In Zeiten des ‘Kalten Krieges’ bin ich im Westen aufgewachsen und erinnere mich an die Kindheit und Schulzeit. Wir lebten im ‘Britischen Gebiet’. Sie waren die Herren und konnten jederzeit bei einem Manöver einen Bauernhof oder ein Gut als Hauptquartier bei einem Manöver nutzen und auch Felder kurz vor der Ernte mit ihren Panzern durchpflügen. In der Schule war der Geschichtsunterricht etwas eigenartig. Das ‘Dritte Reich’ wurde in dem Fach Geschichte in zwei Schulstunden abgehandelt. Als dann die Serie ‘Das Dritte Reich’ im Fernsehen ausgestrahlt wurde, versammelten wir Halbwüchsigen uns bei den Freunden, die ein Fernsehgerät hatten und schauten gebannt zu.
Ich durfte frei reisen und tat das auch. Damals ‘per Anhalter’, ging immer recht flott. Mitte der Sechziger zog es mich in die Ferne und so besuchte ich etwa 35 Länder, lernte andere Kulturen und Religionen kennen. Niemals hatte ich das Gefühl, klüger zu sein oder alles besser zu wissen. Fragte, schaute hin und lernte von den Menschen in anderen Kulturen die ich bislang nicht kannte.
Nach einigen Jahren zurück in Deutschland wartete die Bundeswehr bereits auf mich.
Weiter ging es mit Beruf, Familie und Kindern.
Wir machten Ausflüge auch an die Grenze der beiden Blöcke. Von Bad Harzburg ging es bis zu dem Bach, der die Grenze war. Dahinter lag der Ort Stapelburg in der DDR. Direkt hinter dem Bach der Metallgitterzaun mit den Selbstschussanlagen und ein Wachturm. Ich nahm die kleine Tochter auf die Schulter und sie winkte unbefangen dem Posten auf dem Turm zu. Keine Reaktion. Sein Kamerad dreht sich um und der Soldat winkte ganz schnell und kurz zurück. Diese Szene werde ich niemals vergessen. Der Soldat hatte vielleicht eine Tochter in dem Alter so wie meine Tochter auf meiner Schulter. Er musste aber warten bis sich sein Kamerad umdrehte um das Winken des kleinen ‘Klassenfeindes’ verstohlen zu beantworten.
Was für eine kranke Welt in der sich Menschen, die die gleiche Sprache sprechen, unversöhnlich und bis an die Zähne bewaffnet gegenüber stehen.
Von Braunlage führen wir mit der Seilbahn auf den Wurmberg und gingen dann über die Hexentreppe an die Grenze und dort entlang wanderten wir zurück. Ein Paar mit drei Kindern, eines davon noch im Kinderwagen. Die Grenze verlief so drei Meter vor dem Grenzzaun, gekennzeichnet durch einen kleinen Zaun so 30 cm hoch. In diesem Bereich, also westlich des Grenzzaunes arbeiteten einige Grenzsoldaten der DDR. Nur ein Sprung und sie wären im Westen gewesen wenn sie es denn gewollt hätten. Allerdings standen auch zwei Grenzer mit Maschinenpistolen im Anschlag etwas abseits.
Es gab keine Antwort auf den Gruß von Eltern und drei Kindern. Wie sollte ich ihnen das erklären?
Wie gesagt, eine kranke Welt.
November 1989: Niemals davor und danach habe ich mehr Zeit vor dem Fernsehgerät verbracht als um den 9. November 1989. Freude über das Verschwinden des ‘Eisernen Vorhangs’.
Während der Arbeit traf ich sie auf den Straßen, die ‘Brüder und Schwestern’ aus der ‘Zone’. Diese Begriffe waren für mich schon immer eine Anmaßung aus Zeiten des kalten Krieges. Nein, ich traf Menschen mit einem anderen Hintergrund, Menschen wie Du und Ich.
1990 schickte mich meine Firma nach Dresden zu einer Veranstaltung für Ärzte im Hygienemuseum. War ein wenig irritiert über die vielen grauen Fassaden in dieser wunderbaren Stadt. Wie üblich bestellten wir ein Buffet für die Gäste. Die Gäste benahmen sich aber ganz anders als im Westen. Es gab da keine ‘Schlacht am kalten Buffet’. Sie aßen nicht als gäbe es die nächsten zwei Wochen nichts mehr. Fragte einen der Ärzte, wer Bedarf an all den noch vollen Platten hätte. Er sagte mir, dort gibt es ein Altenheim, dort ein Kinderheim und dort ….
Eine gute Idee. Die Ärzte riefen an und klärten das, einige von uns packten die Platten in ihre Autos und fuhren, begleitet von Ärzten, dort hin. Mich hat der Mangel an Gier der Ärzte imponiert. Und keine der Platten mit den Schnittchen wurde einfach so entsorgt als gäbe es Nahrung im Überfluß.
Kurz danach wurde ich nach Berlin-Buch geschickt um die allgemeine Klinik und das ehemalige Regierungskrankenhaus zu besuchen. Ein Hotelzimmer bekam ich nur in Potsdam, war also immer ein weiter Weg.
Dort lernte ich eine andere Seite der DDR kennen. Im allgemeinen Krankenhaus zeigte mir der Klinikchef das Fahrradergometer. Das hatte der Hausmeister aus einem alten Fahrrad gebaut.
„Wir mussten uns behelfen“, so der Klinikchef. „Aber wir hatten guten Kontakt zum Regierungskrankenhaus gegenüber. So bekamen wir auch Medikamente, an die wir sonst nicht kamen.“
Gegenüber im Regierungskrankenhaus eine ganz andere Welt. Die modernsten medizinischen Geräte aus aller Welt, Boutiquen und ein Hubschrauberlandeplatz.
Der Chef der Klinik zeigt mir sein Büro und hebt die Schreibtischplatte an. Darunter sind eine Unzahl von Schaltern zu sehen. „Damit konnte jeder einzelne Raum abgehört werden … und da oben (er zeigt auf verschiedene Stellen an der Decke) waren die Mikrofone eingebaut um den Klinikchef abzuhören.“
Zwei Welten.
2006 zog ich in ein keines Dorf ganz im Osten der Republik, ein Ortsteil von Forst (Lausitz). Wie bei meinen Reisen durch andere Länder habe ich gefragt, geschaut und zugehört. Ich bin nicht in der DDR aufgewachsen und es steht mir nicht zu, über die DDR zu urteilen.
Ich habe aber wunderbare Menschen kennengelernt und Freundschaften haben sich entwickelt. Das ist das was zählt.
Der Fall der Mauer war ein Segen; wären Menschen aus dem Westen etwas sensibler und weniger arrogant, gäbe es die Mauer in den Köpfen schon lange nicht mehr
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