Der Titel der diesjährigen Retrospektive des 21. FilmFestival Cottbus ist gleichzeitig Programm: Es geht um die Lausitz als Dreh- und Bestimmungsort. Die Region als Seismograph gesellschaftlicher Umbrüche, durch den Veränderungen im ostdeutschen Alltag seit 1990 angezeigt werden. Das Leben in dieser neuen Zeit, die Entwicklung der Landschaft und ihrer Bewohner, Brennpunktthemen wie Arbeits- und Heimatverlust – all das verfolgen die insgesamt 18 Spiel-, Dokumentar und Kurzfilme der Reihe. Zusammengestellt hat diese umfangreiche und vielfältige Auswahl Kuratorin und Filmpublizistin Karin Fritsche.
Den Ausgangspunkt bestimmt Ulrich Weiß Dokumentarfilm ABSTECHER (1992). Der Regisseur begibt sich mit dem Zug auf eine Reise von Berlin nach Jüterbog und durchquert dabei ein Land, das nicht so recht weiß, was ihm zu jener Zeit geschieht.
Eine der größten Alltagsängste in Ostdeutschland ist zweifellos der Verlust des eigenen
Arbeitsplatzes. Ein sehr konträres Erleben des Jobs zeichnet Eva Stolz im Jahr 2008 in ihrem Dokumentarfilm SOLLBRUCHSTELLE. Verschiedene Protagonisten erzählen vom irrwitzigen Festhalten daran, dem Verlust, der schwierigen Suche und immer wieder von der Leere, die sie befällt. Die Regisseurin Elke Hauck berichtet in ihrem Spielfilm KARGER (2007) ebenso, wie ein Mann durch den Verlust seiner Arbeit gefährlich ins Straucheln gerät.
Der Begriff Heimat ist für viele mit der Landschaft, in der sie aufgewachsen sind, verbunden. Seit Jahrzehnten sind die Menschen in der Lausitz von der Veränderung jener Heimat durch den Tagebau betroffen. Einen sehr aktuellen Stand der Diskussion skizziert die Filmstudentin Johanna Ickert in dem gerade erst fertiggestellten Dokumentarfilm ENERGIELAND (2011), der in Cottbus, als Präsentation des Partnerfestivals DOK Leipzig, seine regionale Premiere erlebt. Am Beispiel der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zum Thema CO2-Endlagerung untersucht sie, wie sich Wirtschaftsinteressen und praktizierte Demokratie zueinander verhalten. Die Ohnmacht die bleibt, wenn man seine Heimat verliert, beschreiben gleich mehrere Filme in der Reihe. Unter anderem das 1992 geführte Gespräch über die schmerzhaften Folgen des Tagebaus zwischen Günter Grass und Wolfgang Thierse in MUSIK AUS ALTDÖBERN (Regie: Stefan Richter). Nutzen, Verlust und bizarre Schönheit der ungewohnten Mondlandschaften stehen in eigenwilliger Spannung. In EINER GEHT NOCH (1992) von Gabriele Denecke hallt der gemeinsame Trinkspruch der einstigen Bewohner durch das Geisterdorf, von dem sie auch jetzt – nach der Zerstörung – nicht loskommen. Dass der Lausitzer sich so leicht nicht unterkriegen lässt, beschreibt Sabine Michel in ihrer Komödie HINTEN SCHEISST DIE ENTE (2001) mit viel Augenzwinkern. Nach überstandenem Tagebau kommt nun der neue Besitzer der Nachfolgelandschaft und fordert seine Rechte ein.
Das Ankommen in der Gegenwart zeigen schließlich die Kurzfilme der Reihe. Der Musik-Clip PLATTENBAUTEN (2007) von Erik Schiesko mit einem Hip-Hop-Titel des Cottbusers MC Dissziplin stimmt ein auf die Null-Bock-Stimmung vieler Jugendlicher in Neubausiedlungen oder „kulturfreien“ Dörfern. Angesichts fehlender Arbeit ist die
Abwanderung der letzten Jahre ein gravierendes Problem. Einen solchen Moment des Abschieds wegen einer Arbeitsstelle in den alten Bundesländern schildert Christoph Wermke in ABHAUN! (2004). Der Bus kommt nicht, und so schaut der junge Mann vor der Abreise noch bei
der Freundin vorbei. In DER LETZTE SOMMER (2007) von Britta von Wolf (geb. Nandelstädt) fährt ein Bibliotheksbus ein letztes Mal über die Dörfer. Auch ein Kino gibt es schon lange nicht mehr. Deshalb reist Doreen Töppel mit drei Freundinnen und einer restaurierten TK 35 in EINEN SOMMER AUF CELLULOID ODER WENN FILME REISEN (2006) über Land, um Freiluftkino zu machen. Begeistert von dieser Idee schaut Regisseur Andreas Dresen spontan bei den vier Frauen vorbei und sorgt damit für eine besondere Überraschung. Die Land-Flucht der Jungen ist auch in anderen Regionen ein
altbekanntes Problem. In COTTBUS – COSCHEN. EINE FAHRT INS SACKDORF (2008) von Benjamin Ciupek und Roman Kreusch sieht man vor allem die Alten. Hier gibt es keinerlei Durchgangsverkehr, absolute Stille ist garantiert. Die Dokumentation wird durch ihre Protagonisten und die Kameraführung zur (ungewollten) Komödie und gewann im Jahr 2008 den Amateurfilmwettbewerb des Festivals, die Cottbuser FilmSchau. Was einem Radfahrer in einem solchen Dorf passieren kann, erzählt die kleine Glosse DORFAUE NR. 9 (2007)
von Frank Dietrich. Und der kurze Spielfilm PROVINZREICH (2008) von Annette Anders, Carolin Bischoff und David Zellhöfer wirft einen spöttischen Blick auf die Großstädter – konkret die Berliner –, die zur Abwechslung mal aufs Land fahren.
Für weitere Fragen und Informationen stehen Ihnen Diana Kluge, Johanna Müller und Julia Heim telefonisch unter +49 (355) 4310713 / 16 oder per Email unter [email protected] gern zur Verfügung.
Foto: Filmfestival Cottbus
Der Titel der diesjährigen Retrospektive des 21. FilmFestival Cottbus ist gleichzeitig Programm: Es geht um die Lausitz als Dreh- und Bestimmungsort. Die Region als Seismograph gesellschaftlicher Umbrüche, durch den Veränderungen im ostdeutschen Alltag seit 1990 angezeigt werden. Das Leben in dieser neuen Zeit, die Entwicklung der Landschaft und ihrer Bewohner, Brennpunktthemen wie Arbeits- und Heimatverlust – all das verfolgen die insgesamt 18 Spiel-, Dokumentar und Kurzfilme der Reihe. Zusammengestellt hat diese umfangreiche und vielfältige Auswahl Kuratorin und Filmpublizistin Karin Fritsche.
Den Ausgangspunkt bestimmt Ulrich Weiß Dokumentarfilm ABSTECHER (1992). Der Regisseur begibt sich mit dem Zug auf eine Reise von Berlin nach Jüterbog und durchquert dabei ein Land, das nicht so recht weiß, was ihm zu jener Zeit geschieht.
Eine der größten Alltagsängste in Ostdeutschland ist zweifellos der Verlust des eigenen
Arbeitsplatzes. Ein sehr konträres Erleben des Jobs zeichnet Eva Stolz im Jahr 2008 in ihrem Dokumentarfilm SOLLBRUCHSTELLE. Verschiedene Protagonisten erzählen vom irrwitzigen Festhalten daran, dem Verlust, der schwierigen Suche und immer wieder von der Leere, die sie befällt. Die Regisseurin Elke Hauck berichtet in ihrem Spielfilm KARGER (2007) ebenso, wie ein Mann durch den Verlust seiner Arbeit gefährlich ins Straucheln gerät.
Der Begriff Heimat ist für viele mit der Landschaft, in der sie aufgewachsen sind, verbunden. Seit Jahrzehnten sind die Menschen in der Lausitz von der Veränderung jener Heimat durch den Tagebau betroffen. Einen sehr aktuellen Stand der Diskussion skizziert die Filmstudentin Johanna Ickert in dem gerade erst fertiggestellten Dokumentarfilm ENERGIELAND (2011), der in Cottbus, als Präsentation des Partnerfestivals DOK Leipzig, seine regionale Premiere erlebt. Am Beispiel der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zum Thema CO2-Endlagerung untersucht sie, wie sich Wirtschaftsinteressen und praktizierte Demokratie zueinander verhalten. Die Ohnmacht die bleibt, wenn man seine Heimat verliert, beschreiben gleich mehrere Filme in der Reihe. Unter anderem das 1992 geführte Gespräch über die schmerzhaften Folgen des Tagebaus zwischen Günter Grass und Wolfgang Thierse in MUSIK AUS ALTDÖBERN (Regie: Stefan Richter). Nutzen, Verlust und bizarre Schönheit der ungewohnten Mondlandschaften stehen in eigenwilliger Spannung. In EINER GEHT NOCH (1992) von Gabriele Denecke hallt der gemeinsame Trinkspruch der einstigen Bewohner durch das Geisterdorf, von dem sie auch jetzt – nach der Zerstörung – nicht loskommen. Dass der Lausitzer sich so leicht nicht unterkriegen lässt, beschreibt Sabine Michel in ihrer Komödie HINTEN SCHEISST DIE ENTE (2001) mit viel Augenzwinkern. Nach überstandenem Tagebau kommt nun der neue Besitzer der Nachfolgelandschaft und fordert seine Rechte ein.
Das Ankommen in der Gegenwart zeigen schließlich die Kurzfilme der Reihe. Der Musik-Clip PLATTENBAUTEN (2007) von Erik Schiesko mit einem Hip-Hop-Titel des Cottbusers MC Dissziplin stimmt ein auf die Null-Bock-Stimmung vieler Jugendlicher in Neubausiedlungen oder „kulturfreien“ Dörfern. Angesichts fehlender Arbeit ist die
Abwanderung der letzten Jahre ein gravierendes Problem. Einen solchen Moment des Abschieds wegen einer Arbeitsstelle in den alten Bundesländern schildert Christoph Wermke in ABHAUN! (2004). Der Bus kommt nicht, und so schaut der junge Mann vor der Abreise noch bei
der Freundin vorbei. In DER LETZTE SOMMER (2007) von Britta von Wolf (geb. Nandelstädt) fährt ein Bibliotheksbus ein letztes Mal über die Dörfer. Auch ein Kino gibt es schon lange nicht mehr. Deshalb reist Doreen Töppel mit drei Freundinnen und einer restaurierten TK 35 in EINEN SOMMER AUF CELLULOID ODER WENN FILME REISEN (2006) über Land, um Freiluftkino zu machen. Begeistert von dieser Idee schaut Regisseur Andreas Dresen spontan bei den vier Frauen vorbei und sorgt damit für eine besondere Überraschung. Die Land-Flucht der Jungen ist auch in anderen Regionen ein
altbekanntes Problem. In COTTBUS – COSCHEN. EINE FAHRT INS SACKDORF (2008) von Benjamin Ciupek und Roman Kreusch sieht man vor allem die Alten. Hier gibt es keinerlei Durchgangsverkehr, absolute Stille ist garantiert. Die Dokumentation wird durch ihre Protagonisten und die Kameraführung zur (ungewollten) Komödie und gewann im Jahr 2008 den Amateurfilmwettbewerb des Festivals, die Cottbuser FilmSchau. Was einem Radfahrer in einem solchen Dorf passieren kann, erzählt die kleine Glosse DORFAUE NR. 9 (2007)
von Frank Dietrich. Und der kurze Spielfilm PROVINZREICH (2008) von Annette Anders, Carolin Bischoff und David Zellhöfer wirft einen spöttischen Blick auf die Großstädter – konkret die Berliner –, die zur Abwechslung mal aufs Land fahren.
Für weitere Fragen und Informationen stehen Ihnen Diana Kluge, Johanna Müller und Julia Heim telefonisch unter +49 (355) 4310713 / 16 oder per Email unter [email protected] gern zur Verfügung.
Foto: Filmfestival Cottbus