“Heute Mittag sagte einer im Vorbeigehen ohne jegliche Ironie zu mir : “Schicker Schal!” und meinte damit meinen FCE-Mitgliedsschal. Normalerweise habe ich keinen Energieschal umgelegt, wenn ich zur Arbeit gegangen bin. Da ich aber keinen anderen herkömlichen fand, weil die sich vermutlich alle in der Wäsche befinden und früh auch keine Zeit mehr zum Weitersuchen war, nahm ich halt den erst besten Schal, den ich fand. Das war letzte Woche, am Wochenende darauf gewann Energie gegen Stuttgarts Zweite und stand auf dem dritten Tabellenplatz. Prompt sehe ich mich in der Verantwortung, den Schal auch weiterhin auf dem Weg zum Büro umzulegen, denn es hat ja schließlich Glück gebracht. Und an diesem Punkt sind Fußballfans, Spieler, Trainer und auch andere Verantwortliche der Vereine mal mehr oder weniger bescheuert – natürlich nur für Außenstehende. Da wird wochenlang der selbe Pullover getragen, die Gesichts- oder Kopfbehaarung nicht geschoren, um nur die gängigsten Maschen zu nennen, denen Menschen verfallen, die glauben, das Schicksal, den Fußballgott oder wen auch immer gnädig stimmen zu können.
Jahrelang pflegte ich eine Vielzahl an Ritualen. Ich trug immer rot-weiße Sachen. Aufbauend auf einer Basisschicht bestehend aus roter Hose, weißem T-Shirt und rotem Nicki ohne Ärmel wurde je nach Witterung lagenweise rot-weiße Jacken und Pullover darüber gezogen. In die Haare kamen rot-weiße Spangen, um das Handgelenk unbedingt die Armbanduhr, damit ich die Spielzeit sekundengenau mitstoppen konnte, als Glücksbringer hing auch immer eine Kreuzkette um meinen Hals. Vor dem Spiel traf ich mich mit meinem besten Freund vor der Stadthalle, fuhr mit ihm immer den selben Weg durch den Puschkinpark und entlang der Spree und schloß mit ihm gemeinsam unsere Räder an der gleichen Eiche an. Natürlich stand ich im damaligen Block C immer an der selben Stelle, auf der Treppe auf Höhe der Eckfahne auf “meiner” Stufe. Daneben gab es noch weitere kleine Rituale. All das setzte ich in der beschriebenen Akribie vor allem in den Jahren 2000/2001 um und der Erfolg scheint mir recht zu geben, man muss sich ja nur anschauen, wo wir damals gespielt haben.
Doch warum ist man als Fußballfan so abergläubisch? Ich denke, das liegt daran, dass man auch eine wichtige Rolle am Spielverlauf und am Ergebnis haben möchte, wenn man schon aktiv nicht viel beitragen kann und skeptisch ist, dass all das Gesinge, Geklatsche, Geschreie etwas bringt. “Es liegt auch in meiner Hand”, denkt man sich, obwohl man es doch eigentlich besser weiß. Und so werde ich meinen schicken Schal in den nächsten Wochen weiter stolz tragen und vielleicht sollte ich sicherheitshalber mal nachsehen, ob ich noch rote und weiße Haarspangen besitze. Sicher ist sicher.”
Eure Zaimen