Am 18. September 2007 wurde im Gubener Stadt- und Industriemuseum die Wanderausstellung “Gestern sind wir gut hier angekommen – Juden in der Niederlausitz” eröffnet, initiiert vom Kreismuseum Finsterwalde.
Ich hatte die Möglichkeit, sowohl mit Dokumenten und Bildern diese Ausstellung zu bereichern als auch einen ausführlichen Text im gleichnamigen Ausstellungsband über die Juden in Guben beizutragen.
Zudem unterbreitete ich in meinem Vortrag an jenem 18. September den zahlreichen Gästen den Vorschlag, eine Straße nach dem Gubener Unternehmer, Kommunalpolitiker und Mäzen Berthold Lissner zu benennen.
Näheres über diesen Mann, der bislang leider keinerlei Würdigung in der Stadtgeschichtsschreibung fand, unterbreitete ich u. a. in einer Zusammenstellung wichtiger Fakten den Gästen der Ausstellung, den Mitgliedern des Gubener Heimatkalendervereins, sowie den Mitgliedern der Gubener Regionalgruppe des Gubener Heimatbundes und schließlich den Fraktionsvorsitzenden der Gubener Stadtverordnetenversammlung.
Herrn Axel Scherler, den Fraktionsvorsitzenden der SPD der Gubener Stadtverordnetenversammlung, bat ich, einen entsprechenden Antrag an die Stadtverwaltung heranzutragen. Dies geschah in einer Stadtverordnetenversammlung im Frühjahr 2008, in der der die Stadtverordneten dem Antrag zur Umbenennung der „Inselstraße“ in “Berthold-Lissner-Straße” einstimmig zustimmten und die Stadtverwaltung zusicherte, dies im Herbst 2008 zu realisieren. Die “Inselstraße” zweigt von der “Gubiner Straße” nach rechts auf das ehemalige Gelände der Lissnerschen Hutfabrik ab.
Berthold Lissner wurde am 5. Februar 1857 in Deutsch-Wronka in Schlesien geboren. Nach seiner Lehre in einem Berliner Fournituren-, Bänder- und Pelzgeschäft bildete er sich weiter und wurde später Teilhaber und Direktor verschiedener Hutfabriken. 1889 machte er sich in Guben selbständig. Seine erste Hutfabrik befand sich links der großen Neißebrücke (Lindengraben, Ecke Klosterstraße), wo später die Commerzbank ihren Sitz hatte. Doch dieser Standort musste bereits nach vier Jahren aufgegeben werden. Als Begründung teilte die Gubener Zeitung (im Folgenden GZ) am 29. März 1893 mit: “Die von Lißner betriebene Hutfabrik (früher Driemelsche Tuchfabrik) muß auf Anordnung der Bauinspektion geräumt werden, da das Gebäude zu sehr belastet erscheint. Die Fabrik soll jetzt nach dem Winkel verlegt werden.”
Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte er 300 Arbeiter und Angestellte. Doch “Im Juni 1895 brannte diese Fabrik bis auf die Grundmauern ab und wurde von Lissner und den Verpächtern von Grund auf neu erbaut. Dadurch war sie die modernste Hutfabrik Deutschlands geworden.” (GZ 25. Juni 1928) In den folgenden Jahren kam es zur weiteren Vergrößerung seiner Firma, die 1907 schon 1300 Personen beschäftigte. Damit zählte die Lissner’sche Hutfabrik neben derjenigen von Carl Gottlob Wilke und der Berlin-Gubener Hutfabrik AG (BGH) zu den drei bedeutendsten in Guben.
Das Jahr 1907 brachte schließlich eine wichtige Veränderung für die Hutfabrik von Berthold Lissner, nämlich ihre Angliederung an die BGH. Die Gründe dafür waren rein wirtschaftlicher Natur. In der Festschrift “50 Jahre Berlin-Gubener Hutfabrik Aktiengesellschaft” von 1938 heißt es dazu: “Neben der möglichst vielseitigen Orientierung der Produktion zum Ausgleich von Modeschwankungen war es noch ein anderer Gedanke, der die Fusion der beiden Werke nahe legte. Die Preisschwankungen am Rohstoffmarkt konnten nur in den seltensten Fällen durch rechtzeitige Preissteigerungen bei den Fertigprodukten ausgeglichen werden. Der Zuammenschluß großer und führender Unternehmen auf dem Gebiete der Hutindustrie konnte so viel der Gesamtproduktion in einer Hand vereinigen, daß man eine vernünftige Preisregelung des Produkts durchführen konnte.” (S. 28) In der Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der BGH von 1913 ist auf S. 13 weiter zu erfahren, dass Berthold Lissner dabei in den Vorstand der BGH eintrat. Zudem blieb er Leiter seines früheren Betriebes blieb, der die Bezeichnung “Abteilung Lissner” innerhalb des Konzerns führte und somit auch eine gewisse Eigenständigkeit behielt.
Weiter heißt es in der genannten Festschrift: “Als rastlos fleißiger und intelligenter Kaufmann und Fabrikant bestens bekannt, erfreut sich Herr Lissner auch als Mensch der allgemeinen Hochschätzung und Anerkennung sowohl bei seinen Angestellten und Arbeitern, wie auch bei seinen Mitbürgern im weiteren Sinne. Auch er hat neben seiner unermüdlichen geschäftlichen Tätigkeit noch die Zeit gefunden, sich mit dem lebhaftesten Interesse den kommunalen Angelegenheiten zu widmen.” (S. 14)
Hier wird auf seine Tätigkeit als Mitglied der Gubener Stadtverordnetenversammlung angespielt, die Berthold Lissner von Januar 1898 ausübte und bis September 1919 fortsetzte. Mithin war er 21 Jahre Mitglied im Stadtparlament tätig und gehörte als Unternehmer der bürgerlichen Fraktion an. Zu jener Zeit kam auch in Guben das preußische Dreiklassen-Wahlrecht zur Anwendung, das eine Unterscheidung der Wähler nach ihrem Steueraufkommen vorschrieb.
Da Berthold Lissner als erfolgreicher Unternehmer auch eine entsprechend hohe Steuer zahlte, hätte er eigentlich in der 1. Abteilung (der mit der höchsten Steuerklasse) für die Stadtverordnetenversammlung kandidieren können. Doch um seine soziale Einstellung unter Beweis zu stellen, kandidierte er für die 3. Abteilung, also vor allem für das Klientel der Arbeiter und Angestellten, die am wenigsten Steuern zahlten. Diese Konstellation barg von vornherein Konfliktpotenzial mit der seit den 1890er Jahre auch in Guben erstarkenden Sozialdemokratie, die in Berthold Lissner einen unliebsamen Konkurrenten in den Wahlkampfzeiten sah.
So kam es regelmäßig zu Anfeindungen bei Wahlkampfveranstaltungen, die sich in den hiesigen zeitgenössischen Zeitungen nachverfolgen lassen. So heißt es z. B. in der Gubener Zeitung vom 3. Dezember 1910: “Die Bürgerschaft werde gegenüber den unflätigen Angriffen von sozialdemokratischer Seite Herrn Lißner beweisen, daß er ihr lieb und wert sei.”
Zu jener Zeit hatte er aufgrund gesundheitlicher Probleme bereits sein Ausscheiden aus der Gubener Stadtverordnetenversammlung erwogen.
Nur wenige Wochen später sah sich Berthold Lissner selbst veranlasst, bei einer Wählerversammlung der 3. Abteilung Vorwürfe der SPD zurückzuweisen und sie als persönliche Beleidigungen und Diffamierungen offenzulegen, etwa, dass er seine Wohltätigkeitseinrichtungen nur durch Lohnkürzungen bezahle und dass er den Lohn gekürzt hätte. (Vergl.: GZ 12. Januar 1911) Diese sich bei den Kommunalwahlkämpfen wiederholenden Auseinandersetzungen eskalierten 1919 und führten dazu, dass Berthold Lissner sein Stadtverordnetenmandat niederlegte. (Vergl.: GZ 23. September 1919)
Am Tag danach konnte man in der “Gubener Zeitung” lesen: “Die Stadtverordneten-Versammlung verliert in ihm ein überaus kenntnisreiches Mitglied, das sich in der Bürgerschaft großer Wertschätzung erfreut. … Herr Lißner war von seinem Amtsantritt an ein Verfechter des gleichen Wahlrechts. … Das Wohlergehen der Arbeiterschaft lag ihm als einen von sozialem Empfinden erfüllten Mann besonders am Herzen. Leider wurde er trotz seiner sozialen Gesinnung und seines Eintretens für eine zielbewusste Arbeiterfürsorge oft während des kommunalen Wahlkampfes von seinen Gegnern ungerechter Weise angegriffen, aber alle Anfeindungen vermochten nicht, seiner allgemeinen Wertschätzung Abbruch zu tun.” (GZ 24. September 1919)
Der Vorwurf unsozialen Verhaltens musste ihn in der Tat hart treffen, hatte er doch bereits 1911 in seinem Betrieb die 10stündige Arbeitszeit eingeführt, als in anderen derartigen Betrieben noch die 11-12stündige Arbeitszeit üblich war. (Vergl.: Gubener Tageblatt 12. Januar 1911)
Als am 18. Dezember 1913 das erste Gubener Milchhäuschen des Gemeinnützigen Vereins für Milchausschank zu Berlin an der Großen Neißebrücke eröffnet wurde, hatte er 1000 Mark zu den Baukosten beigetragen. (Vergl.: GZ 17. September 1913)
Weit bekannter ist seine Unterstützung des “Gubener Ruderclubs 1905”. “Er gab 1911 das zum Bau des Clubhauses (siehe Abbildung) notwendige Gelände, steuerte auch zum Bau selbst eine namhafte Summe bei und gehörte zu den regsten Mitgliedern der Baukommission. In den 22 Jahren seiner treuen Mitgliedschaft ist der Club immer wieder Gegenstand der Hilfe und Unterstützung des bedeutenden Mannes gewesen.” (GZ 10. November 1930)
Am 8. Mai 1927 stiftete er das angrenzende Gelände zur Erweiterung der Anlagen des Ruderclubs (ebenda).
Zu nennen ist ebenfalls seine Unterstützung für die “Turnerschaft Guben e.V.”, der er im Spätsommer 1919 einen Sport- und Spielplatz am Eingang des Koenigparkes stiftete und der am 29. September 1919 mit einem Gauturnen der märkischen Turner eingeweiht wurde. (Vergl.: GZ 10. August 1919 und 30. September 1919.) Beide Sportvereine ernannten ihn in Anerkennung seiner Stiftungen zu Ehrenmitgliedern. Ende August 1929 verlieh die Turnerschaft diesem Platz den Namen “Berthold-Lissner-Platz”. Der “Gubener Ruderclub 1905 e.V.” weihte ihm zu seinem 25. Stiftungsfest Anfang November 1930 einen Gedenkstein auf dem Gelände des Ruderhauses im Koenigpark. (Vergl.: GZ 31. August 1929 und 10. November 1930)
Zu diesem Zeitpunkt zählte Berthold Lissner jedoch schon nicht mehr zu den Lebenden, denn er war am 24. Juni 1928 im Alter von 71 Jahren in Berlin verstorben.
Am Tage darauf erschien in der Gubener Zeitung eine umfangreiche Würdigung des Verstorbenen in der es u. a. heißt: “Mit ihm verlieren wir einen Mann, dessen Namen in Guben einen wunderbaren Klang hatte, den Klang, der kündet von opfernder Liebe, von Hilfsbereitschaft und Güte. Wir neigen das Haupt und fragen: wo ist noch einer wie dieser?” … “Bei dieser Gelegenheit soll nicht verschwiegen werden, daß er für seine Arbeiterschaft stets ein warmfühlendes Herz hatte, so daß die Lißnersche Fabrik geradezu ein Musterbeispiel guter Verträglichkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war.”
Ehrenamtlich war er lange Jahre Vorsitzender der Gubener Ortskrankenkasse, Mitglied im Vorstand der Berufsgenossenschaft der Bekleidungsindustrie sowie im Aufsichtsrat der Gubener Vereinsbank tätig. (GZ 4. Februar 1927)
Zur Familie ist zu ergänzen, dass seine Frau Henriette Lissner, geb. Borchardt, am 13. April 1932 im Alter von 69 Jahren “an den Folgen eines Unfalls” starb.(GZ 16. April 1932)
Von ihren drei Söhnen, fiel Heinz Lißner, geboren am 30 Oktober 1897 in Guben geboren, am 26. Juli 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Er war noch nicht mal 19 Jahre alt. (Vergl.: GZ 1. August 1916)
Die beiden Brüder Walter und Helmut waren später als Prokuristen in verantwortlicher Stelle in der Berlin-Gubener Hutfabrik AG tätig.
Als Juden verloren sie Ende der 1930er Jahre im Rahmen der nationalsozialistischen “Arisierungsmaßnahmen” diese Stellung. Walter Lissner floh mit seiner Frau Elfriede, geborene Ziesche, nach Bolivien und kehrte erst Anfang der 1950er Jahre nach Deutschland zurück. Er starb am 2. September 1961. Helmut Lissner dagegen kam im Oktober 1944 in Auschwitz um. (Vergl.: Rund um den Dicken Turm; Gubener Heimatbrief Nr. 19, Dezember 1961, S. 19 f)
Die Hutfabrik von Berthold Lissner gibt es nicht mehr. Die Maschinen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparationsleistungen demontiert. Schließlich nutzte der VEB Kombinat Getreidewirtschaft bis zu seiner Auflösung Anfang der 1990er Jahre die Gebäude als Lager. Mitte der 1990er Jahre wurden sie abgerissen.
Auf dem Gelände entstanden inzwischen schmucke Einfamilienhäuser.
Auch das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 1905 existiert nicht mehr und der Sportplatz der Turnerschaft Guben am Eingang des Königparks fristet ein trauriges Dasein.
Wo einst Sport und Spiel die Jugend erfreute, wuchert die Natur.
Die deutschen Meistertitel des Willi Dohme vom Gubener Ruderclub indes bleiben für immer in der sportlichen Ehrenliste vertreten.
Das Wohnhaus von Berthold Lissner in der Alten Poststraße 32 war während der DDR lange Jahre Sitz der SED-Kreisleitung, die kein Problem damit hatte, früheres jüdisches Eigentum entschädigungslos in Besitz zu nehmen. Seit einigen Jahren wird das Gebäude als private Wohnung genutzt. Und wer den Gedenkstein für Berthold Lissner aus dem Jahre 1930 sucht, wird ihn finden, wenn auch die Schrifttafel fehlt.
Er trotzte den Jahrzehnten, überlebte Staaten und kündet still, doch unverdrossen von einem sozial engagierten Gubener Unternehmer, wie er auch heute in der Neißestadt dringend nötig wäre.
Foto: Das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 05 – eine Stiftung von Berthold Lissner. Foto um 1922, Sammlung Andreas Peter
Am 18. September 2007 wurde im Gubener Stadt- und Industriemuseum die Wanderausstellung “Gestern sind wir gut hier angekommen – Juden in der Niederlausitz” eröffnet, initiiert vom Kreismuseum Finsterwalde.
Ich hatte die Möglichkeit, sowohl mit Dokumenten und Bildern diese Ausstellung zu bereichern als auch einen ausführlichen Text im gleichnamigen Ausstellungsband über die Juden in Guben beizutragen.
Zudem unterbreitete ich in meinem Vortrag an jenem 18. September den zahlreichen Gästen den Vorschlag, eine Straße nach dem Gubener Unternehmer, Kommunalpolitiker und Mäzen Berthold Lissner zu benennen.
Näheres über diesen Mann, der bislang leider keinerlei Würdigung in der Stadtgeschichtsschreibung fand, unterbreitete ich u. a. in einer Zusammenstellung wichtiger Fakten den Gästen der Ausstellung, den Mitgliedern des Gubener Heimatkalendervereins, sowie den Mitgliedern der Gubener Regionalgruppe des Gubener Heimatbundes und schließlich den Fraktionsvorsitzenden der Gubener Stadtverordnetenversammlung.
Herrn Axel Scherler, den Fraktionsvorsitzenden der SPD der Gubener Stadtverordnetenversammlung, bat ich, einen entsprechenden Antrag an die Stadtverwaltung heranzutragen. Dies geschah in einer Stadtverordnetenversammlung im Frühjahr 2008, in der der die Stadtverordneten dem Antrag zur Umbenennung der „Inselstraße“ in “Berthold-Lissner-Straße” einstimmig zustimmten und die Stadtverwaltung zusicherte, dies im Herbst 2008 zu realisieren. Die “Inselstraße” zweigt von der “Gubiner Straße” nach rechts auf das ehemalige Gelände der Lissnerschen Hutfabrik ab.
Berthold Lissner wurde am 5. Februar 1857 in Deutsch-Wronka in Schlesien geboren. Nach seiner Lehre in einem Berliner Fournituren-, Bänder- und Pelzgeschäft bildete er sich weiter und wurde später Teilhaber und Direktor verschiedener Hutfabriken. 1889 machte er sich in Guben selbständig. Seine erste Hutfabrik befand sich links der großen Neißebrücke (Lindengraben, Ecke Klosterstraße), wo später die Commerzbank ihren Sitz hatte. Doch dieser Standort musste bereits nach vier Jahren aufgegeben werden. Als Begründung teilte die Gubener Zeitung (im Folgenden GZ) am 29. März 1893 mit: “Die von Lißner betriebene Hutfabrik (früher Driemelsche Tuchfabrik) muß auf Anordnung der Bauinspektion geräumt werden, da das Gebäude zu sehr belastet erscheint. Die Fabrik soll jetzt nach dem Winkel verlegt werden.”
Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte er 300 Arbeiter und Angestellte. Doch “Im Juni 1895 brannte diese Fabrik bis auf die Grundmauern ab und wurde von Lissner und den Verpächtern von Grund auf neu erbaut. Dadurch war sie die modernste Hutfabrik Deutschlands geworden.” (GZ 25. Juni 1928) In den folgenden Jahren kam es zur weiteren Vergrößerung seiner Firma, die 1907 schon 1300 Personen beschäftigte. Damit zählte die Lissner’sche Hutfabrik neben derjenigen von Carl Gottlob Wilke und der Berlin-Gubener Hutfabrik AG (BGH) zu den drei bedeutendsten in Guben.
Das Jahr 1907 brachte schließlich eine wichtige Veränderung für die Hutfabrik von Berthold Lissner, nämlich ihre Angliederung an die BGH. Die Gründe dafür waren rein wirtschaftlicher Natur. In der Festschrift “50 Jahre Berlin-Gubener Hutfabrik Aktiengesellschaft” von 1938 heißt es dazu: “Neben der möglichst vielseitigen Orientierung der Produktion zum Ausgleich von Modeschwankungen war es noch ein anderer Gedanke, der die Fusion der beiden Werke nahe legte. Die Preisschwankungen am Rohstoffmarkt konnten nur in den seltensten Fällen durch rechtzeitige Preissteigerungen bei den Fertigprodukten ausgeglichen werden. Der Zuammenschluß großer und führender Unternehmen auf dem Gebiete der Hutindustrie konnte so viel der Gesamtproduktion in einer Hand vereinigen, daß man eine vernünftige Preisregelung des Produkts durchführen konnte.” (S. 28) In der Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der BGH von 1913 ist auf S. 13 weiter zu erfahren, dass Berthold Lissner dabei in den Vorstand der BGH eintrat. Zudem blieb er Leiter seines früheren Betriebes blieb, der die Bezeichnung “Abteilung Lissner” innerhalb des Konzerns führte und somit auch eine gewisse Eigenständigkeit behielt.
Weiter heißt es in der genannten Festschrift: “Als rastlos fleißiger und intelligenter Kaufmann und Fabrikant bestens bekannt, erfreut sich Herr Lissner auch als Mensch der allgemeinen Hochschätzung und Anerkennung sowohl bei seinen Angestellten und Arbeitern, wie auch bei seinen Mitbürgern im weiteren Sinne. Auch er hat neben seiner unermüdlichen geschäftlichen Tätigkeit noch die Zeit gefunden, sich mit dem lebhaftesten Interesse den kommunalen Angelegenheiten zu widmen.” (S. 14)
Hier wird auf seine Tätigkeit als Mitglied der Gubener Stadtverordnetenversammlung angespielt, die Berthold Lissner von Januar 1898 ausübte und bis September 1919 fortsetzte. Mithin war er 21 Jahre Mitglied im Stadtparlament tätig und gehörte als Unternehmer der bürgerlichen Fraktion an. Zu jener Zeit kam auch in Guben das preußische Dreiklassen-Wahlrecht zur Anwendung, das eine Unterscheidung der Wähler nach ihrem Steueraufkommen vorschrieb.
Da Berthold Lissner als erfolgreicher Unternehmer auch eine entsprechend hohe Steuer zahlte, hätte er eigentlich in der 1. Abteilung (der mit der höchsten Steuerklasse) für die Stadtverordnetenversammlung kandidieren können. Doch um seine soziale Einstellung unter Beweis zu stellen, kandidierte er für die 3. Abteilung, also vor allem für das Klientel der Arbeiter und Angestellten, die am wenigsten Steuern zahlten. Diese Konstellation barg von vornherein Konfliktpotenzial mit der seit den 1890er Jahre auch in Guben erstarkenden Sozialdemokratie, die in Berthold Lissner einen unliebsamen Konkurrenten in den Wahlkampfzeiten sah.
So kam es regelmäßig zu Anfeindungen bei Wahlkampfveranstaltungen, die sich in den hiesigen zeitgenössischen Zeitungen nachverfolgen lassen. So heißt es z. B. in der Gubener Zeitung vom 3. Dezember 1910: “Die Bürgerschaft werde gegenüber den unflätigen Angriffen von sozialdemokratischer Seite Herrn Lißner beweisen, daß er ihr lieb und wert sei.”
Zu jener Zeit hatte er aufgrund gesundheitlicher Probleme bereits sein Ausscheiden aus der Gubener Stadtverordnetenversammlung erwogen.
Nur wenige Wochen später sah sich Berthold Lissner selbst veranlasst, bei einer Wählerversammlung der 3. Abteilung Vorwürfe der SPD zurückzuweisen und sie als persönliche Beleidigungen und Diffamierungen offenzulegen, etwa, dass er seine Wohltätigkeitseinrichtungen nur durch Lohnkürzungen bezahle und dass er den Lohn gekürzt hätte. (Vergl.: GZ 12. Januar 1911) Diese sich bei den Kommunalwahlkämpfen wiederholenden Auseinandersetzungen eskalierten 1919 und führten dazu, dass Berthold Lissner sein Stadtverordnetenmandat niederlegte. (Vergl.: GZ 23. September 1919)
Am Tag danach konnte man in der “Gubener Zeitung” lesen: “Die Stadtverordneten-Versammlung verliert in ihm ein überaus kenntnisreiches Mitglied, das sich in der Bürgerschaft großer Wertschätzung erfreut. … Herr Lißner war von seinem Amtsantritt an ein Verfechter des gleichen Wahlrechts. … Das Wohlergehen der Arbeiterschaft lag ihm als einen von sozialem Empfinden erfüllten Mann besonders am Herzen. Leider wurde er trotz seiner sozialen Gesinnung und seines Eintretens für eine zielbewusste Arbeiterfürsorge oft während des kommunalen Wahlkampfes von seinen Gegnern ungerechter Weise angegriffen, aber alle Anfeindungen vermochten nicht, seiner allgemeinen Wertschätzung Abbruch zu tun.” (GZ 24. September 1919)
Der Vorwurf unsozialen Verhaltens musste ihn in der Tat hart treffen, hatte er doch bereits 1911 in seinem Betrieb die 10stündige Arbeitszeit eingeführt, als in anderen derartigen Betrieben noch die 11-12stündige Arbeitszeit üblich war. (Vergl.: Gubener Tageblatt 12. Januar 1911)
Als am 18. Dezember 1913 das erste Gubener Milchhäuschen des Gemeinnützigen Vereins für Milchausschank zu Berlin an der Großen Neißebrücke eröffnet wurde, hatte er 1000 Mark zu den Baukosten beigetragen. (Vergl.: GZ 17. September 1913)
Weit bekannter ist seine Unterstützung des “Gubener Ruderclubs 1905”. “Er gab 1911 das zum Bau des Clubhauses (siehe Abbildung) notwendige Gelände, steuerte auch zum Bau selbst eine namhafte Summe bei und gehörte zu den regsten Mitgliedern der Baukommission. In den 22 Jahren seiner treuen Mitgliedschaft ist der Club immer wieder Gegenstand der Hilfe und Unterstützung des bedeutenden Mannes gewesen.” (GZ 10. November 1930)
Am 8. Mai 1927 stiftete er das angrenzende Gelände zur Erweiterung der Anlagen des Ruderclubs (ebenda).
Zu nennen ist ebenfalls seine Unterstützung für die “Turnerschaft Guben e.V.”, der er im Spätsommer 1919 einen Sport- und Spielplatz am Eingang des Koenigparkes stiftete und der am 29. September 1919 mit einem Gauturnen der märkischen Turner eingeweiht wurde. (Vergl.: GZ 10. August 1919 und 30. September 1919.) Beide Sportvereine ernannten ihn in Anerkennung seiner Stiftungen zu Ehrenmitgliedern. Ende August 1929 verlieh die Turnerschaft diesem Platz den Namen “Berthold-Lissner-Platz”. Der “Gubener Ruderclub 1905 e.V.” weihte ihm zu seinem 25. Stiftungsfest Anfang November 1930 einen Gedenkstein auf dem Gelände des Ruderhauses im Koenigpark. (Vergl.: GZ 31. August 1929 und 10. November 1930)
Zu diesem Zeitpunkt zählte Berthold Lissner jedoch schon nicht mehr zu den Lebenden, denn er war am 24. Juni 1928 im Alter von 71 Jahren in Berlin verstorben.
Am Tage darauf erschien in der Gubener Zeitung eine umfangreiche Würdigung des Verstorbenen in der es u. a. heißt: “Mit ihm verlieren wir einen Mann, dessen Namen in Guben einen wunderbaren Klang hatte, den Klang, der kündet von opfernder Liebe, von Hilfsbereitschaft und Güte. Wir neigen das Haupt und fragen: wo ist noch einer wie dieser?” … “Bei dieser Gelegenheit soll nicht verschwiegen werden, daß er für seine Arbeiterschaft stets ein warmfühlendes Herz hatte, so daß die Lißnersche Fabrik geradezu ein Musterbeispiel guter Verträglichkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war.”
Ehrenamtlich war er lange Jahre Vorsitzender der Gubener Ortskrankenkasse, Mitglied im Vorstand der Berufsgenossenschaft der Bekleidungsindustrie sowie im Aufsichtsrat der Gubener Vereinsbank tätig. (GZ 4. Februar 1927)
Zur Familie ist zu ergänzen, dass seine Frau Henriette Lissner, geb. Borchardt, am 13. April 1932 im Alter von 69 Jahren “an den Folgen eines Unfalls” starb.(GZ 16. April 1932)
Von ihren drei Söhnen, fiel Heinz Lißner, geboren am 30 Oktober 1897 in Guben geboren, am 26. Juli 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Er war noch nicht mal 19 Jahre alt. (Vergl.: GZ 1. August 1916)
Die beiden Brüder Walter und Helmut waren später als Prokuristen in verantwortlicher Stelle in der Berlin-Gubener Hutfabrik AG tätig.
Als Juden verloren sie Ende der 1930er Jahre im Rahmen der nationalsozialistischen “Arisierungsmaßnahmen” diese Stellung. Walter Lissner floh mit seiner Frau Elfriede, geborene Ziesche, nach Bolivien und kehrte erst Anfang der 1950er Jahre nach Deutschland zurück. Er starb am 2. September 1961. Helmut Lissner dagegen kam im Oktober 1944 in Auschwitz um. (Vergl.: Rund um den Dicken Turm; Gubener Heimatbrief Nr. 19, Dezember 1961, S. 19 f)
Die Hutfabrik von Berthold Lissner gibt es nicht mehr. Die Maschinen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparationsleistungen demontiert. Schließlich nutzte der VEB Kombinat Getreidewirtschaft bis zu seiner Auflösung Anfang der 1990er Jahre die Gebäude als Lager. Mitte der 1990er Jahre wurden sie abgerissen.
Auf dem Gelände entstanden inzwischen schmucke Einfamilienhäuser.
Auch das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 1905 existiert nicht mehr und der Sportplatz der Turnerschaft Guben am Eingang des Königparks fristet ein trauriges Dasein.
Wo einst Sport und Spiel die Jugend erfreute, wuchert die Natur.
Die deutschen Meistertitel des Willi Dohme vom Gubener Ruderclub indes bleiben für immer in der sportlichen Ehrenliste vertreten.
Das Wohnhaus von Berthold Lissner in der Alten Poststraße 32 war während der DDR lange Jahre Sitz der SED-Kreisleitung, die kein Problem damit hatte, früheres jüdisches Eigentum entschädigungslos in Besitz zu nehmen. Seit einigen Jahren wird das Gebäude als private Wohnung genutzt. Und wer den Gedenkstein für Berthold Lissner aus dem Jahre 1930 sucht, wird ihn finden, wenn auch die Schrifttafel fehlt.
Er trotzte den Jahrzehnten, überlebte Staaten und kündet still, doch unverdrossen von einem sozial engagierten Gubener Unternehmer, wie er auch heute in der Neißestadt dringend nötig wäre.
Foto: Das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 05 – eine Stiftung von Berthold Lissner. Foto um 1922, Sammlung Andreas Peter
Am 18. September 2007 wurde im Gubener Stadt- und Industriemuseum die Wanderausstellung “Gestern sind wir gut hier angekommen – Juden in der Niederlausitz” eröffnet, initiiert vom Kreismuseum Finsterwalde.
Ich hatte die Möglichkeit, sowohl mit Dokumenten und Bildern diese Ausstellung zu bereichern als auch einen ausführlichen Text im gleichnamigen Ausstellungsband über die Juden in Guben beizutragen.
Zudem unterbreitete ich in meinem Vortrag an jenem 18. September den zahlreichen Gästen den Vorschlag, eine Straße nach dem Gubener Unternehmer, Kommunalpolitiker und Mäzen Berthold Lissner zu benennen.
Näheres über diesen Mann, der bislang leider keinerlei Würdigung in der Stadtgeschichtsschreibung fand, unterbreitete ich u. a. in einer Zusammenstellung wichtiger Fakten den Gästen der Ausstellung, den Mitgliedern des Gubener Heimatkalendervereins, sowie den Mitgliedern der Gubener Regionalgruppe des Gubener Heimatbundes und schließlich den Fraktionsvorsitzenden der Gubener Stadtverordnetenversammlung.
Herrn Axel Scherler, den Fraktionsvorsitzenden der SPD der Gubener Stadtverordnetenversammlung, bat ich, einen entsprechenden Antrag an die Stadtverwaltung heranzutragen. Dies geschah in einer Stadtverordnetenversammlung im Frühjahr 2008, in der der die Stadtverordneten dem Antrag zur Umbenennung der „Inselstraße“ in “Berthold-Lissner-Straße” einstimmig zustimmten und die Stadtverwaltung zusicherte, dies im Herbst 2008 zu realisieren. Die “Inselstraße” zweigt von der “Gubiner Straße” nach rechts auf das ehemalige Gelände der Lissnerschen Hutfabrik ab.
Berthold Lissner wurde am 5. Februar 1857 in Deutsch-Wronka in Schlesien geboren. Nach seiner Lehre in einem Berliner Fournituren-, Bänder- und Pelzgeschäft bildete er sich weiter und wurde später Teilhaber und Direktor verschiedener Hutfabriken. 1889 machte er sich in Guben selbständig. Seine erste Hutfabrik befand sich links der großen Neißebrücke (Lindengraben, Ecke Klosterstraße), wo später die Commerzbank ihren Sitz hatte. Doch dieser Standort musste bereits nach vier Jahren aufgegeben werden. Als Begründung teilte die Gubener Zeitung (im Folgenden GZ) am 29. März 1893 mit: “Die von Lißner betriebene Hutfabrik (früher Driemelsche Tuchfabrik) muß auf Anordnung der Bauinspektion geräumt werden, da das Gebäude zu sehr belastet erscheint. Die Fabrik soll jetzt nach dem Winkel verlegt werden.”
Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte er 300 Arbeiter und Angestellte. Doch “Im Juni 1895 brannte diese Fabrik bis auf die Grundmauern ab und wurde von Lissner und den Verpächtern von Grund auf neu erbaut. Dadurch war sie die modernste Hutfabrik Deutschlands geworden.” (GZ 25. Juni 1928) In den folgenden Jahren kam es zur weiteren Vergrößerung seiner Firma, die 1907 schon 1300 Personen beschäftigte. Damit zählte die Lissner’sche Hutfabrik neben derjenigen von Carl Gottlob Wilke und der Berlin-Gubener Hutfabrik AG (BGH) zu den drei bedeutendsten in Guben.
Das Jahr 1907 brachte schließlich eine wichtige Veränderung für die Hutfabrik von Berthold Lissner, nämlich ihre Angliederung an die BGH. Die Gründe dafür waren rein wirtschaftlicher Natur. In der Festschrift “50 Jahre Berlin-Gubener Hutfabrik Aktiengesellschaft” von 1938 heißt es dazu: “Neben der möglichst vielseitigen Orientierung der Produktion zum Ausgleich von Modeschwankungen war es noch ein anderer Gedanke, der die Fusion der beiden Werke nahe legte. Die Preisschwankungen am Rohstoffmarkt konnten nur in den seltensten Fällen durch rechtzeitige Preissteigerungen bei den Fertigprodukten ausgeglichen werden. Der Zuammenschluß großer und führender Unternehmen auf dem Gebiete der Hutindustrie konnte so viel der Gesamtproduktion in einer Hand vereinigen, daß man eine vernünftige Preisregelung des Produkts durchführen konnte.” (S. 28) In der Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der BGH von 1913 ist auf S. 13 weiter zu erfahren, dass Berthold Lissner dabei in den Vorstand der BGH eintrat. Zudem blieb er Leiter seines früheren Betriebes blieb, der die Bezeichnung “Abteilung Lissner” innerhalb des Konzerns führte und somit auch eine gewisse Eigenständigkeit behielt.
Weiter heißt es in der genannten Festschrift: “Als rastlos fleißiger und intelligenter Kaufmann und Fabrikant bestens bekannt, erfreut sich Herr Lissner auch als Mensch der allgemeinen Hochschätzung und Anerkennung sowohl bei seinen Angestellten und Arbeitern, wie auch bei seinen Mitbürgern im weiteren Sinne. Auch er hat neben seiner unermüdlichen geschäftlichen Tätigkeit noch die Zeit gefunden, sich mit dem lebhaftesten Interesse den kommunalen Angelegenheiten zu widmen.” (S. 14)
Hier wird auf seine Tätigkeit als Mitglied der Gubener Stadtverordnetenversammlung angespielt, die Berthold Lissner von Januar 1898 ausübte und bis September 1919 fortsetzte. Mithin war er 21 Jahre Mitglied im Stadtparlament tätig und gehörte als Unternehmer der bürgerlichen Fraktion an. Zu jener Zeit kam auch in Guben das preußische Dreiklassen-Wahlrecht zur Anwendung, das eine Unterscheidung der Wähler nach ihrem Steueraufkommen vorschrieb.
Da Berthold Lissner als erfolgreicher Unternehmer auch eine entsprechend hohe Steuer zahlte, hätte er eigentlich in der 1. Abteilung (der mit der höchsten Steuerklasse) für die Stadtverordnetenversammlung kandidieren können. Doch um seine soziale Einstellung unter Beweis zu stellen, kandidierte er für die 3. Abteilung, also vor allem für das Klientel der Arbeiter und Angestellten, die am wenigsten Steuern zahlten. Diese Konstellation barg von vornherein Konfliktpotenzial mit der seit den 1890er Jahre auch in Guben erstarkenden Sozialdemokratie, die in Berthold Lissner einen unliebsamen Konkurrenten in den Wahlkampfzeiten sah.
So kam es regelmäßig zu Anfeindungen bei Wahlkampfveranstaltungen, die sich in den hiesigen zeitgenössischen Zeitungen nachverfolgen lassen. So heißt es z. B. in der Gubener Zeitung vom 3. Dezember 1910: “Die Bürgerschaft werde gegenüber den unflätigen Angriffen von sozialdemokratischer Seite Herrn Lißner beweisen, daß er ihr lieb und wert sei.”
Zu jener Zeit hatte er aufgrund gesundheitlicher Probleme bereits sein Ausscheiden aus der Gubener Stadtverordnetenversammlung erwogen.
Nur wenige Wochen später sah sich Berthold Lissner selbst veranlasst, bei einer Wählerversammlung der 3. Abteilung Vorwürfe der SPD zurückzuweisen und sie als persönliche Beleidigungen und Diffamierungen offenzulegen, etwa, dass er seine Wohltätigkeitseinrichtungen nur durch Lohnkürzungen bezahle und dass er den Lohn gekürzt hätte. (Vergl.: GZ 12. Januar 1911) Diese sich bei den Kommunalwahlkämpfen wiederholenden Auseinandersetzungen eskalierten 1919 und führten dazu, dass Berthold Lissner sein Stadtverordnetenmandat niederlegte. (Vergl.: GZ 23. September 1919)
Am Tag danach konnte man in der “Gubener Zeitung” lesen: “Die Stadtverordneten-Versammlung verliert in ihm ein überaus kenntnisreiches Mitglied, das sich in der Bürgerschaft großer Wertschätzung erfreut. … Herr Lißner war von seinem Amtsantritt an ein Verfechter des gleichen Wahlrechts. … Das Wohlergehen der Arbeiterschaft lag ihm als einen von sozialem Empfinden erfüllten Mann besonders am Herzen. Leider wurde er trotz seiner sozialen Gesinnung und seines Eintretens für eine zielbewusste Arbeiterfürsorge oft während des kommunalen Wahlkampfes von seinen Gegnern ungerechter Weise angegriffen, aber alle Anfeindungen vermochten nicht, seiner allgemeinen Wertschätzung Abbruch zu tun.” (GZ 24. September 1919)
Der Vorwurf unsozialen Verhaltens musste ihn in der Tat hart treffen, hatte er doch bereits 1911 in seinem Betrieb die 10stündige Arbeitszeit eingeführt, als in anderen derartigen Betrieben noch die 11-12stündige Arbeitszeit üblich war. (Vergl.: Gubener Tageblatt 12. Januar 1911)
Als am 18. Dezember 1913 das erste Gubener Milchhäuschen des Gemeinnützigen Vereins für Milchausschank zu Berlin an der Großen Neißebrücke eröffnet wurde, hatte er 1000 Mark zu den Baukosten beigetragen. (Vergl.: GZ 17. September 1913)
Weit bekannter ist seine Unterstützung des “Gubener Ruderclubs 1905”. “Er gab 1911 das zum Bau des Clubhauses (siehe Abbildung) notwendige Gelände, steuerte auch zum Bau selbst eine namhafte Summe bei und gehörte zu den regsten Mitgliedern der Baukommission. In den 22 Jahren seiner treuen Mitgliedschaft ist der Club immer wieder Gegenstand der Hilfe und Unterstützung des bedeutenden Mannes gewesen.” (GZ 10. November 1930)
Am 8. Mai 1927 stiftete er das angrenzende Gelände zur Erweiterung der Anlagen des Ruderclubs (ebenda).
Zu nennen ist ebenfalls seine Unterstützung für die “Turnerschaft Guben e.V.”, der er im Spätsommer 1919 einen Sport- und Spielplatz am Eingang des Koenigparkes stiftete und der am 29. September 1919 mit einem Gauturnen der märkischen Turner eingeweiht wurde. (Vergl.: GZ 10. August 1919 und 30. September 1919.) Beide Sportvereine ernannten ihn in Anerkennung seiner Stiftungen zu Ehrenmitgliedern. Ende August 1929 verlieh die Turnerschaft diesem Platz den Namen “Berthold-Lissner-Platz”. Der “Gubener Ruderclub 1905 e.V.” weihte ihm zu seinem 25. Stiftungsfest Anfang November 1930 einen Gedenkstein auf dem Gelände des Ruderhauses im Koenigpark. (Vergl.: GZ 31. August 1929 und 10. November 1930)
Zu diesem Zeitpunkt zählte Berthold Lissner jedoch schon nicht mehr zu den Lebenden, denn er war am 24. Juni 1928 im Alter von 71 Jahren in Berlin verstorben.
Am Tage darauf erschien in der Gubener Zeitung eine umfangreiche Würdigung des Verstorbenen in der es u. a. heißt: “Mit ihm verlieren wir einen Mann, dessen Namen in Guben einen wunderbaren Klang hatte, den Klang, der kündet von opfernder Liebe, von Hilfsbereitschaft und Güte. Wir neigen das Haupt und fragen: wo ist noch einer wie dieser?” … “Bei dieser Gelegenheit soll nicht verschwiegen werden, daß er für seine Arbeiterschaft stets ein warmfühlendes Herz hatte, so daß die Lißnersche Fabrik geradezu ein Musterbeispiel guter Verträglichkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war.”
Ehrenamtlich war er lange Jahre Vorsitzender der Gubener Ortskrankenkasse, Mitglied im Vorstand der Berufsgenossenschaft der Bekleidungsindustrie sowie im Aufsichtsrat der Gubener Vereinsbank tätig. (GZ 4. Februar 1927)
Zur Familie ist zu ergänzen, dass seine Frau Henriette Lissner, geb. Borchardt, am 13. April 1932 im Alter von 69 Jahren “an den Folgen eines Unfalls” starb.(GZ 16. April 1932)
Von ihren drei Söhnen, fiel Heinz Lißner, geboren am 30 Oktober 1897 in Guben geboren, am 26. Juli 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Er war noch nicht mal 19 Jahre alt. (Vergl.: GZ 1. August 1916)
Die beiden Brüder Walter und Helmut waren später als Prokuristen in verantwortlicher Stelle in der Berlin-Gubener Hutfabrik AG tätig.
Als Juden verloren sie Ende der 1930er Jahre im Rahmen der nationalsozialistischen “Arisierungsmaßnahmen” diese Stellung. Walter Lissner floh mit seiner Frau Elfriede, geborene Ziesche, nach Bolivien und kehrte erst Anfang der 1950er Jahre nach Deutschland zurück. Er starb am 2. September 1961. Helmut Lissner dagegen kam im Oktober 1944 in Auschwitz um. (Vergl.: Rund um den Dicken Turm; Gubener Heimatbrief Nr. 19, Dezember 1961, S. 19 f)
Die Hutfabrik von Berthold Lissner gibt es nicht mehr. Die Maschinen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparationsleistungen demontiert. Schließlich nutzte der VEB Kombinat Getreidewirtschaft bis zu seiner Auflösung Anfang der 1990er Jahre die Gebäude als Lager. Mitte der 1990er Jahre wurden sie abgerissen.
Auf dem Gelände entstanden inzwischen schmucke Einfamilienhäuser.
Auch das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 1905 existiert nicht mehr und der Sportplatz der Turnerschaft Guben am Eingang des Königparks fristet ein trauriges Dasein.
Wo einst Sport und Spiel die Jugend erfreute, wuchert die Natur.
Die deutschen Meistertitel des Willi Dohme vom Gubener Ruderclub indes bleiben für immer in der sportlichen Ehrenliste vertreten.
Das Wohnhaus von Berthold Lissner in der Alten Poststraße 32 war während der DDR lange Jahre Sitz der SED-Kreisleitung, die kein Problem damit hatte, früheres jüdisches Eigentum entschädigungslos in Besitz zu nehmen. Seit einigen Jahren wird das Gebäude als private Wohnung genutzt. Und wer den Gedenkstein für Berthold Lissner aus dem Jahre 1930 sucht, wird ihn finden, wenn auch die Schrifttafel fehlt.
Er trotzte den Jahrzehnten, überlebte Staaten und kündet still, doch unverdrossen von einem sozial engagierten Gubener Unternehmer, wie er auch heute in der Neißestadt dringend nötig wäre.
Foto: Das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 05 – eine Stiftung von Berthold Lissner. Foto um 1922, Sammlung Andreas Peter
Am 18. September 2007 wurde im Gubener Stadt- und Industriemuseum die Wanderausstellung “Gestern sind wir gut hier angekommen – Juden in der Niederlausitz” eröffnet, initiiert vom Kreismuseum Finsterwalde.
Ich hatte die Möglichkeit, sowohl mit Dokumenten und Bildern diese Ausstellung zu bereichern als auch einen ausführlichen Text im gleichnamigen Ausstellungsband über die Juden in Guben beizutragen.
Zudem unterbreitete ich in meinem Vortrag an jenem 18. September den zahlreichen Gästen den Vorschlag, eine Straße nach dem Gubener Unternehmer, Kommunalpolitiker und Mäzen Berthold Lissner zu benennen.
Näheres über diesen Mann, der bislang leider keinerlei Würdigung in der Stadtgeschichtsschreibung fand, unterbreitete ich u. a. in einer Zusammenstellung wichtiger Fakten den Gästen der Ausstellung, den Mitgliedern des Gubener Heimatkalendervereins, sowie den Mitgliedern der Gubener Regionalgruppe des Gubener Heimatbundes und schließlich den Fraktionsvorsitzenden der Gubener Stadtverordnetenversammlung.
Herrn Axel Scherler, den Fraktionsvorsitzenden der SPD der Gubener Stadtverordnetenversammlung, bat ich, einen entsprechenden Antrag an die Stadtverwaltung heranzutragen. Dies geschah in einer Stadtverordnetenversammlung im Frühjahr 2008, in der der die Stadtverordneten dem Antrag zur Umbenennung der „Inselstraße“ in “Berthold-Lissner-Straße” einstimmig zustimmten und die Stadtverwaltung zusicherte, dies im Herbst 2008 zu realisieren. Die “Inselstraße” zweigt von der “Gubiner Straße” nach rechts auf das ehemalige Gelände der Lissnerschen Hutfabrik ab.
Berthold Lissner wurde am 5. Februar 1857 in Deutsch-Wronka in Schlesien geboren. Nach seiner Lehre in einem Berliner Fournituren-, Bänder- und Pelzgeschäft bildete er sich weiter und wurde später Teilhaber und Direktor verschiedener Hutfabriken. 1889 machte er sich in Guben selbständig. Seine erste Hutfabrik befand sich links der großen Neißebrücke (Lindengraben, Ecke Klosterstraße), wo später die Commerzbank ihren Sitz hatte. Doch dieser Standort musste bereits nach vier Jahren aufgegeben werden. Als Begründung teilte die Gubener Zeitung (im Folgenden GZ) am 29. März 1893 mit: “Die von Lißner betriebene Hutfabrik (früher Driemelsche Tuchfabrik) muß auf Anordnung der Bauinspektion geräumt werden, da das Gebäude zu sehr belastet erscheint. Die Fabrik soll jetzt nach dem Winkel verlegt werden.”
Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte er 300 Arbeiter und Angestellte. Doch “Im Juni 1895 brannte diese Fabrik bis auf die Grundmauern ab und wurde von Lissner und den Verpächtern von Grund auf neu erbaut. Dadurch war sie die modernste Hutfabrik Deutschlands geworden.” (GZ 25. Juni 1928) In den folgenden Jahren kam es zur weiteren Vergrößerung seiner Firma, die 1907 schon 1300 Personen beschäftigte. Damit zählte die Lissner’sche Hutfabrik neben derjenigen von Carl Gottlob Wilke und der Berlin-Gubener Hutfabrik AG (BGH) zu den drei bedeutendsten in Guben.
Das Jahr 1907 brachte schließlich eine wichtige Veränderung für die Hutfabrik von Berthold Lissner, nämlich ihre Angliederung an die BGH. Die Gründe dafür waren rein wirtschaftlicher Natur. In der Festschrift “50 Jahre Berlin-Gubener Hutfabrik Aktiengesellschaft” von 1938 heißt es dazu: “Neben der möglichst vielseitigen Orientierung der Produktion zum Ausgleich von Modeschwankungen war es noch ein anderer Gedanke, der die Fusion der beiden Werke nahe legte. Die Preisschwankungen am Rohstoffmarkt konnten nur in den seltensten Fällen durch rechtzeitige Preissteigerungen bei den Fertigprodukten ausgeglichen werden. Der Zuammenschluß großer und führender Unternehmen auf dem Gebiete der Hutindustrie konnte so viel der Gesamtproduktion in einer Hand vereinigen, daß man eine vernünftige Preisregelung des Produkts durchführen konnte.” (S. 28) In der Festschrift zum 25jährigen Jubiläum der BGH von 1913 ist auf S. 13 weiter zu erfahren, dass Berthold Lissner dabei in den Vorstand der BGH eintrat. Zudem blieb er Leiter seines früheren Betriebes blieb, der die Bezeichnung “Abteilung Lissner” innerhalb des Konzerns führte und somit auch eine gewisse Eigenständigkeit behielt.
Weiter heißt es in der genannten Festschrift: “Als rastlos fleißiger und intelligenter Kaufmann und Fabrikant bestens bekannt, erfreut sich Herr Lissner auch als Mensch der allgemeinen Hochschätzung und Anerkennung sowohl bei seinen Angestellten und Arbeitern, wie auch bei seinen Mitbürgern im weiteren Sinne. Auch er hat neben seiner unermüdlichen geschäftlichen Tätigkeit noch die Zeit gefunden, sich mit dem lebhaftesten Interesse den kommunalen Angelegenheiten zu widmen.” (S. 14)
Hier wird auf seine Tätigkeit als Mitglied der Gubener Stadtverordnetenversammlung angespielt, die Berthold Lissner von Januar 1898 ausübte und bis September 1919 fortsetzte. Mithin war er 21 Jahre Mitglied im Stadtparlament tätig und gehörte als Unternehmer der bürgerlichen Fraktion an. Zu jener Zeit kam auch in Guben das preußische Dreiklassen-Wahlrecht zur Anwendung, das eine Unterscheidung der Wähler nach ihrem Steueraufkommen vorschrieb.
Da Berthold Lissner als erfolgreicher Unternehmer auch eine entsprechend hohe Steuer zahlte, hätte er eigentlich in der 1. Abteilung (der mit der höchsten Steuerklasse) für die Stadtverordnetenversammlung kandidieren können. Doch um seine soziale Einstellung unter Beweis zu stellen, kandidierte er für die 3. Abteilung, also vor allem für das Klientel der Arbeiter und Angestellten, die am wenigsten Steuern zahlten. Diese Konstellation barg von vornherein Konfliktpotenzial mit der seit den 1890er Jahre auch in Guben erstarkenden Sozialdemokratie, die in Berthold Lissner einen unliebsamen Konkurrenten in den Wahlkampfzeiten sah.
So kam es regelmäßig zu Anfeindungen bei Wahlkampfveranstaltungen, die sich in den hiesigen zeitgenössischen Zeitungen nachverfolgen lassen. So heißt es z. B. in der Gubener Zeitung vom 3. Dezember 1910: “Die Bürgerschaft werde gegenüber den unflätigen Angriffen von sozialdemokratischer Seite Herrn Lißner beweisen, daß er ihr lieb und wert sei.”
Zu jener Zeit hatte er aufgrund gesundheitlicher Probleme bereits sein Ausscheiden aus der Gubener Stadtverordnetenversammlung erwogen.
Nur wenige Wochen später sah sich Berthold Lissner selbst veranlasst, bei einer Wählerversammlung der 3. Abteilung Vorwürfe der SPD zurückzuweisen und sie als persönliche Beleidigungen und Diffamierungen offenzulegen, etwa, dass er seine Wohltätigkeitseinrichtungen nur durch Lohnkürzungen bezahle und dass er den Lohn gekürzt hätte. (Vergl.: GZ 12. Januar 1911) Diese sich bei den Kommunalwahlkämpfen wiederholenden Auseinandersetzungen eskalierten 1919 und führten dazu, dass Berthold Lissner sein Stadtverordnetenmandat niederlegte. (Vergl.: GZ 23. September 1919)
Am Tag danach konnte man in der “Gubener Zeitung” lesen: “Die Stadtverordneten-Versammlung verliert in ihm ein überaus kenntnisreiches Mitglied, das sich in der Bürgerschaft großer Wertschätzung erfreut. … Herr Lißner war von seinem Amtsantritt an ein Verfechter des gleichen Wahlrechts. … Das Wohlergehen der Arbeiterschaft lag ihm als einen von sozialem Empfinden erfüllten Mann besonders am Herzen. Leider wurde er trotz seiner sozialen Gesinnung und seines Eintretens für eine zielbewusste Arbeiterfürsorge oft während des kommunalen Wahlkampfes von seinen Gegnern ungerechter Weise angegriffen, aber alle Anfeindungen vermochten nicht, seiner allgemeinen Wertschätzung Abbruch zu tun.” (GZ 24. September 1919)
Der Vorwurf unsozialen Verhaltens musste ihn in der Tat hart treffen, hatte er doch bereits 1911 in seinem Betrieb die 10stündige Arbeitszeit eingeführt, als in anderen derartigen Betrieben noch die 11-12stündige Arbeitszeit üblich war. (Vergl.: Gubener Tageblatt 12. Januar 1911)
Als am 18. Dezember 1913 das erste Gubener Milchhäuschen des Gemeinnützigen Vereins für Milchausschank zu Berlin an der Großen Neißebrücke eröffnet wurde, hatte er 1000 Mark zu den Baukosten beigetragen. (Vergl.: GZ 17. September 1913)
Weit bekannter ist seine Unterstützung des “Gubener Ruderclubs 1905”. “Er gab 1911 das zum Bau des Clubhauses (siehe Abbildung) notwendige Gelände, steuerte auch zum Bau selbst eine namhafte Summe bei und gehörte zu den regsten Mitgliedern der Baukommission. In den 22 Jahren seiner treuen Mitgliedschaft ist der Club immer wieder Gegenstand der Hilfe und Unterstützung des bedeutenden Mannes gewesen.” (GZ 10. November 1930)
Am 8. Mai 1927 stiftete er das angrenzende Gelände zur Erweiterung der Anlagen des Ruderclubs (ebenda).
Zu nennen ist ebenfalls seine Unterstützung für die “Turnerschaft Guben e.V.”, der er im Spätsommer 1919 einen Sport- und Spielplatz am Eingang des Koenigparkes stiftete und der am 29. September 1919 mit einem Gauturnen der märkischen Turner eingeweiht wurde. (Vergl.: GZ 10. August 1919 und 30. September 1919.) Beide Sportvereine ernannten ihn in Anerkennung seiner Stiftungen zu Ehrenmitgliedern. Ende August 1929 verlieh die Turnerschaft diesem Platz den Namen “Berthold-Lissner-Platz”. Der “Gubener Ruderclub 1905 e.V.” weihte ihm zu seinem 25. Stiftungsfest Anfang November 1930 einen Gedenkstein auf dem Gelände des Ruderhauses im Koenigpark. (Vergl.: GZ 31. August 1929 und 10. November 1930)
Zu diesem Zeitpunkt zählte Berthold Lissner jedoch schon nicht mehr zu den Lebenden, denn er war am 24. Juni 1928 im Alter von 71 Jahren in Berlin verstorben.
Am Tage darauf erschien in der Gubener Zeitung eine umfangreiche Würdigung des Verstorbenen in der es u. a. heißt: “Mit ihm verlieren wir einen Mann, dessen Namen in Guben einen wunderbaren Klang hatte, den Klang, der kündet von opfernder Liebe, von Hilfsbereitschaft und Güte. Wir neigen das Haupt und fragen: wo ist noch einer wie dieser?” … “Bei dieser Gelegenheit soll nicht verschwiegen werden, daß er für seine Arbeiterschaft stets ein warmfühlendes Herz hatte, so daß die Lißnersche Fabrik geradezu ein Musterbeispiel guter Verträglichkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war.”
Ehrenamtlich war er lange Jahre Vorsitzender der Gubener Ortskrankenkasse, Mitglied im Vorstand der Berufsgenossenschaft der Bekleidungsindustrie sowie im Aufsichtsrat der Gubener Vereinsbank tätig. (GZ 4. Februar 1927)
Zur Familie ist zu ergänzen, dass seine Frau Henriette Lissner, geb. Borchardt, am 13. April 1932 im Alter von 69 Jahren “an den Folgen eines Unfalls” starb.(GZ 16. April 1932)
Von ihren drei Söhnen, fiel Heinz Lißner, geboren am 30 Oktober 1897 in Guben geboren, am 26. Juli 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Er war noch nicht mal 19 Jahre alt. (Vergl.: GZ 1. August 1916)
Die beiden Brüder Walter und Helmut waren später als Prokuristen in verantwortlicher Stelle in der Berlin-Gubener Hutfabrik AG tätig.
Als Juden verloren sie Ende der 1930er Jahre im Rahmen der nationalsozialistischen “Arisierungsmaßnahmen” diese Stellung. Walter Lissner floh mit seiner Frau Elfriede, geborene Ziesche, nach Bolivien und kehrte erst Anfang der 1950er Jahre nach Deutschland zurück. Er starb am 2. September 1961. Helmut Lissner dagegen kam im Oktober 1944 in Auschwitz um. (Vergl.: Rund um den Dicken Turm; Gubener Heimatbrief Nr. 19, Dezember 1961, S. 19 f)
Die Hutfabrik von Berthold Lissner gibt es nicht mehr. Die Maschinen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg als Reparationsleistungen demontiert. Schließlich nutzte der VEB Kombinat Getreidewirtschaft bis zu seiner Auflösung Anfang der 1990er Jahre die Gebäude als Lager. Mitte der 1990er Jahre wurden sie abgerissen.
Auf dem Gelände entstanden inzwischen schmucke Einfamilienhäuser.
Auch das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 1905 existiert nicht mehr und der Sportplatz der Turnerschaft Guben am Eingang des Königparks fristet ein trauriges Dasein.
Wo einst Sport und Spiel die Jugend erfreute, wuchert die Natur.
Die deutschen Meistertitel des Willi Dohme vom Gubener Ruderclub indes bleiben für immer in der sportlichen Ehrenliste vertreten.
Das Wohnhaus von Berthold Lissner in der Alten Poststraße 32 war während der DDR lange Jahre Sitz der SED-Kreisleitung, die kein Problem damit hatte, früheres jüdisches Eigentum entschädigungslos in Besitz zu nehmen. Seit einigen Jahren wird das Gebäude als private Wohnung genutzt. Und wer den Gedenkstein für Berthold Lissner aus dem Jahre 1930 sucht, wird ihn finden, wenn auch die Schrifttafel fehlt.
Er trotzte den Jahrzehnten, überlebte Staaten und kündet still, doch unverdrossen von einem sozial engagierten Gubener Unternehmer, wie er auch heute in der Neißestadt dringend nötig wäre.
Foto: Das Bootshaus des Gubener Ruderclubs 05 – eine Stiftung von Berthold Lissner. Foto um 1922, Sammlung Andreas Peter