Prof. Steinbach, sehen Sie es mir nach, aber irgendwo lebt die jetzige Regierung und unsere Politiker auf einer anderen Ebene. Und ob die Ukraine verteidigt werden muss oder soll, wir wollen Frieden haben.[…] Und mit Waffen liefern werden wir keinen Frieden erzielen. Das ist noch nie in der Geschichte so gewesen”. Steinbach mahnte mit seinem Standpunkt vor allem aber auch die Rede von Thomas Knott an, der seine Rücktrittsforderung an die Bundesregierung mit scharfer Wortwahl formulierter und von einem Volksaustausch sprach: “Und, auch wenn das nicht allen gefällt, bevor hier das Volk weiter ausgetauscht wird, solltet ihr sofort geschlossen zurücktreten und den Weg freimachen für Spezialisten für Diplomatie, die es wirklich können und alle Kriegshetzer des 21. Jahrhunderts in die Wüste schicken”
Zuvor hatte Steinbach angeboten, mit der Mittelstandsinitiative und der Handwerkskammer künftig in einen Dialogprozess treten zu wollen. Ob dies nach dem heutigen Tag weiterhin Bestand hat, wird sich zeigen. Jubel und Applaus erhielt der prominenteste Gastredner Anthony Lee, Vorsitzender von der Agrarbewegung “Landwirtschaft verbindet Deutschland” (Hintergrund laut Wikipedia), der wie gewohnt vor allem die Agrarpolitik in Deutschland ins Visier nahm. “Wir haben nur einen Wunsch. Unsere Betriebe so gut wie möglich zu führen und eine Generation weiterzugeben. Aber wir haben einfach Angst, dass das nicht mehr möglich ist. Und wenn man dann auf die Straße geht, ist das legitim”. Zum Abschluss zog der Protest mit einer Demo durch die Innenstadt.
Bauern nach fordern Rücknahme der Agrardiesel-Kürzungen, Hoffnung auf Bundestag
Anfang Februar wollen Bundestag und Bundesrat über den Bundeshaushalt 2024 endgültig abstimmen. Darin enthalten sind auch die schrittweisen Kürzungen beim Agrardiesel. Die Verbände der Landwirtschaft setzen ihre Hoffnungen nach zahlreichen Einzelgesprächen nun auch auf die Abgeordneten beim Abstimmungsverhalten. So hatten in den letzten Wochen Vertreter der Regierungsparteien immer wieder das Gespräch mit der Landwirtschaft gefunden und dabei größtenteils auch Verständnis für den jahrelang angestauten Frust über große Versäumnisse in der Agrarpolitik gezeigt. Allerdings hält die Regierung weiterhin an ihren aktuellen Kürzungsplänen fest, stattdessen will sie den Dialogprozess für die künftige Ausrichtung der Landwirtschaft in Deutschland intensivieren und über Entlastungen an anderer Stelle wie beispielsweise bei der Bürokratie beraten. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte sich seit Protestbeginn hinter die Anliegen der Landwirte gestellt und fordert vom Bund ebenfalls, die Kürzungen zurückzunehmen, um dann weiter über die Belange zu sprechen, Lösungen zu erarbeiten und so Planungssicherheit zu schaffen (wie berichtet).
Mit einem Traktorkorso aus allen vier Himmelsrichtungen steuerten Brandenburger Bauern heute die Parteizentralen der Ampelkoalition in Berlin an und halten dort Kundgebungen ab. Unter dem Motto „Zu viel ist zu viel!“ bestehen sie auf ihrer bundesweit ausgegebenen Forderung, den Agrardiesel in der bisherigen Form der Besteuerung beizubehalten. Die Vorstände der Regierungsparteien sind gefordert, ihren Parteien auch im ländlichen Raum Profil zu geben, indem sie sich der landwirtschaftlichen Themen annehmen. „Auf Bundesebene müssen wir zurück auf Anfang, das heißt zurück zum Status Quo vor der Agrardieseldebatte“, erklärt LBV-Präsident Henrik Wendorff. „Die bisherigen agrarpolitischen Versäumnisse sind anzupacken, bevor man über die Zukunft des Agrardiesels redet. Wir haben jetzt die große Chance, einen entscheidenden Schritt in Richtung krisenfester und nachhaltiger Landwirtschaft zu machen. Wir erwarten endlich ein abgestimmtes Vorgehen der Bundesregierung mit den Fraktionen und ein konkretes Gesprächsangebot.“ Die derzeit unverrückten Fronten zwischen dem Berufsstand, der Bundesregierung und den Fraktionsspitzen lassen sich dabei nicht einfach auf Landesebene übertragen. Zu Beginn der Grünen Woche, am 18.01.2024, hatte der Ministerpräsident des Landes Brandenburg Dr. Dietmar Woidke, in einem Gespräch mit dem Präsidenten des Landesbauernverbandes und den Vorständen der Kreisbauernverbände die Kürzungen beim Agrardiesel als „grundsätzlich falsch“ bezeichnet und dafür plädiert, sie komplett zurückzunehmen. Zudem vereinbarte der Ministerpräsident im Beisein mit dem Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz, Axel Vogel, und der Ministerin für Finanzen und Europa, Katrin Lange, die bewährten und für den Standort Brandenburg dringend erforderlichen Förderprogramme (Ausgleichszulage benachteiligte Gebiete und Blühstreifenprogramm) auch nach dem Jahr 2024 im Umfang von ca. 30 Millionen Euro fortzuführen. Vereinbart wurden auch Gespräche zum Abbau von Bürokratie und zu einer Vereinfachung von Verwaltungsanforderungen. Gleichzeitig hatte jedoch der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags in seiner Bereinigungssitzung den Bundeshaushalt 2024 einschließlich der schrittweisen Erhöhung der Steuer auf Agrardiesel in der Landwirtschaft beschlossen.”, so der Landesbauernverband.
IHK Cottbus distanziert sich von der Veranstaltung
Gegenüber der DPA distanzierte sich die IHK Cottbus am Donnerstag (25.01.2024) von der Veranstaltung. In der WELT wird Hauptgeschäftsführer Wolfgang Krüger zitiert: “Aufgabe der IHK als Organisation und Körperschaft des öffentlichen Rechts sei es, das Gesamtinteresse der Wirtschaft abzubilden. Eine «einseitige Parteinahme», etwa als Mitveranstalter, der sich die Forderungen der Initiative mit etwa 400 Mitgliedern zu eigen mache, komme nicht in Frage, machte Krüger klar. Der IHK Cottbus gehören etwa 35 000 Unternehmen aus Industrie, Handel, Gastgewerbe, Dienstleistungen und Verkehr an.”
Rede des Landesbauernverbands bei Protest in Cottbus – Darum geht es
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Red. / Presseinfo