„Konsequent gegen neue Tagebaue“ lautete ein Wahlkampfplakat der Linken in Brandenburg im Jahr 2009, überhaupt gab man sich in allem sehr „konsequent“ in diesem Wahlkampf. Nun hat die Realität die mitregierende Linke eingeholt und eine breite Öffentlichkeit diskutiert ihre Rolle bei der Kabinettsentscheidung über den Braunkohlenplan Welzow-Süd II, der die Zwangsumsiedlung des Bioenergiedorfes Proschim zugunsten des Kohlekonzerns Vattenfall vorsieht.
Es war nie ein Geheimnis, dass die Braunkohlepartei SPD im Herbst 2009 ein energiepolitisches Einknicken der Linken zur Bedingung für die Koalition machte. Nur wurde das bei den Linken „Kompromiss“ getauft und die Lüge in die Welt gesetzt, in der bevorstehenden Legislatur stehe ja gar keine Entscheidung über neue Tagebaue an. Gleichzeitig schwenkte die linke Landesspitze auf die abenteuerliche Interpretation der rot-schwarzen Vorgängerregierung um, Welzow-Süd II sei gar kein neuer Tagebau.[1] Aber offenbar brachten nur Insider beides in Zusammenhang und so ist die Öffentlichkeit nun überrascht über einen Wortbruch, der seit 2009 angekündigt ist.
Als Juniorpartner ist die Linke in der Klemme. Sie kann nicht entscheiden, ob der Braunkohlenplan kommt oder nicht. Sie kann nur entscheiden, kommt er mit der Linken oder ohne sie. Denn im Kabinett hat die SPD die Mehrheit, selbst wenn alle linken Minister gegen den Tagebau stimmen. Es hätte einen Bruch der Koalition zu Folge, ohne den Tagebau zu verhindern, wird da plausibel argumentiert.
Doch ist das die ganze Wahrheit? Ganz sicher nicht, denn es lassen sich zahlreiche Entscheidungen nachweisen, bei denen die Linke die Spielräume, die der Koalitionsvertrag bot, nicht ansatzweise ausnutzte. Dabei steht immer wieder eine Person im Zentrum des Geschehens: Wirtschaftsminister Ralf Christoffers.
Erstes Beispiel: Bei der Verabschiedung der Energiestrategie des Landes taucht im Maßnahmenkatalog plötzlich – von keinem der konsultierten Gutachter empfohlen – ein Leitprojekt mit dem Titel „Raumordnerische Sicherung von Tagebauvorhaben durch Braunkohlen-planverfahren“ auf. Hier wurde ohne Not zugunsten der Kohlelobby weit über den Koalitionsvertrag hinausgegangen. Die Tagebaue Welzow-Süd II und Jänschwalde-Nord werden hier zum offiziellen Ziel der Energiepolitik des Landes gemacht. Federführend bei der Energiestrategie: das Wirtschaftsministerium unter Ralf Christoffers.
Zweites Beispiel: Im Planverfahren zu Welzow-Süd II war das Wirtschaftsministerium um eine Einschätzung der energiepolitischen Notwendigkeit des Vorhabens gebeten worden. Da Dörfer nur bei zwingender energiepolitischer Notwendigkeit gegen ihren Willen umgesiedelt werden können, hatte hier also ein linker Minister alles entscheidende in der Hand. Heraus kam eine klassische Gefälligkeitsstudie für die Kohlelobby. Deren Autor Prof. Erdmann musste in der mündlichen Erörterung einräumen, dass er von einem Einspeisevorrang der Braunkohle vor Erneuerbaren Energien ausgeht, um die von ihm angenommene hohe Auslastung der Kohlekraftwerke nach dem Jahr 2030 zu begründen.[2] Es stellte sich zudem heraus, dass der Bedarf an Welzow II nur begründet werden kann, wenn von Kohleverstromung in der gesamten Lausitz bis ins Jahr 2067 ausgegangen wird[3]. Beides ist mit linken energiepolitischen Positionen völlig unvereinbar und hielte selbst in der SPD keiner öffentlichen Debatte stand. Aber „unser Ralf“ hat in der Brandenburger Linken offenbar Narrenfreiheit.
Nicht ausgeschlossen, dass Matthias Platzeck 2009 hinter verschlossenen Türen die Personalie Christoffers zur Bedingung für die Koalition machte, in dem Wissen, dass damit im Grunde ein siebenter SPD-Minister installiert wird.[4] Verträge enthalten meist die Klausel, dass mündliche Nebenabreden unwirksam sind. In Koalitionsverträgen fehlt das.
Die Landesfunktionäre der Linken lassen Christoffers jedenfalls auffallend oft ohne alle Konsequenzen gewähren. Als dagegen Umweltministerin Anita Tack zu Welzow II ein Gegengutachten unter Berücksichtigung der geltenden Klimaschutzziele in Auftrag gab, erfuhr sie nicht etwa Rückhalt aus den eigenen Reihen, sondern wurde auch von linken Abgeordneten und Ministern auf (SPD-)Linie gebracht – so hört man es übereinstimmend in Parteikreisen.
Solange sich die Linke in Brandenburg nicht zwischen Ralf Christoffers und ihrem Parteiprogramm entscheiden kann, wird sie ihr Glaubwürdigkeitsproblem nicht los.
Daran ändern auch die drei allerneuesten Notlügen nichts:
Da wird beispielsweise darauf verwiesen, dass der Braunkohlenplan ja nicht die letzte Entscheidung sei und der Tagebau trotzdem noch verhindert werden könne. Das mag in der juristischen Theorie denkbar sein, aber wie ist die politische Praxis? Die Landesregierung hat einen Vertrag mit Vattenfall ausgehandelt und bereits der Öffentlichkeit vorgestellt, der genau das Gegenteil aussagt: Weigern sich die Betroffenen, will rot-rot an deren Stelle mit Vattenfall die Konditionen der Umsiedlung aushandeln. Der Beschluss zum Braunkohlenplan soll also den Umsiedlungsprozess einleiten und so Tatsachen schaffen.
Da wird auf eine für 2015 geplante Evaluierung der Energiestrategie 2030 verwiesen, offenbar in der Hoffnung, dass niemand dort nachliest. Denn dabei würde man auf den Satz stoßen „Hiervon ausgenommen ist die Rohbraunkohleversorgung des bestehenden Kraftwerks Schwarze Pumpe, die durch Weiterführung des Tagebaus Welzow-Süd in den räumlichen Teilabschnitt II gesichert werden soll.“[5]
Eine Erklärung, dass man das Planverfahren zum Tagebau Jänschwalde-Nord gern stoppen würde, ersetzt die längst überfällige tatsächliche Einstellung dieses Verfahrens in keiner Weise. Sie bleibt auch meilenweit zurück hinter der nordrhein-westfälischen Entscheidung, Garzweiler II zu verkleinern. Dort mag zwar auch noch keine rechtlich verbindliche Entscheidung vorliegen, aber dort bekennen sich immerhin beide Koalitionspartner dazu.
Autor: René Schuster
(Der Autor ist seit 1999 Mitglied des Braunkohlenausschusses Brandenburg, hat die ausführliche Stellungnahme der Grünen Liga zur Energiestrategie des Landes erarbeitet und beteiligt sich seit 2006 intensiv an der energiepolitischen Diskussion in der Linken Brandenburg.)
[1] Ein „neuer Tagebau“ ist jeder Tagebau, für den die bergrechtliche Genehmigung (der Rahmenbetriebsplan) noch nicht rechtskräftig ist. Bei Welzow-Süd II ist sie noch nicht einmal beantragt, das wird Vattenfall erst nach Vorliegen der landesplanerischen Entscheidung (des Braunkohlenplans) tun.
[2] Ausführlicher dargestellt in „Erörterung Braunkohlenplan Welzow-Süd Teilfeld II, Kurzbericht vom ersten Erörterungstag“, Grüne Liga, 11.12.2013, veröffentlicht auf www.lausitzer-braunkohle.de
[3] „Mengengerüst“ in der Begründung zu Ziel 1 des Braunkohlenplanes
[4] Erst im Mai 2009 hatte die Presse über einen Wechsel von Ralf Christoffers zur SPD spekuliert (vgl. „Werben um Wechsler“, Spiegel online vom 16.05.2009). Nur wenige Monate später wurde er linker Minister im SPD-geführten Kabinett.
[5] Energiestrategie 2030, S. 35