Für die fünf Klassen der Sechs- bis Achtjährigen, die die Kammerbühne bis auf den letzten Platz füllten, lagen die Wunder sicher in der Sache an sich; für die Meisten war es der erste Theaterbesuch.
„Wann geht der Film denn weiter?“, fragt meine kleine Nachbarin in der Pause, und die Kleine neben ihr hakt – sich um- und umschauend interessiert nach: „Was ist denn das da oben? – Und was ist das da? – Und das?“ Dann klingelt es und die Aufmerksamkeit aller richtet sich wieder nach vorn. Voller Spannung; zur Toilette und zurück sind sie gerannt und wollen einfach nur wissen, wie es weiter geht.
„Papagenos Zauberflöte“ ist, nach „Das Geheimnis der Wolfsschlucht“, der zweite Streich von Hauke Tesch (Regie) und Frank Bernard (musikalische Leitung). Und erneut geht ihr Plan Oper kindgerecht zu spielen, vollkommen auf. Wie beim „Geheimnis“ liegt der Verwandlung eines großen Werkes für kleine Leute die Arbeit Eberhard Streuls zugrunde, wenngleich seine Vorlage „Papageno spielt auf der Zauberflöte“ diesmal nicht genannt wird, sondern Michael Böhnisch, der sie ein wenig angepasst hat.
Urheberschaften spielen für die Kinder noch keine Rolle. Sie sind am Ende einfach nur glücklich – und während der immerhin (mit Pause) 100 Minuten vollkommen gebannt.
Das beginnt bereits beim Einlass. Kinderlogistik auf Seiten der Lehrer: „Durchrücken Leonie – und den letzten Platz freilassen!“, während die Angesprochene mit staunenden Augen bereits zu den sieben Mitgliedern des Philharmonischen Orchesters blickt, die als kleines Begleitensemble fast direkt neben ihr sitzen, sich einspielen und die Instrumente stimmen.
Dann öffnet sich der Vorhang und wir sind in einem wunderbunten Kinderzimmer mit Papageientapete (Ausstattung Gundula Martin), Sohn und Papa toben rum, doch Mama betätigt sich als spielverderbende Zahnfee: „Zähne putzen – und dann ab ins Bett.“ – Doch ohne Geschichte? Geschichte? Die Eltern handeln den Junior auf drei Fragen herunter, wollen sie doch los zu einem Kostümball. Sehr gut spielt Emil Grunske den Sohn, besser anfangs, als Christoph Bier seinen Vater.
Und der wird vom kleinen Schlauberger nun auch noch mit der dritten Frage reingelegt: „Papa, wie bin ich auf die Welt gekommen?“ …. tja, und so wird nun doch eine längere Geschichte daraus.
Die Zimmerwände öffnen sich und Papa beginnt zu erzählen. Zunächst, wie er selbst zu Papa.., Papa.. – na Papageno wurde, dem Vogelfänger, der ein Weibchen finden musste; vom Prinzen, den er traf, der auch auf Brautschau war und recht feige; von der Königin der Nacht, deren Zauberreich und ihrer Tochter Prinzessin Pamina und deren gefangener Freundin Papagena; von Sarastro schließlich und dem Feuertor. Schlimme Schergen spielen noch mit, schreckliche Schlangen, ein schlingpflanzlich-magischer Alptraumgarten und ein elektrisch-magisches Wunderlabor.
All diese Zutaten klingen nicht nur nach der perfekten Grundlage für Theaterzauber, Erlebnisse und Überraschungen – sie werden auch großartig eingesetzt.
Finden die kleinen (und wenigen großen) Zuschauer bereits das Kinderzimmer toll, dazu den bunten Papageno und den weiße Prinzen, gibt es berechtigt große Augen, als die Figuren und das Reich der Königin der Nacht auftauchen und fassungsloses Staunen bei Sarastros Anblick und dessen Apparaten. Da kommt kein Kinderfernsehen mehr mit und auch kein Pad voll Apps.
Die Kinder sind vollkommen fasziniert, diese Nähe und das Quasi-Mittendrin machen ganz offensichtlich gewaltig Eindruck.
Was die jungen Besucher noch nicht beurteilen können ist, dass sie hier gerade nicht nur Theater erleben, sondern Opernkunst auf höchstem Niveau. Das gilt für die Musiker, am 25.3. geleitet von Andreas Simon und das gilt für die singend-schauspielenden Solisten. Christoph Bier (Papa-Papageno) ist nach dem zögerlichem Beginn dann sehr schnell und sehr gut in Rolle und Gesang, was auch an Hardy Brachmanns köstlichem Tamino liegt. Beide bilden ein großartiges Gespann.
Eine eigene Kategorie könnte man bald einmal für Dirk Kleinke einführen, als Oberscherge Monostatos überzeugt er erneut so rundum in Figur, Spiel und Stimme, dass man teils fast vom Stuhl fällt, hin und her gerissen zwischen Komik, Mimik und Klang. Etwas zu Unrecht bleiben Matthias Bleidorn und Heiko Walter (inszenierungsbedingt) als Co-Schergen ein wenig im Hintergrund, während an Ingo Witzke als Sarastro wortwörtlich keiner vorbeikommt. Man stelle sich Emmett “Doc” Brown (Back to the Future Trilogie) als Riesen vor, mit entsprechender Stimme für Worte und Töne.
Laila Salome Fischer ist als Königin der Nacht im richtigen Maß gruselig, böse und nutzt die stark gekürzten Gesangsparts, wie die berühmten Koloratur-Arien, für unerhörte Eindrücke. Weniger Gelegenheiten lässt die verwandelte Zauberflöte Debra Stanley als Pamina und Anika Paulik als Papagena – was sie aber daraus machen, ist erlebens- und hörenswert.
Und wirklich sehr, sehr viele Kinder sollten die Chance auf dieses ErLEBnis bekommen. Es kann Lebenswege verändern, eine Wirkung, die für uns alle zum Besten ist.
Vielen Dank den Macher, den Ermöglichern und den Mitwirkenden.
PAPAGENOS ZAUBERFLÖTE
Geschichte mit Musik von Michael Böhnisch für alle ab 6
nach “Die Zauberflöte” von Wolfgang Amadeus Mozart
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart | Libretto: Michael Böhnisch
Uraufführung
Musikalische Leitung FRANK BERNARD
Regie HAUKE TESCH
Ausstattung GUNDULA MARTIN
Vorabveröffentlichung BLICKLICHT 05-2015