In der Aktuellen Stunde der heutigen Landtagssitzung zur Thematik ‚Brandenburgs Bürger schützen – Sicherheit in den Grenzregionen von Brandenburg gewährleisten’ hat Innenminister Dietmar Woidke Folgendes ausgeführt:
„In der Tat ist vor allem in den grenznahen Regionen unseres Landes eine zunehmende Beunruhigung der Bürger festzustellen. Das Sicherheitsgefühl ist beeinträchtigt. Das ergibt sich nicht nur aus Analysen und Meinungsumfragen. Ich glaube, das spürt jeder, der regelmäßig in den Grenzregionen unterwegs ist und mit den Leuten spricht.
Diese Beunruhigung kommt nicht von Ungefähr und ist auch verständlich. Denn bei bestimmten Straftaten, die den Bürgern besonders weh tun, verzeichnen wir seit einigen Jahren deutliche – örtlich sogar dramatische – Anstiege. Das betrifft vor allem Autodiebstähle, aber auch von landwirtschaftlichem Großgerät und Einbrüche in Wohnhäuser und Wochenendhäuser.
Das erste, was die Bürger jetzt von der Landespolitik zu Recht erwarten ist, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und nicht mit vielen Worten um das Problem herumgeredet wird. Jede vernünftige Debatte über die tatsächliche Situation beginnt damit, dass klar gesagt wird, was ist. Wenn man das Problem nicht sieht, kann man es auch nicht lösen. Und, meine Damen und Herren: Wir haben ein Problem! Dieses Problem heißt grenzüberschreitende Kriminalität.
Das zweite, was die Bürger zu Recht von der Politik erwarten ist, dass alles Notwendige getan wird, um sie wirksam zu schützen. Auch in der Grenzregion erwarten die Bürger dabei keine Wunder, aber sie erwarten Fortschritte – sonst verlieren sie das Vertrauen in die Politik und in den Staat. Ich rate uns allen dazu, diese Erwartungshaltung außerordentlich ernst zu nehmen.
„Recht auf Sicherheit ist Bürgerrecht“
Auch aus einem anderen Grund ist die Erwartung der Bürger berechtigt. Das Recht auf Sicherheit ist ein Bürgerrecht. Es ist eines der wichtigsten Bürgerrechte überhaupt. Die Bürger erwarten daher, dass der Staat sie vor Kriminalität schützt. Dafür zahlen sie ihre Steuern.
Denn der Staat beansprucht das Gewaltmonopol und steht in der Pflicht, es wirksam gegen Rechtsbrecher durchzusetzen. Dieser Verpflichtung müssen und wollen wir uns stellen. Das gilt auch dann, wenn das Land selbstverständlich nicht allein steht, sondern gemeinsam mit Partnern handelt – ich nenne hier die Bundespolizei, den Zoll, die kommunalen Ordnungsbehörden, aber auch unsere Partner insbesondere auf polnischer Seite.
Das Thema ist von hoher Aktualität. Aber es hat eine Vorgeschichte, die mindestens bis in das Jahr 2007 zurückreicht.
Ende 2007 wurden die Grenzkontrollen zu unserem Nachbarland Polen abgeschafft. Diese Erweiterung des Schengen-Raums war von vielen Hoffnungen begleitet. Der Wegfall der Kontrollen war in Deutschland von einem breiten Konsens in Politik und Wirtschaft getragen. Bundeskanzlerin Merkel sprach damals von einem „historischen Moment“. EU-Kommissionspräsident Barroso wies Befürchtungen hinsichtlich einer möglicherweise damit verbundenen steigenden Kriminalität zurück. Zu solcher Sorge bestehe, so Barroso damals, „kein Anlass“.
In gleicher Weise äußerte sich seinerzeit Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) in Brandenburg. Der Wegfall der Kontrollen werde zu „keinen Sicherheitsdefiziten“ führen. „Keiner braucht sich darüber Sorgen zu machen“, so damals Schönbohm wörtlich. 2008 stellte der Minister ebenfalls wörtlich fest: „Die Grenzöffnung bedeutet nicht weniger, sondern mehr Sicherheit.“
„Das war ein Fehler“
Man muss daran erinnern, weil dies damals einem breiten politischen Konsens entsprach: Ein einiges Europa: Viele Chancen – wenig Probleme! Aus heutiger Sicht ist offen einzuräumen, dass wir doch zuwenig über die Risiken dieser politisch gewollten Entwicklung gesprochen haben. Die Vorteile wurden hervorgehoben, über mögliche Nachteile wurde wenig geredet. Das war ein Fehler.
Nun steht es außer Frage, dass der Wegfall der Kontrollen vieles einfacher gemacht hat. Das wissen die Brandenburger und das wissen gerade auch die Bürger in den Grenzregionen. Denken wir nur an die früheren Grenzstaus. Deshalb ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen auch keine sinnvolle Option.
Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die neuen Freiheiten auch von den Falschen genutzt werden. Und zwar in einem besorgniserregenden Ausmaß, das damals nicht vorhergesehen wurde.
Vor besondere Herausforderungen stellt uns dabei die grenzüberschreitende Kriminalität. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden handelt es sich zu einem erheblichen Teil um international organisierte Kriminalität, deren Spuren nach Osteuropa führen. Die hohe kriminelle Energie der Täter kommt auch darin zum Ausdruck, dass wir immer wieder rücksichtslose Durchbrüche von polizeilichen Kontrollstellen unter Gefährdung von Leib und Leben der Polizisten feststellen müssen.
Der verbreitete Eindruck, dass allein oder vor allem die Grenzregionen selbst von dieser Kriminalitätsform betroffen sind, ist nicht richtig und bedarf der Ergänzung.
Neben den Grenzregionen sind auch das Umland von Berlin und die größeren Städte unseres Landes in hohem Maße belastet. In absoluten Zahlen am stärksten belastet ist die Bundeshauptstadt Berlin selbst. Im Jahr 2010 wurde dort nach Angaben des BKA mehr Autos gestohlen als in ganz Nordrhein-Westfalen. Die Grenzgemeinden Brandenburgs weisen zwar eine um etwa 20 Prozent höhere Kriminalitätsbelastung auf als der Landesdurchschnitt. Aber gestohlen wird überall, wo etwas zu holen ist. Einwohnerschwerpunkte sind immer auch Kriminalitätsschwerpunkte. Das ist die Lage.
Herausforderung von europäischer Dimension
Das Tatgeschehen beschränkt sich nicht allein auf die Region Berlin-Brandenburg oder auf Ostdeutschland, wenngleich hier klare Schwerpunkte auszumachen sind. Auch in anderen Bundesländern – ich nenne hier Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen – sind die Fallzahlen nach Angaben des BKA teils deutlich angestiegen. Bei den Großkontrollen unserer Polizei gehen uns immer wieder gestohlene Fahrzeuge aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Westeuropa ins Netz. Dies unterstreicht die europäische Dimension der Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.
Die Ursachen dieser Entwicklung sind komplex. Aber es ist kein Zufall, dass diese grenzüberschreitende Kriminalität sich vor allem entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien entwickelt. Die Oder-Neiße-Linie markiert auch heute noch eine europäische Wohlstandsgrenze zwischen Ost und West. Große Wohlstandsgefälle sind immer ein starker Antrieb für kriminelle Aktivitäten aller Art.
Brandenburg ist Grenzland. Schon deshalb sind auch wir – neben Berlin und Sachsen – besonders von den Entwicklungen betroffen. Die Wege zur Grenze sind kurz, die Reaktionszeiten knapp, die Gelegenheiten für Straftäter daher günstig. Bis ein Diebstahl überhaupt bemerkt wird, sind die Täter oft schon in Richtung Polen verschwunden. Das stellt die Polizei vor erhebliche Probleme.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass über unser Bundesland auch die wichtigste Ost-West-Verkehrsachse verläuft.
Anlass zur Sorge: Sinkende Aufklärungsquoten
Neben den steigenden Fallzahlen ist ein zweiter Sachverhalt Anlass zur Sorge. Bereits seit 2005 geht die Aufklärungsquote bei Kfz-Diebstahl in Brandenburg kontinuierlich zurück. Lag sie 2005 noch bei 36 % so betrug sie 2010 nur noch rund 20 %. Örtlich, nämlich in den Grenzgemeinden, liegt sie nach neuesten Erhebungen sogar noch darunter. Steigende Fallzahlen und sinkende Aufklärungsquote; diese Entwicklung ist für mich als Innenminister nicht akzeptabel. Das kann so nicht bleiben; hier müssen wir alles tun, um besser zu werden.
Soweit zur Lage und zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Jetzt zu dem, was wir tun wollen. Die neuen Herausforderungen erfordern auch neue Antworten. Wir sollten dabei überlegt und mit kühlem Kopf vorgehen – trotz der verständlicherweise hitzigen Debatte um dieses Thema. Denn eines ist auch mal sicher: Mit starken Sprüchen bekämpft man keine Kriminalität!
Jeder Brandenburger und erst recht die Menschen in den Grenzregionen wissen, dass die Kriminalitätsbelastung in den wilden 90er Jahren um ein Vielfaches höher war als heute. Auch an der Grenze! Das macht die heutigen Probleme nicht weniger schwerwiegend. Natürlich nicht. Aber es zeigt, dass unser Land schon einmal mit einer viel dramatischeren Kriminalitätswelle fertig geworden ist – und das wird uns auch dieses Mal gelingen.
Dabei kommt es auf folgendes an:
Erstens: Grenzüberschreitende Kriminalität kann man erfolgreich nur grenzübergreifend bekämpfen. Das liegt auf der Hand. Deshalb brauchen wir eine neue Stufe der Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern.
Dabei gibt es noch Defizite. Aber die deutsch-polnischen Beziehungen waren noch nie so gut wie heute. Auf diesem stabilen Fundament können wir aufbauen, um zu einer weiteren, dringend notwendigen Verbesserung der Sicherheitskooperation zu kommen.
Ein erstes Spitzengespräch unter Teilnahme des polnischen Botschafters und des Ministerpräsidenten hat dazu bereits stattgefunden. Diese Konsultationen werden wir fortsetzen, auch unter Beteiligung der Bundespolizei, anderer Länderpolizeien und des Zolls.
Diesen Weg der intensiven Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern müssen wir konsequent fortsetzen.
Auch der Bund muss sich Verantwortung stellen
Zweitens: Das Phänomen grenzüberschreitender Kriminalität ist letztlich hinsichtlich seiner Ursachen und Erscheinungsformen von europäischer Dimension. In Deutschland sind viele Bundesländer davon besonders betroffen – nicht zuletzt Brandenburg und Berlin. Deshalb fordern wir die rückhaltlose Unterstützung durch den Bund bei der Bewältigung dieser Lage.
Bundespolizei und Zoll haben ihre Präsenz seit dem Wegfall der Grenzkontrollen wesentlich reduziert. Die Bundesregierung erklärt dazu lapidar, das Personal werde „dort seitdem in dieser Zahl nicht mehr benötigt“. Schließlich seien die Aufgaben weggefallen. Der Wegfall der Kontrollen werde – so die Bundesregierung weiter – „durch effektive Ausgleichsmaßnahmen kompensiert“. Daran sind Zweifel erlaubt.
Wie ich höre, werden in den Grenzregionen vielfach nicht einmal die ohnehin reduzierten Sollstärken bei der Bundespolizei erreicht. Die Beamten tun statt dessen Dienst auf Flughäfen und Bahnhöfen irgendwo im Bundesgebiet. Das mag aus Sicht des Bundes ja alles eine gewisse Logik haben. Aber auch bei der Bundesregierung sollte sich herumgesprochen haben, dass sich auch ihre optimistischen Einschätzungen über die Kriminalitätsentwicklung seit 2007 so nicht bestätigt haben und die Grenzregionen im Osten seitdem mit einem dicken Problem zu kämpfen haben. Das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Ich meine: Priorität muss jetzt die Grenze haben! Auch für den Bund!
Auch konzeptionell müssen wir aufrüsten: Auf meine Initiative wurde von der Innenministerkonferenz eine bundesweite AG zur „Grenzüberschreitenden Eigentums- und Kfz-Kriminalität“ eingerichtet. Brandenburg ist hier Schrittmacher in Deutschland. Wir sind führend an diesen Arbeiten beteiligt. Ende Februar wird dazu ein Experten-Workshop in Potsdam stattfinden.
Rahmenkonzeption der Polizei
Drittens: Das Land Brandenburg selbst muss alles Notwendige tun, um die grenzüberschreitende Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Schon seit 2010 haben wir die BAO Grenze, die eine sehr gute Arbeit leistet. Sie wurde kürzlich um weitere Beamte aufgestockt. Seit dem 4. Januar verfügt das Land über eine „Rahmenkonzeption zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“. Diese Konzeption bündelt die polizeilichen Maßnahmen.
Die Polizeidirektionen sind angewiesen, dazu alle verfügbaren personellen und technischen Ressourcen zu bündeln und zielgenau einzusetzen. Mit einfachen Worten: Wir setzen derzeit alles ein, was wir haben! Mit klarem Schwerpunkt an der Grenze. Dazu gehören auch drei der vier Einsatzhundertschaften, über die wir in Brandenburg verfügen. Sie stärken unsere operativen Kapazitäten in der Grenzregion erheblich, erhöhen den Kontroll- und Verfolgungsdruck und sorgen darüber hinaus für eine wahrnehmbare Polizeipräsenz. Die Einsätze haben erste Erfolge erzielt, über die Sie in der Presse lesen konnten.
Viertes: Prävention ist das richtige Stichwort. Natürlich müssen auch die Bürger selbst potenziellen Straftätern das Leben so schwer wie möglich machen. Vieles wird schon aus eigenem Interesse getan. Aber es gibt auch neue Möglichkeiten
Die sogenannte künstliche DNA gehört dazu. Sie ist natürlich kein Patentrezept; insofern darf man keine Maßnahme an sich in ihrer Wirkung überschätzten. Andererseits hören wir aus Frankfurt (Oder), dass dort seit Einführung der künstlichen DNA noch kein derart gekennzeichnetes Auto gestohlen worden ist. Der Abschreckungseffekt ist ohne Zweifel gegeben und die Chancen, gestohlenes Eigentum wiederzubekommen sind besser, als ohne eine solche Markierung. Deshalb haben wir dieses Pilotprojekt zuletzt auf Schwedt und Eisenhüttenstadt ausgedehnt und weitere Städte sollen folgen.
Hinzu kommen die klassischen Maßnahmen des Eigentumsschutzes wie Wegfahrsperren, Codierungen, GPS-Sender usw. Keine dieser Maßnahmen bietet völlige Sicherheit – aber sie erhöhen den Schutz vor Kriminalität beträchtlich. Je aufwändiger es ist, einen Diebstahl zu begehen, umso eher lassen Kriminelle von ihrer Beute ab. Man kann wirksame Vorsorge treffen. Und die beste Straftat ist immer die, die gar nicht erst zur Ausführung kommt.
Fünftens: Natürlich muss die Polizei auch alle rechtlich einwandfreien technischen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kriminalität nutzen können. Dazu gehört zum Beispiel die automatische Kennzeichenfahndung, die auch bei der Bekämpfung von Kfz-Kriminalität mehrfach mit Erfolg eingesetzt worden ist. Ich bin froh, dass wir dieses Instrument in Brandenburg haben.
Auf das komplexe Problem der grenzüberschreitenden Kriminalität wollen wir mit einem Bündel von Maßnahmen reagieren. Wir tun dies nicht allein, sondern zusammen mit unseren Partnern in Deutschland und Europa. Es wäre unrealistisch, eine durchgreifende Besserung der Lage in kurzer Frist zu versprechen. Es ist eher ein Marathonlauf als ein Sprint.
Bürger erwarten keine Wunder, aber sichtbare Fortschritte
Aber die Bürger erwarten auch keine Wunder. Sie erwarten, dass etwas getan wird; sie erwarten, dass es sichtbare Fortschritte gibt. Die Maßstäbe sind klar: Es muss gelingen, dass weniger gestohlen und mehr wiedergefunden wird. Am besten beides. Brandenburg hat in den 90er Jahren schon einmal eine ähnliche Herausforderung bestanden. Mit der nötigen Entschlossenheit kann und wird uns dies auch jetzt wieder gelingen.“
Quelle: Ministerium des Innern
In der Aktuellen Stunde der heutigen Landtagssitzung zur Thematik ‚Brandenburgs Bürger schützen – Sicherheit in den Grenzregionen von Brandenburg gewährleisten’ hat Innenminister Dietmar Woidke Folgendes ausgeführt:
„In der Tat ist vor allem in den grenznahen Regionen unseres Landes eine zunehmende Beunruhigung der Bürger festzustellen. Das Sicherheitsgefühl ist beeinträchtigt. Das ergibt sich nicht nur aus Analysen und Meinungsumfragen. Ich glaube, das spürt jeder, der regelmäßig in den Grenzregionen unterwegs ist und mit den Leuten spricht.
Diese Beunruhigung kommt nicht von Ungefähr und ist auch verständlich. Denn bei bestimmten Straftaten, die den Bürgern besonders weh tun, verzeichnen wir seit einigen Jahren deutliche – örtlich sogar dramatische – Anstiege. Das betrifft vor allem Autodiebstähle, aber auch von landwirtschaftlichem Großgerät und Einbrüche in Wohnhäuser und Wochenendhäuser.
Das erste, was die Bürger jetzt von der Landespolitik zu Recht erwarten ist, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und nicht mit vielen Worten um das Problem herumgeredet wird. Jede vernünftige Debatte über die tatsächliche Situation beginnt damit, dass klar gesagt wird, was ist. Wenn man das Problem nicht sieht, kann man es auch nicht lösen. Und, meine Damen und Herren: Wir haben ein Problem! Dieses Problem heißt grenzüberschreitende Kriminalität.
Das zweite, was die Bürger zu Recht von der Politik erwarten ist, dass alles Notwendige getan wird, um sie wirksam zu schützen. Auch in der Grenzregion erwarten die Bürger dabei keine Wunder, aber sie erwarten Fortschritte – sonst verlieren sie das Vertrauen in die Politik und in den Staat. Ich rate uns allen dazu, diese Erwartungshaltung außerordentlich ernst zu nehmen.
„Recht auf Sicherheit ist Bürgerrecht“
Auch aus einem anderen Grund ist die Erwartung der Bürger berechtigt. Das Recht auf Sicherheit ist ein Bürgerrecht. Es ist eines der wichtigsten Bürgerrechte überhaupt. Die Bürger erwarten daher, dass der Staat sie vor Kriminalität schützt. Dafür zahlen sie ihre Steuern.
Denn der Staat beansprucht das Gewaltmonopol und steht in der Pflicht, es wirksam gegen Rechtsbrecher durchzusetzen. Dieser Verpflichtung müssen und wollen wir uns stellen. Das gilt auch dann, wenn das Land selbstverständlich nicht allein steht, sondern gemeinsam mit Partnern handelt – ich nenne hier die Bundespolizei, den Zoll, die kommunalen Ordnungsbehörden, aber auch unsere Partner insbesondere auf polnischer Seite.
Das Thema ist von hoher Aktualität. Aber es hat eine Vorgeschichte, die mindestens bis in das Jahr 2007 zurückreicht.
Ende 2007 wurden die Grenzkontrollen zu unserem Nachbarland Polen abgeschafft. Diese Erweiterung des Schengen-Raums war von vielen Hoffnungen begleitet. Der Wegfall der Kontrollen war in Deutschland von einem breiten Konsens in Politik und Wirtschaft getragen. Bundeskanzlerin Merkel sprach damals von einem „historischen Moment“. EU-Kommissionspräsident Barroso wies Befürchtungen hinsichtlich einer möglicherweise damit verbundenen steigenden Kriminalität zurück. Zu solcher Sorge bestehe, so Barroso damals, „kein Anlass“.
In gleicher Weise äußerte sich seinerzeit Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) in Brandenburg. Der Wegfall der Kontrollen werde zu „keinen Sicherheitsdefiziten“ führen. „Keiner braucht sich darüber Sorgen zu machen“, so damals Schönbohm wörtlich. 2008 stellte der Minister ebenfalls wörtlich fest: „Die Grenzöffnung bedeutet nicht weniger, sondern mehr Sicherheit.“
„Das war ein Fehler“
Man muss daran erinnern, weil dies damals einem breiten politischen Konsens entsprach: Ein einiges Europa: Viele Chancen – wenig Probleme! Aus heutiger Sicht ist offen einzuräumen, dass wir doch zuwenig über die Risiken dieser politisch gewollten Entwicklung gesprochen haben. Die Vorteile wurden hervorgehoben, über mögliche Nachteile wurde wenig geredet. Das war ein Fehler.
Nun steht es außer Frage, dass der Wegfall der Kontrollen vieles einfacher gemacht hat. Das wissen die Brandenburger und das wissen gerade auch die Bürger in den Grenzregionen. Denken wir nur an die früheren Grenzstaus. Deshalb ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen auch keine sinnvolle Option.
Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die neuen Freiheiten auch von den Falschen genutzt werden. Und zwar in einem besorgniserregenden Ausmaß, das damals nicht vorhergesehen wurde.
Vor besondere Herausforderungen stellt uns dabei die grenzüberschreitende Kriminalität. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden handelt es sich zu einem erheblichen Teil um international organisierte Kriminalität, deren Spuren nach Osteuropa führen. Die hohe kriminelle Energie der Täter kommt auch darin zum Ausdruck, dass wir immer wieder rücksichtslose Durchbrüche von polizeilichen Kontrollstellen unter Gefährdung von Leib und Leben der Polizisten feststellen müssen.
Der verbreitete Eindruck, dass allein oder vor allem die Grenzregionen selbst von dieser Kriminalitätsform betroffen sind, ist nicht richtig und bedarf der Ergänzung.
Neben den Grenzregionen sind auch das Umland von Berlin und die größeren Städte unseres Landes in hohem Maße belastet. In absoluten Zahlen am stärksten belastet ist die Bundeshauptstadt Berlin selbst. Im Jahr 2010 wurde dort nach Angaben des BKA mehr Autos gestohlen als in ganz Nordrhein-Westfalen. Die Grenzgemeinden Brandenburgs weisen zwar eine um etwa 20 Prozent höhere Kriminalitätsbelastung auf als der Landesdurchschnitt. Aber gestohlen wird überall, wo etwas zu holen ist. Einwohnerschwerpunkte sind immer auch Kriminalitätsschwerpunkte. Das ist die Lage.
Herausforderung von europäischer Dimension
Das Tatgeschehen beschränkt sich nicht allein auf die Region Berlin-Brandenburg oder auf Ostdeutschland, wenngleich hier klare Schwerpunkte auszumachen sind. Auch in anderen Bundesländern – ich nenne hier Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen – sind die Fallzahlen nach Angaben des BKA teils deutlich angestiegen. Bei den Großkontrollen unserer Polizei gehen uns immer wieder gestohlene Fahrzeuge aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Westeuropa ins Netz. Dies unterstreicht die europäische Dimension der Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.
Die Ursachen dieser Entwicklung sind komplex. Aber es ist kein Zufall, dass diese grenzüberschreitende Kriminalität sich vor allem entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien entwickelt. Die Oder-Neiße-Linie markiert auch heute noch eine europäische Wohlstandsgrenze zwischen Ost und West. Große Wohlstandsgefälle sind immer ein starker Antrieb für kriminelle Aktivitäten aller Art.
Brandenburg ist Grenzland. Schon deshalb sind auch wir – neben Berlin und Sachsen – besonders von den Entwicklungen betroffen. Die Wege zur Grenze sind kurz, die Reaktionszeiten knapp, die Gelegenheiten für Straftäter daher günstig. Bis ein Diebstahl überhaupt bemerkt wird, sind die Täter oft schon in Richtung Polen verschwunden. Das stellt die Polizei vor erhebliche Probleme.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass über unser Bundesland auch die wichtigste Ost-West-Verkehrsachse verläuft.
Anlass zur Sorge: Sinkende Aufklärungsquoten
Neben den steigenden Fallzahlen ist ein zweiter Sachverhalt Anlass zur Sorge. Bereits seit 2005 geht die Aufklärungsquote bei Kfz-Diebstahl in Brandenburg kontinuierlich zurück. Lag sie 2005 noch bei 36 % so betrug sie 2010 nur noch rund 20 %. Örtlich, nämlich in den Grenzgemeinden, liegt sie nach neuesten Erhebungen sogar noch darunter. Steigende Fallzahlen und sinkende Aufklärungsquote; diese Entwicklung ist für mich als Innenminister nicht akzeptabel. Das kann so nicht bleiben; hier müssen wir alles tun, um besser zu werden.
Soweit zur Lage und zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Jetzt zu dem, was wir tun wollen. Die neuen Herausforderungen erfordern auch neue Antworten. Wir sollten dabei überlegt und mit kühlem Kopf vorgehen – trotz der verständlicherweise hitzigen Debatte um dieses Thema. Denn eines ist auch mal sicher: Mit starken Sprüchen bekämpft man keine Kriminalität!
Jeder Brandenburger und erst recht die Menschen in den Grenzregionen wissen, dass die Kriminalitätsbelastung in den wilden 90er Jahren um ein Vielfaches höher war als heute. Auch an der Grenze! Das macht die heutigen Probleme nicht weniger schwerwiegend. Natürlich nicht. Aber es zeigt, dass unser Land schon einmal mit einer viel dramatischeren Kriminalitätswelle fertig geworden ist – und das wird uns auch dieses Mal gelingen.
Dabei kommt es auf folgendes an:
Erstens: Grenzüberschreitende Kriminalität kann man erfolgreich nur grenzübergreifend bekämpfen. Das liegt auf der Hand. Deshalb brauchen wir eine neue Stufe der Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern.
Dabei gibt es noch Defizite. Aber die deutsch-polnischen Beziehungen waren noch nie so gut wie heute. Auf diesem stabilen Fundament können wir aufbauen, um zu einer weiteren, dringend notwendigen Verbesserung der Sicherheitskooperation zu kommen.
Ein erstes Spitzengespräch unter Teilnahme des polnischen Botschafters und des Ministerpräsidenten hat dazu bereits stattgefunden. Diese Konsultationen werden wir fortsetzen, auch unter Beteiligung der Bundespolizei, anderer Länderpolizeien und des Zolls.
Diesen Weg der intensiven Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern müssen wir konsequent fortsetzen.
Auch der Bund muss sich Verantwortung stellen
Zweitens: Das Phänomen grenzüberschreitender Kriminalität ist letztlich hinsichtlich seiner Ursachen und Erscheinungsformen von europäischer Dimension. In Deutschland sind viele Bundesländer davon besonders betroffen – nicht zuletzt Brandenburg und Berlin. Deshalb fordern wir die rückhaltlose Unterstützung durch den Bund bei der Bewältigung dieser Lage.
Bundespolizei und Zoll haben ihre Präsenz seit dem Wegfall der Grenzkontrollen wesentlich reduziert. Die Bundesregierung erklärt dazu lapidar, das Personal werde „dort seitdem in dieser Zahl nicht mehr benötigt“. Schließlich seien die Aufgaben weggefallen. Der Wegfall der Kontrollen werde – so die Bundesregierung weiter – „durch effektive Ausgleichsmaßnahmen kompensiert“. Daran sind Zweifel erlaubt.
Wie ich höre, werden in den Grenzregionen vielfach nicht einmal die ohnehin reduzierten Sollstärken bei der Bundespolizei erreicht. Die Beamten tun statt dessen Dienst auf Flughäfen und Bahnhöfen irgendwo im Bundesgebiet. Das mag aus Sicht des Bundes ja alles eine gewisse Logik haben. Aber auch bei der Bundesregierung sollte sich herumgesprochen haben, dass sich auch ihre optimistischen Einschätzungen über die Kriminalitätsentwicklung seit 2007 so nicht bestätigt haben und die Grenzregionen im Osten seitdem mit einem dicken Problem zu kämpfen haben. Das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Ich meine: Priorität muss jetzt die Grenze haben! Auch für den Bund!
Auch konzeptionell müssen wir aufrüsten: Auf meine Initiative wurde von der Innenministerkonferenz eine bundesweite AG zur „Grenzüberschreitenden Eigentums- und Kfz-Kriminalität“ eingerichtet. Brandenburg ist hier Schrittmacher in Deutschland. Wir sind führend an diesen Arbeiten beteiligt. Ende Februar wird dazu ein Experten-Workshop in Potsdam stattfinden.
Rahmenkonzeption der Polizei
Drittens: Das Land Brandenburg selbst muss alles Notwendige tun, um die grenzüberschreitende Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Schon seit 2010 haben wir die BAO Grenze, die eine sehr gute Arbeit leistet. Sie wurde kürzlich um weitere Beamte aufgestockt. Seit dem 4. Januar verfügt das Land über eine „Rahmenkonzeption zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“. Diese Konzeption bündelt die polizeilichen Maßnahmen.
Die Polizeidirektionen sind angewiesen, dazu alle verfügbaren personellen und technischen Ressourcen zu bündeln und zielgenau einzusetzen. Mit einfachen Worten: Wir setzen derzeit alles ein, was wir haben! Mit klarem Schwerpunkt an der Grenze. Dazu gehören auch drei der vier Einsatzhundertschaften, über die wir in Brandenburg verfügen. Sie stärken unsere operativen Kapazitäten in der Grenzregion erheblich, erhöhen den Kontroll- und Verfolgungsdruck und sorgen darüber hinaus für eine wahrnehmbare Polizeipräsenz. Die Einsätze haben erste Erfolge erzielt, über die Sie in der Presse lesen konnten.
Viertes: Prävention ist das richtige Stichwort. Natürlich müssen auch die Bürger selbst potenziellen Straftätern das Leben so schwer wie möglich machen. Vieles wird schon aus eigenem Interesse getan. Aber es gibt auch neue Möglichkeiten
Die sogenannte künstliche DNA gehört dazu. Sie ist natürlich kein Patentrezept; insofern darf man keine Maßnahme an sich in ihrer Wirkung überschätzten. Andererseits hören wir aus Frankfurt (Oder), dass dort seit Einführung der künstlichen DNA noch kein derart gekennzeichnetes Auto gestohlen worden ist. Der Abschreckungseffekt ist ohne Zweifel gegeben und die Chancen, gestohlenes Eigentum wiederzubekommen sind besser, als ohne eine solche Markierung. Deshalb haben wir dieses Pilotprojekt zuletzt auf Schwedt und Eisenhüttenstadt ausgedehnt und weitere Städte sollen folgen.
Hinzu kommen die klassischen Maßnahmen des Eigentumsschutzes wie Wegfahrsperren, Codierungen, GPS-Sender usw. Keine dieser Maßnahmen bietet völlige Sicherheit – aber sie erhöhen den Schutz vor Kriminalität beträchtlich. Je aufwändiger es ist, einen Diebstahl zu begehen, umso eher lassen Kriminelle von ihrer Beute ab. Man kann wirksame Vorsorge treffen. Und die beste Straftat ist immer die, die gar nicht erst zur Ausführung kommt.
Fünftens: Natürlich muss die Polizei auch alle rechtlich einwandfreien technischen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kriminalität nutzen können. Dazu gehört zum Beispiel die automatische Kennzeichenfahndung, die auch bei der Bekämpfung von Kfz-Kriminalität mehrfach mit Erfolg eingesetzt worden ist. Ich bin froh, dass wir dieses Instrument in Brandenburg haben.
Auf das komplexe Problem der grenzüberschreitenden Kriminalität wollen wir mit einem Bündel von Maßnahmen reagieren. Wir tun dies nicht allein, sondern zusammen mit unseren Partnern in Deutschland und Europa. Es wäre unrealistisch, eine durchgreifende Besserung der Lage in kurzer Frist zu versprechen. Es ist eher ein Marathonlauf als ein Sprint.
Bürger erwarten keine Wunder, aber sichtbare Fortschritte
Aber die Bürger erwarten auch keine Wunder. Sie erwarten, dass etwas getan wird; sie erwarten, dass es sichtbare Fortschritte gibt. Die Maßstäbe sind klar: Es muss gelingen, dass weniger gestohlen und mehr wiedergefunden wird. Am besten beides. Brandenburg hat in den 90er Jahren schon einmal eine ähnliche Herausforderung bestanden. Mit der nötigen Entschlossenheit kann und wird uns dies auch jetzt wieder gelingen.“
Quelle: Ministerium des Innern
In der Aktuellen Stunde der heutigen Landtagssitzung zur Thematik ‚Brandenburgs Bürger schützen – Sicherheit in den Grenzregionen von Brandenburg gewährleisten’ hat Innenminister Dietmar Woidke Folgendes ausgeführt:
„In der Tat ist vor allem in den grenznahen Regionen unseres Landes eine zunehmende Beunruhigung der Bürger festzustellen. Das Sicherheitsgefühl ist beeinträchtigt. Das ergibt sich nicht nur aus Analysen und Meinungsumfragen. Ich glaube, das spürt jeder, der regelmäßig in den Grenzregionen unterwegs ist und mit den Leuten spricht.
Diese Beunruhigung kommt nicht von Ungefähr und ist auch verständlich. Denn bei bestimmten Straftaten, die den Bürgern besonders weh tun, verzeichnen wir seit einigen Jahren deutliche – örtlich sogar dramatische – Anstiege. Das betrifft vor allem Autodiebstähle, aber auch von landwirtschaftlichem Großgerät und Einbrüche in Wohnhäuser und Wochenendhäuser.
Das erste, was die Bürger jetzt von der Landespolitik zu Recht erwarten ist, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und nicht mit vielen Worten um das Problem herumgeredet wird. Jede vernünftige Debatte über die tatsächliche Situation beginnt damit, dass klar gesagt wird, was ist. Wenn man das Problem nicht sieht, kann man es auch nicht lösen. Und, meine Damen und Herren: Wir haben ein Problem! Dieses Problem heißt grenzüberschreitende Kriminalität.
Das zweite, was die Bürger zu Recht von der Politik erwarten ist, dass alles Notwendige getan wird, um sie wirksam zu schützen. Auch in der Grenzregion erwarten die Bürger dabei keine Wunder, aber sie erwarten Fortschritte – sonst verlieren sie das Vertrauen in die Politik und in den Staat. Ich rate uns allen dazu, diese Erwartungshaltung außerordentlich ernst zu nehmen.
„Recht auf Sicherheit ist Bürgerrecht“
Auch aus einem anderen Grund ist die Erwartung der Bürger berechtigt. Das Recht auf Sicherheit ist ein Bürgerrecht. Es ist eines der wichtigsten Bürgerrechte überhaupt. Die Bürger erwarten daher, dass der Staat sie vor Kriminalität schützt. Dafür zahlen sie ihre Steuern.
Denn der Staat beansprucht das Gewaltmonopol und steht in der Pflicht, es wirksam gegen Rechtsbrecher durchzusetzen. Dieser Verpflichtung müssen und wollen wir uns stellen. Das gilt auch dann, wenn das Land selbstverständlich nicht allein steht, sondern gemeinsam mit Partnern handelt – ich nenne hier die Bundespolizei, den Zoll, die kommunalen Ordnungsbehörden, aber auch unsere Partner insbesondere auf polnischer Seite.
Das Thema ist von hoher Aktualität. Aber es hat eine Vorgeschichte, die mindestens bis in das Jahr 2007 zurückreicht.
Ende 2007 wurden die Grenzkontrollen zu unserem Nachbarland Polen abgeschafft. Diese Erweiterung des Schengen-Raums war von vielen Hoffnungen begleitet. Der Wegfall der Kontrollen war in Deutschland von einem breiten Konsens in Politik und Wirtschaft getragen. Bundeskanzlerin Merkel sprach damals von einem „historischen Moment“. EU-Kommissionspräsident Barroso wies Befürchtungen hinsichtlich einer möglicherweise damit verbundenen steigenden Kriminalität zurück. Zu solcher Sorge bestehe, so Barroso damals, „kein Anlass“.
In gleicher Weise äußerte sich seinerzeit Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) in Brandenburg. Der Wegfall der Kontrollen werde zu „keinen Sicherheitsdefiziten“ führen. „Keiner braucht sich darüber Sorgen zu machen“, so damals Schönbohm wörtlich. 2008 stellte der Minister ebenfalls wörtlich fest: „Die Grenzöffnung bedeutet nicht weniger, sondern mehr Sicherheit.“
„Das war ein Fehler“
Man muss daran erinnern, weil dies damals einem breiten politischen Konsens entsprach: Ein einiges Europa: Viele Chancen – wenig Probleme! Aus heutiger Sicht ist offen einzuräumen, dass wir doch zuwenig über die Risiken dieser politisch gewollten Entwicklung gesprochen haben. Die Vorteile wurden hervorgehoben, über mögliche Nachteile wurde wenig geredet. Das war ein Fehler.
Nun steht es außer Frage, dass der Wegfall der Kontrollen vieles einfacher gemacht hat. Das wissen die Brandenburger und das wissen gerade auch die Bürger in den Grenzregionen. Denken wir nur an die früheren Grenzstaus. Deshalb ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen auch keine sinnvolle Option.
Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die neuen Freiheiten auch von den Falschen genutzt werden. Und zwar in einem besorgniserregenden Ausmaß, das damals nicht vorhergesehen wurde.
Vor besondere Herausforderungen stellt uns dabei die grenzüberschreitende Kriminalität. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden handelt es sich zu einem erheblichen Teil um international organisierte Kriminalität, deren Spuren nach Osteuropa führen. Die hohe kriminelle Energie der Täter kommt auch darin zum Ausdruck, dass wir immer wieder rücksichtslose Durchbrüche von polizeilichen Kontrollstellen unter Gefährdung von Leib und Leben der Polizisten feststellen müssen.
Der verbreitete Eindruck, dass allein oder vor allem die Grenzregionen selbst von dieser Kriminalitätsform betroffen sind, ist nicht richtig und bedarf der Ergänzung.
Neben den Grenzregionen sind auch das Umland von Berlin und die größeren Städte unseres Landes in hohem Maße belastet. In absoluten Zahlen am stärksten belastet ist die Bundeshauptstadt Berlin selbst. Im Jahr 2010 wurde dort nach Angaben des BKA mehr Autos gestohlen als in ganz Nordrhein-Westfalen. Die Grenzgemeinden Brandenburgs weisen zwar eine um etwa 20 Prozent höhere Kriminalitätsbelastung auf als der Landesdurchschnitt. Aber gestohlen wird überall, wo etwas zu holen ist. Einwohnerschwerpunkte sind immer auch Kriminalitätsschwerpunkte. Das ist die Lage.
Herausforderung von europäischer Dimension
Das Tatgeschehen beschränkt sich nicht allein auf die Region Berlin-Brandenburg oder auf Ostdeutschland, wenngleich hier klare Schwerpunkte auszumachen sind. Auch in anderen Bundesländern – ich nenne hier Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen – sind die Fallzahlen nach Angaben des BKA teils deutlich angestiegen. Bei den Großkontrollen unserer Polizei gehen uns immer wieder gestohlene Fahrzeuge aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Westeuropa ins Netz. Dies unterstreicht die europäische Dimension der Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.
Die Ursachen dieser Entwicklung sind komplex. Aber es ist kein Zufall, dass diese grenzüberschreitende Kriminalität sich vor allem entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien entwickelt. Die Oder-Neiße-Linie markiert auch heute noch eine europäische Wohlstandsgrenze zwischen Ost und West. Große Wohlstandsgefälle sind immer ein starker Antrieb für kriminelle Aktivitäten aller Art.
Brandenburg ist Grenzland. Schon deshalb sind auch wir – neben Berlin und Sachsen – besonders von den Entwicklungen betroffen. Die Wege zur Grenze sind kurz, die Reaktionszeiten knapp, die Gelegenheiten für Straftäter daher günstig. Bis ein Diebstahl überhaupt bemerkt wird, sind die Täter oft schon in Richtung Polen verschwunden. Das stellt die Polizei vor erhebliche Probleme.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass über unser Bundesland auch die wichtigste Ost-West-Verkehrsachse verläuft.
Anlass zur Sorge: Sinkende Aufklärungsquoten
Neben den steigenden Fallzahlen ist ein zweiter Sachverhalt Anlass zur Sorge. Bereits seit 2005 geht die Aufklärungsquote bei Kfz-Diebstahl in Brandenburg kontinuierlich zurück. Lag sie 2005 noch bei 36 % so betrug sie 2010 nur noch rund 20 %. Örtlich, nämlich in den Grenzgemeinden, liegt sie nach neuesten Erhebungen sogar noch darunter. Steigende Fallzahlen und sinkende Aufklärungsquote; diese Entwicklung ist für mich als Innenminister nicht akzeptabel. Das kann so nicht bleiben; hier müssen wir alles tun, um besser zu werden.
Soweit zur Lage und zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Jetzt zu dem, was wir tun wollen. Die neuen Herausforderungen erfordern auch neue Antworten. Wir sollten dabei überlegt und mit kühlem Kopf vorgehen – trotz der verständlicherweise hitzigen Debatte um dieses Thema. Denn eines ist auch mal sicher: Mit starken Sprüchen bekämpft man keine Kriminalität!
Jeder Brandenburger und erst recht die Menschen in den Grenzregionen wissen, dass die Kriminalitätsbelastung in den wilden 90er Jahren um ein Vielfaches höher war als heute. Auch an der Grenze! Das macht die heutigen Probleme nicht weniger schwerwiegend. Natürlich nicht. Aber es zeigt, dass unser Land schon einmal mit einer viel dramatischeren Kriminalitätswelle fertig geworden ist – und das wird uns auch dieses Mal gelingen.
Dabei kommt es auf folgendes an:
Erstens: Grenzüberschreitende Kriminalität kann man erfolgreich nur grenzübergreifend bekämpfen. Das liegt auf der Hand. Deshalb brauchen wir eine neue Stufe der Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern.
Dabei gibt es noch Defizite. Aber die deutsch-polnischen Beziehungen waren noch nie so gut wie heute. Auf diesem stabilen Fundament können wir aufbauen, um zu einer weiteren, dringend notwendigen Verbesserung der Sicherheitskooperation zu kommen.
Ein erstes Spitzengespräch unter Teilnahme des polnischen Botschafters und des Ministerpräsidenten hat dazu bereits stattgefunden. Diese Konsultationen werden wir fortsetzen, auch unter Beteiligung der Bundespolizei, anderer Länderpolizeien und des Zolls.
Diesen Weg der intensiven Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern müssen wir konsequent fortsetzen.
Auch der Bund muss sich Verantwortung stellen
Zweitens: Das Phänomen grenzüberschreitender Kriminalität ist letztlich hinsichtlich seiner Ursachen und Erscheinungsformen von europäischer Dimension. In Deutschland sind viele Bundesländer davon besonders betroffen – nicht zuletzt Brandenburg und Berlin. Deshalb fordern wir die rückhaltlose Unterstützung durch den Bund bei der Bewältigung dieser Lage.
Bundespolizei und Zoll haben ihre Präsenz seit dem Wegfall der Grenzkontrollen wesentlich reduziert. Die Bundesregierung erklärt dazu lapidar, das Personal werde „dort seitdem in dieser Zahl nicht mehr benötigt“. Schließlich seien die Aufgaben weggefallen. Der Wegfall der Kontrollen werde – so die Bundesregierung weiter – „durch effektive Ausgleichsmaßnahmen kompensiert“. Daran sind Zweifel erlaubt.
Wie ich höre, werden in den Grenzregionen vielfach nicht einmal die ohnehin reduzierten Sollstärken bei der Bundespolizei erreicht. Die Beamten tun statt dessen Dienst auf Flughäfen und Bahnhöfen irgendwo im Bundesgebiet. Das mag aus Sicht des Bundes ja alles eine gewisse Logik haben. Aber auch bei der Bundesregierung sollte sich herumgesprochen haben, dass sich auch ihre optimistischen Einschätzungen über die Kriminalitätsentwicklung seit 2007 so nicht bestätigt haben und die Grenzregionen im Osten seitdem mit einem dicken Problem zu kämpfen haben. Das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Ich meine: Priorität muss jetzt die Grenze haben! Auch für den Bund!
Auch konzeptionell müssen wir aufrüsten: Auf meine Initiative wurde von der Innenministerkonferenz eine bundesweite AG zur „Grenzüberschreitenden Eigentums- und Kfz-Kriminalität“ eingerichtet. Brandenburg ist hier Schrittmacher in Deutschland. Wir sind führend an diesen Arbeiten beteiligt. Ende Februar wird dazu ein Experten-Workshop in Potsdam stattfinden.
Rahmenkonzeption der Polizei
Drittens: Das Land Brandenburg selbst muss alles Notwendige tun, um die grenzüberschreitende Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Schon seit 2010 haben wir die BAO Grenze, die eine sehr gute Arbeit leistet. Sie wurde kürzlich um weitere Beamte aufgestockt. Seit dem 4. Januar verfügt das Land über eine „Rahmenkonzeption zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“. Diese Konzeption bündelt die polizeilichen Maßnahmen.
Die Polizeidirektionen sind angewiesen, dazu alle verfügbaren personellen und technischen Ressourcen zu bündeln und zielgenau einzusetzen. Mit einfachen Worten: Wir setzen derzeit alles ein, was wir haben! Mit klarem Schwerpunkt an der Grenze. Dazu gehören auch drei der vier Einsatzhundertschaften, über die wir in Brandenburg verfügen. Sie stärken unsere operativen Kapazitäten in der Grenzregion erheblich, erhöhen den Kontroll- und Verfolgungsdruck und sorgen darüber hinaus für eine wahrnehmbare Polizeipräsenz. Die Einsätze haben erste Erfolge erzielt, über die Sie in der Presse lesen konnten.
Viertes: Prävention ist das richtige Stichwort. Natürlich müssen auch die Bürger selbst potenziellen Straftätern das Leben so schwer wie möglich machen. Vieles wird schon aus eigenem Interesse getan. Aber es gibt auch neue Möglichkeiten
Die sogenannte künstliche DNA gehört dazu. Sie ist natürlich kein Patentrezept; insofern darf man keine Maßnahme an sich in ihrer Wirkung überschätzten. Andererseits hören wir aus Frankfurt (Oder), dass dort seit Einführung der künstlichen DNA noch kein derart gekennzeichnetes Auto gestohlen worden ist. Der Abschreckungseffekt ist ohne Zweifel gegeben und die Chancen, gestohlenes Eigentum wiederzubekommen sind besser, als ohne eine solche Markierung. Deshalb haben wir dieses Pilotprojekt zuletzt auf Schwedt und Eisenhüttenstadt ausgedehnt und weitere Städte sollen folgen.
Hinzu kommen die klassischen Maßnahmen des Eigentumsschutzes wie Wegfahrsperren, Codierungen, GPS-Sender usw. Keine dieser Maßnahmen bietet völlige Sicherheit – aber sie erhöhen den Schutz vor Kriminalität beträchtlich. Je aufwändiger es ist, einen Diebstahl zu begehen, umso eher lassen Kriminelle von ihrer Beute ab. Man kann wirksame Vorsorge treffen. Und die beste Straftat ist immer die, die gar nicht erst zur Ausführung kommt.
Fünftens: Natürlich muss die Polizei auch alle rechtlich einwandfreien technischen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kriminalität nutzen können. Dazu gehört zum Beispiel die automatische Kennzeichenfahndung, die auch bei der Bekämpfung von Kfz-Kriminalität mehrfach mit Erfolg eingesetzt worden ist. Ich bin froh, dass wir dieses Instrument in Brandenburg haben.
Auf das komplexe Problem der grenzüberschreitenden Kriminalität wollen wir mit einem Bündel von Maßnahmen reagieren. Wir tun dies nicht allein, sondern zusammen mit unseren Partnern in Deutschland und Europa. Es wäre unrealistisch, eine durchgreifende Besserung der Lage in kurzer Frist zu versprechen. Es ist eher ein Marathonlauf als ein Sprint.
Bürger erwarten keine Wunder, aber sichtbare Fortschritte
Aber die Bürger erwarten auch keine Wunder. Sie erwarten, dass etwas getan wird; sie erwarten, dass es sichtbare Fortschritte gibt. Die Maßstäbe sind klar: Es muss gelingen, dass weniger gestohlen und mehr wiedergefunden wird. Am besten beides. Brandenburg hat in den 90er Jahren schon einmal eine ähnliche Herausforderung bestanden. Mit der nötigen Entschlossenheit kann und wird uns dies auch jetzt wieder gelingen.“
Quelle: Ministerium des Innern
In der Aktuellen Stunde der heutigen Landtagssitzung zur Thematik ‚Brandenburgs Bürger schützen – Sicherheit in den Grenzregionen von Brandenburg gewährleisten’ hat Innenminister Dietmar Woidke Folgendes ausgeführt:
„In der Tat ist vor allem in den grenznahen Regionen unseres Landes eine zunehmende Beunruhigung der Bürger festzustellen. Das Sicherheitsgefühl ist beeinträchtigt. Das ergibt sich nicht nur aus Analysen und Meinungsumfragen. Ich glaube, das spürt jeder, der regelmäßig in den Grenzregionen unterwegs ist und mit den Leuten spricht.
Diese Beunruhigung kommt nicht von Ungefähr und ist auch verständlich. Denn bei bestimmten Straftaten, die den Bürgern besonders weh tun, verzeichnen wir seit einigen Jahren deutliche – örtlich sogar dramatische – Anstiege. Das betrifft vor allem Autodiebstähle, aber auch von landwirtschaftlichem Großgerät und Einbrüche in Wohnhäuser und Wochenendhäuser.
Das erste, was die Bürger jetzt von der Landespolitik zu Recht erwarten ist, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und nicht mit vielen Worten um das Problem herumgeredet wird. Jede vernünftige Debatte über die tatsächliche Situation beginnt damit, dass klar gesagt wird, was ist. Wenn man das Problem nicht sieht, kann man es auch nicht lösen. Und, meine Damen und Herren: Wir haben ein Problem! Dieses Problem heißt grenzüberschreitende Kriminalität.
Das zweite, was die Bürger zu Recht von der Politik erwarten ist, dass alles Notwendige getan wird, um sie wirksam zu schützen. Auch in der Grenzregion erwarten die Bürger dabei keine Wunder, aber sie erwarten Fortschritte – sonst verlieren sie das Vertrauen in die Politik und in den Staat. Ich rate uns allen dazu, diese Erwartungshaltung außerordentlich ernst zu nehmen.
„Recht auf Sicherheit ist Bürgerrecht“
Auch aus einem anderen Grund ist die Erwartung der Bürger berechtigt. Das Recht auf Sicherheit ist ein Bürgerrecht. Es ist eines der wichtigsten Bürgerrechte überhaupt. Die Bürger erwarten daher, dass der Staat sie vor Kriminalität schützt. Dafür zahlen sie ihre Steuern.
Denn der Staat beansprucht das Gewaltmonopol und steht in der Pflicht, es wirksam gegen Rechtsbrecher durchzusetzen. Dieser Verpflichtung müssen und wollen wir uns stellen. Das gilt auch dann, wenn das Land selbstverständlich nicht allein steht, sondern gemeinsam mit Partnern handelt – ich nenne hier die Bundespolizei, den Zoll, die kommunalen Ordnungsbehörden, aber auch unsere Partner insbesondere auf polnischer Seite.
Das Thema ist von hoher Aktualität. Aber es hat eine Vorgeschichte, die mindestens bis in das Jahr 2007 zurückreicht.
Ende 2007 wurden die Grenzkontrollen zu unserem Nachbarland Polen abgeschafft. Diese Erweiterung des Schengen-Raums war von vielen Hoffnungen begleitet. Der Wegfall der Kontrollen war in Deutschland von einem breiten Konsens in Politik und Wirtschaft getragen. Bundeskanzlerin Merkel sprach damals von einem „historischen Moment“. EU-Kommissionspräsident Barroso wies Befürchtungen hinsichtlich einer möglicherweise damit verbundenen steigenden Kriminalität zurück. Zu solcher Sorge bestehe, so Barroso damals, „kein Anlass“.
In gleicher Weise äußerte sich seinerzeit Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) in Brandenburg. Der Wegfall der Kontrollen werde zu „keinen Sicherheitsdefiziten“ führen. „Keiner braucht sich darüber Sorgen zu machen“, so damals Schönbohm wörtlich. 2008 stellte der Minister ebenfalls wörtlich fest: „Die Grenzöffnung bedeutet nicht weniger, sondern mehr Sicherheit.“
„Das war ein Fehler“
Man muss daran erinnern, weil dies damals einem breiten politischen Konsens entsprach: Ein einiges Europa: Viele Chancen – wenig Probleme! Aus heutiger Sicht ist offen einzuräumen, dass wir doch zuwenig über die Risiken dieser politisch gewollten Entwicklung gesprochen haben. Die Vorteile wurden hervorgehoben, über mögliche Nachteile wurde wenig geredet. Das war ein Fehler.
Nun steht es außer Frage, dass der Wegfall der Kontrollen vieles einfacher gemacht hat. Das wissen die Brandenburger und das wissen gerade auch die Bürger in den Grenzregionen. Denken wir nur an die früheren Grenzstaus. Deshalb ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen auch keine sinnvolle Option.
Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass die neuen Freiheiten auch von den Falschen genutzt werden. Und zwar in einem besorgniserregenden Ausmaß, das damals nicht vorhergesehen wurde.
Vor besondere Herausforderungen stellt uns dabei die grenzüberschreitende Kriminalität. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden handelt es sich zu einem erheblichen Teil um international organisierte Kriminalität, deren Spuren nach Osteuropa führen. Die hohe kriminelle Energie der Täter kommt auch darin zum Ausdruck, dass wir immer wieder rücksichtslose Durchbrüche von polizeilichen Kontrollstellen unter Gefährdung von Leib und Leben der Polizisten feststellen müssen.
Der verbreitete Eindruck, dass allein oder vor allem die Grenzregionen selbst von dieser Kriminalitätsform betroffen sind, ist nicht richtig und bedarf der Ergänzung.
Neben den Grenzregionen sind auch das Umland von Berlin und die größeren Städte unseres Landes in hohem Maße belastet. In absoluten Zahlen am stärksten belastet ist die Bundeshauptstadt Berlin selbst. Im Jahr 2010 wurde dort nach Angaben des BKA mehr Autos gestohlen als in ganz Nordrhein-Westfalen. Die Grenzgemeinden Brandenburgs weisen zwar eine um etwa 20 Prozent höhere Kriminalitätsbelastung auf als der Landesdurchschnitt. Aber gestohlen wird überall, wo etwas zu holen ist. Einwohnerschwerpunkte sind immer auch Kriminalitätsschwerpunkte. Das ist die Lage.
Herausforderung von europäischer Dimension
Das Tatgeschehen beschränkt sich nicht allein auf die Region Berlin-Brandenburg oder auf Ostdeutschland, wenngleich hier klare Schwerpunkte auszumachen sind. Auch in anderen Bundesländern – ich nenne hier Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachen – sind die Fallzahlen nach Angaben des BKA teils deutlich angestiegen. Bei den Großkontrollen unserer Polizei gehen uns immer wieder gestohlene Fahrzeuge aus dem ganzen Bundesgebiet und aus Westeuropa ins Netz. Dies unterstreicht die europäische Dimension der Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.
Die Ursachen dieser Entwicklung sind komplex. Aber es ist kein Zufall, dass diese grenzüberschreitende Kriminalität sich vor allem entlang der Grenzen zu Polen und Tschechien entwickelt. Die Oder-Neiße-Linie markiert auch heute noch eine europäische Wohlstandsgrenze zwischen Ost und West. Große Wohlstandsgefälle sind immer ein starker Antrieb für kriminelle Aktivitäten aller Art.
Brandenburg ist Grenzland. Schon deshalb sind auch wir – neben Berlin und Sachsen – besonders von den Entwicklungen betroffen. Die Wege zur Grenze sind kurz, die Reaktionszeiten knapp, die Gelegenheiten für Straftäter daher günstig. Bis ein Diebstahl überhaupt bemerkt wird, sind die Täter oft schon in Richtung Polen verschwunden. Das stellt die Polizei vor erhebliche Probleme.
Nicht unerwähnt bleiben darf, dass über unser Bundesland auch die wichtigste Ost-West-Verkehrsachse verläuft.
Anlass zur Sorge: Sinkende Aufklärungsquoten
Neben den steigenden Fallzahlen ist ein zweiter Sachverhalt Anlass zur Sorge. Bereits seit 2005 geht die Aufklärungsquote bei Kfz-Diebstahl in Brandenburg kontinuierlich zurück. Lag sie 2005 noch bei 36 % so betrug sie 2010 nur noch rund 20 %. Örtlich, nämlich in den Grenzgemeinden, liegt sie nach neuesten Erhebungen sogar noch darunter. Steigende Fallzahlen und sinkende Aufklärungsquote; diese Entwicklung ist für mich als Innenminister nicht akzeptabel. Das kann so nicht bleiben; hier müssen wir alles tun, um besser zu werden.
Soweit zur Lage und zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Jetzt zu dem, was wir tun wollen. Die neuen Herausforderungen erfordern auch neue Antworten. Wir sollten dabei überlegt und mit kühlem Kopf vorgehen – trotz der verständlicherweise hitzigen Debatte um dieses Thema. Denn eines ist auch mal sicher: Mit starken Sprüchen bekämpft man keine Kriminalität!
Jeder Brandenburger und erst recht die Menschen in den Grenzregionen wissen, dass die Kriminalitätsbelastung in den wilden 90er Jahren um ein Vielfaches höher war als heute. Auch an der Grenze! Das macht die heutigen Probleme nicht weniger schwerwiegend. Natürlich nicht. Aber es zeigt, dass unser Land schon einmal mit einer viel dramatischeren Kriminalitätswelle fertig geworden ist – und das wird uns auch dieses Mal gelingen.
Dabei kommt es auf folgendes an:
Erstens: Grenzüberschreitende Kriminalität kann man erfolgreich nur grenzübergreifend bekämpfen. Das liegt auf der Hand. Deshalb brauchen wir eine neue Stufe der Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern.
Dabei gibt es noch Defizite. Aber die deutsch-polnischen Beziehungen waren noch nie so gut wie heute. Auf diesem stabilen Fundament können wir aufbauen, um zu einer weiteren, dringend notwendigen Verbesserung der Sicherheitskooperation zu kommen.
Ein erstes Spitzengespräch unter Teilnahme des polnischen Botschafters und des Ministerpräsidenten hat dazu bereits stattgefunden. Diese Konsultationen werden wir fortsetzen, auch unter Beteiligung der Bundespolizei, anderer Länderpolizeien und des Zolls.
Diesen Weg der intensiven Zusammenarbeit mit unseren polnischen Partnern müssen wir konsequent fortsetzen.
Auch der Bund muss sich Verantwortung stellen
Zweitens: Das Phänomen grenzüberschreitender Kriminalität ist letztlich hinsichtlich seiner Ursachen und Erscheinungsformen von europäischer Dimension. In Deutschland sind viele Bundesländer davon besonders betroffen – nicht zuletzt Brandenburg und Berlin. Deshalb fordern wir die rückhaltlose Unterstützung durch den Bund bei der Bewältigung dieser Lage.
Bundespolizei und Zoll haben ihre Präsenz seit dem Wegfall der Grenzkontrollen wesentlich reduziert. Die Bundesregierung erklärt dazu lapidar, das Personal werde „dort seitdem in dieser Zahl nicht mehr benötigt“. Schließlich seien die Aufgaben weggefallen. Der Wegfall der Kontrollen werde – so die Bundesregierung weiter – „durch effektive Ausgleichsmaßnahmen kompensiert“. Daran sind Zweifel erlaubt.
Wie ich höre, werden in den Grenzregionen vielfach nicht einmal die ohnehin reduzierten Sollstärken bei der Bundespolizei erreicht. Die Beamten tun statt dessen Dienst auf Flughäfen und Bahnhöfen irgendwo im Bundesgebiet. Das mag aus Sicht des Bundes ja alles eine gewisse Logik haben. Aber auch bei der Bundesregierung sollte sich herumgesprochen haben, dass sich auch ihre optimistischen Einschätzungen über die Kriminalitätsentwicklung seit 2007 so nicht bestätigt haben und die Grenzregionen im Osten seitdem mit einem dicken Problem zu kämpfen haben. Das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Ich meine: Priorität muss jetzt die Grenze haben! Auch für den Bund!
Auch konzeptionell müssen wir aufrüsten: Auf meine Initiative wurde von der Innenministerkonferenz eine bundesweite AG zur „Grenzüberschreitenden Eigentums- und Kfz-Kriminalität“ eingerichtet. Brandenburg ist hier Schrittmacher in Deutschland. Wir sind führend an diesen Arbeiten beteiligt. Ende Februar wird dazu ein Experten-Workshop in Potsdam stattfinden.
Rahmenkonzeption der Polizei
Drittens: Das Land Brandenburg selbst muss alles Notwendige tun, um die grenzüberschreitende Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Schon seit 2010 haben wir die BAO Grenze, die eine sehr gute Arbeit leistet. Sie wurde kürzlich um weitere Beamte aufgestockt. Seit dem 4. Januar verfügt das Land über eine „Rahmenkonzeption zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität“. Diese Konzeption bündelt die polizeilichen Maßnahmen.
Die Polizeidirektionen sind angewiesen, dazu alle verfügbaren personellen und technischen Ressourcen zu bündeln und zielgenau einzusetzen. Mit einfachen Worten: Wir setzen derzeit alles ein, was wir haben! Mit klarem Schwerpunkt an der Grenze. Dazu gehören auch drei der vier Einsatzhundertschaften, über die wir in Brandenburg verfügen. Sie stärken unsere operativen Kapazitäten in der Grenzregion erheblich, erhöhen den Kontroll- und Verfolgungsdruck und sorgen darüber hinaus für eine wahrnehmbare Polizeipräsenz. Die Einsätze haben erste Erfolge erzielt, über die Sie in der Presse lesen konnten.
Viertes: Prävention ist das richtige Stichwort. Natürlich müssen auch die Bürger selbst potenziellen Straftätern das Leben so schwer wie möglich machen. Vieles wird schon aus eigenem Interesse getan. Aber es gibt auch neue Möglichkeiten
Die sogenannte künstliche DNA gehört dazu. Sie ist natürlich kein Patentrezept; insofern darf man keine Maßnahme an sich in ihrer Wirkung überschätzten. Andererseits hören wir aus Frankfurt (Oder), dass dort seit Einführung der künstlichen DNA noch kein derart gekennzeichnetes Auto gestohlen worden ist. Der Abschreckungseffekt ist ohne Zweifel gegeben und die Chancen, gestohlenes Eigentum wiederzubekommen sind besser, als ohne eine solche Markierung. Deshalb haben wir dieses Pilotprojekt zuletzt auf Schwedt und Eisenhüttenstadt ausgedehnt und weitere Städte sollen folgen.
Hinzu kommen die klassischen Maßnahmen des Eigentumsschutzes wie Wegfahrsperren, Codierungen, GPS-Sender usw. Keine dieser Maßnahmen bietet völlige Sicherheit – aber sie erhöhen den Schutz vor Kriminalität beträchtlich. Je aufwändiger es ist, einen Diebstahl zu begehen, umso eher lassen Kriminelle von ihrer Beute ab. Man kann wirksame Vorsorge treffen. Und die beste Straftat ist immer die, die gar nicht erst zur Ausführung kommt.
Fünftens: Natürlich muss die Polizei auch alle rechtlich einwandfreien technischen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kriminalität nutzen können. Dazu gehört zum Beispiel die automatische Kennzeichenfahndung, die auch bei der Bekämpfung von Kfz-Kriminalität mehrfach mit Erfolg eingesetzt worden ist. Ich bin froh, dass wir dieses Instrument in Brandenburg haben.
Auf das komplexe Problem der grenzüberschreitenden Kriminalität wollen wir mit einem Bündel von Maßnahmen reagieren. Wir tun dies nicht allein, sondern zusammen mit unseren Partnern in Deutschland und Europa. Es wäre unrealistisch, eine durchgreifende Besserung der Lage in kurzer Frist zu versprechen. Es ist eher ein Marathonlauf als ein Sprint.
Bürger erwarten keine Wunder, aber sichtbare Fortschritte
Aber die Bürger erwarten auch keine Wunder. Sie erwarten, dass etwas getan wird; sie erwarten, dass es sichtbare Fortschritte gibt. Die Maßstäbe sind klar: Es muss gelingen, dass weniger gestohlen und mehr wiedergefunden wird. Am besten beides. Brandenburg hat in den 90er Jahren schon einmal eine ähnliche Herausforderung bestanden. Mit der nötigen Entschlossenheit kann und wird uns dies auch jetzt wieder gelingen.“
Quelle: Ministerium des Innern