Der brandenburgische Verfassungsschutz registriert ein Erstarken wesentlicher extremistischer Strömungen im Land. Insbesondere gibt es immer mehr gewaltbereite Extremisten. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 hervor, den Innenminister Karl-Heinz Schröter und Verfassungsschutzchef Carlo Weber heute in Potsdam vorstellten. Beide verwiesen darauf, dass die Zahl der Gewaltstraftaten von Extremisten in Brandenburg im vergangenen Jahr teilweise historische Höchststände erreichte.
So wurden im Bereich „politisch motivierte Gewaltkriminalität – rechts“ insgesamt 129 (+56) Straftaten erfasst. Das war der dritthöchste Wert seit 1992. Im Bereich „politisch motivierte Gewaltkriminalität – links“ wurden 48 (+18) Straftaten registriert. Das war der höchste jemals in Brandenburg festgestellte Wert.
Unter allen extremistischen Erscheinungsformen stellt weiterhin der Rechtsextremismus die größte konkrete Herausforderung dar. Hier spielten insbesondere mit Beginn der Flüchtlingskrise im Spätsommer internetbasierte Anti-Asyl-Kampagnen eine wesentliche Rolle. Die oftmals verdeckt von Rechtsextremisten gesteuerten Kampagnen zogen zahlreiche Demonstrationen nach sich. Schröter bezeichnete dieses Vorgehen als „regelrechten Tarnkappen-Extremismus“. Rechtsextremisten versuchten, mit ihren Organisationen im Hintergrund zu bleiben, um die Bürger bewusst zu täuschen.
Der Verfassungsschutz hat mehr als 80 einschlägige Facebook-Seiten untersucht, die im Jahr 2015 aktiv waren. Etwa 65 Prozent wurden dem Rechtsextremismus zugeschlagen. Schröter betonte: „Teilweise ist es den Rechtsextremisten gelungen, in bürgerliche Proteststrukturen einzudringen.“ Hinter zahlreichen Anti-Asyl-Kampagnen auf Facebook steckt NPD. Weber sagte: „Die Partei will sich im Zuge der Flüchtlingskrise als revolutionäre Volksbewegung etablieren. Der Ton, mit dem sie dieses Ziel verfolgt, wird zunehmend militanter.“
Anti-Asyl-Kampagnen befeuerten wiederum den Linksextremismus. Schröter betonte: „Beim sogenannten antifaschistischen Widerstand werden auch gleich Polizisten und andere Staatsdiener mit angegriffen. Aus dem Bestreben sowohl der Rechts- als auch der Linksextremisten zur Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ergibt sich eine komplexe Gefährdungslage – zumal auch noch der islamistische Extremismus wächst.“
Deutlich mehr gewaltbereite Rechtsextremisten
Weber bezifferte die Zahl der Rechtsextremisten im Jahr 2015 mit insgesamt 1.230 (+70). Der Verfassungsschutz unterteilt beim Rechtsextremismus in drei Kategorien, wobei vereinzelt Doppelzählungen möglich sind. Die Zahl der Mitglieder in der Kategorie „rechtsextremistische Parteien“ stieg im Jahr 2015 auf 340 (+25). Davon entfielen unverändert 290 auf die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD). Darunter waren 30 (-5) „Junge Nationaldemokraten“ (JN). Unverändert 25 Mitglieder zählt die den Parteienstatus anstrebende Organisation „Die Rechte“. Die ebenfalls den Parteienstatus anstrebende und stringent neonationalsozialistisch ausgerichtete Organisation „Der III. Weg“ kam 2015 ebenfalls auf 25 Mitglieder. Der Kategorie der „parteifernen Neonationalsozialisten“ wurden unverändert 450 Personen zugeordnet. Dazu zählen die „Freien Kräfte“. Damit bleibt es beim höchsten Wert seit Beginn der Zählung im Jahr 1993. Einen deutlichen Zuwachs gab es in der dritten Kategorie der „gewaltbereiten Rechtsextremisten“. Ihre Zahl stieg deutlich um 50 auf 470. Das war der höchste Wert seit 2009.
Weber betonte: „Schon im Jahr 2014 konzentrierten sich die Hauptaktivitäten der Rechtsextremisten im Raum Havelland, Potsdam-Mittelmark, im Süden des Landkreises Oberhavel und im süd-östlichen Teil von Ostprignitz-Ruppin. Diese Aktivitäten hielten im Jahr 2015 an und zogen schwere Straftaten wie den Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Nauen nach sich. Ich bin sehr froh, dass der Verfassungsschutz hier zum polizeilichen Fahndungserfolg wesentlich beitragen konnte“.
„Die Rechte“ verfügt in Brandenburg mit ihren unverändert 25 Mitgliedern nur über den „Kreisverband Märkisch-Oderland-Barnim“ (KMOB). Sie ist keine Konkurrenz für die NPD. Diese Rolle fällt vielmehr der aktionsorientiert, elitär und neonationalsozialistisch ausgerichteten Organisation „Der III. Weg“ zu. Diese ist bemüht, bundesweit Strukturen zu errichten und mit Leben zu füllen. In Brandenburg wurden Aktivitäten bereits 2014 festgestellt, wobei es erst 2015 zur ersten Stützpunkt-Gründung kam. Im Frühjahr 2016 folgten weitere.
Im Jahr 2015 waren 19 (-2) neonationalsozialistische Gruppierungen in Brandenburg aktiv. Das erstmalig im Jahresbericht 2014 kenntlich gemachte Phänomen von Personenzusammenschlüssen, welche sich am Rocker-Lifestyle orientieren, ist nach wie vor präsent. Die aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft aggressivsten Neonationalsozialisten sind weiterhin im Raum Spremberg (SPN) anzutreffen.
Mehr gewaltbereite Linksextremisten
Im Linksextremismus beträgt das Personenpotenzial weiterhin 490. Jedoch sind Verschiebungen innerhalb der Szene erkennbar. Die Zahl gewaltbereiter Autonomer hat zum ersten Mal seit Jahren wieder auf 200 zugelegt (+10). Weber: „Hier scheint sich eine längerfristige Trendumkehr anzudeuten.“ In unverändert zehn Kommunen beziehungsweise Regionen sind Autonome aktiv. Erneut gewachsen ist die „Rote Hilfe e.V.“ Sie zählte im Jahr 2015 rund 210 Mitglieder (+10). Das war die höchste jemals in Brandenburg festgestellte Mitgliederzahl. Innerhalb des Linksextremismus behauptet die „Rote Hilfe“ ihre Rolle als übergreifende, zwischen allen Strömungen vermittelnde Konsensorganisation und kümmert sich unter anderem um den Rechtsbeistand für politisch motivierte Straftäter. Auf nur noch 60 (-10) Mitglieder bringt es hingegen die „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP). Ihre Reststrukturen werden laut Weber weiter zerfallen.
Zulauf beim islamistischen Extremismus
Für den Bereich islamistischer Extremismus gibt der Verfassungsschutzbericht 70 (+30) Personen an. Etwas mehr als 10 islamistische Extremisten gelten als Gefährder, rund 50 als gewaltbereit. Laut Weber gibt es noch keine nachhaltigen Strukturen, jedoch etablieren sich bestimmte personelle Netzwerke. „Zudem gibt es in Berlin und damit mitten in Brandenburg islamistisch beeinflusste Einrichtungen. Diese dienen auch in Brandenburg lebenden Einzelpersonen als Anlaufpunkte.“ Darüber hinaus liegen erneut Erkenntnisse vor, dass Einzelpersonen von Brandenburg nach Syrien ausgereist sind, wahrscheinlich um an Kampfhandlungen teilzunehmen. Die Zahl der Ausreisen ist knapp zweistellig. Islamistische Extremisten in Brandenburg haben überwiegend Bezüge zum kaukasischen Extremismus. Dortige Gruppierungen haben sich teilweise dem terroristischen „Islamischen Staat“ (IS) unterstellt.
Schröter betonte: „In zunehmendem Maße binden islamistische Extremisten personelle, materielle und finanzielle Ressourcen der Sicherheitsbehörden. Es muss künftig mit einem weiteren Anstieg des Personenpotenzials gerechnet werden. Zum einen generieren die Sicherheitsbehörden weitere Erkenntnisse. Zum anderen ist noch nicht absehbar, wie viele Extremisten und Terroristen den Flüchtlingsstrom genutzt haben, um nach Deutschland zu gelangen. Dass einige diesen Strom genutzt haben, ist aber klar.“
Verfassungsschutz bietet Zuverlässigkeitsüberprüfungen und Informationen
Neben der Beobachtung extremistischer Bestrebungen wirkt der Verfassungsschutz weiterhin an Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit. 2015 gingen insgesamt 5.158 (-986) entsprechende Anfragen ein, davon 4.103 gemäß Luftsicherheitsgesetz. Bei Fertigstellung des künftigen Flughafens Berlin-Brandenburg in Schönefeld werden diese Zuverlässigkeitsüberprüfungen ausschließlich vom brandenburgischen Verfassungsschutz durchgeführt, was eine erhebliche Zusatzbelastung darstellen wird.
Informationsangebote des Verfassungsschutzes waren 2015 erneut stark nachgefragt. In 64 Veranstaltungen wurden Vorträge gehalten. Rund 2.500 Bürger nahmen teil. Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit 2008 auf insgesamt 866 mit 31.400 Zuhörern.
Minister verweist auf hohe abstrakte Gefahr
Schröter sagte zusammenfassend: „Gerade mit Blick auf die jüngsten Terrorattentate in Deutschland und Frankreich muss jedem klar sein, dass der Druck auf die europäische Sicherheitsarchitektur von außen wie von innen steigt. Wie die vergangenen Wochen in Frankreich und in Deutschland gezeigt haben, kann die abstrakte Gefahr auch sehr schnell sehr konkret werden. Wir müssen alle Möglichkeiten der Prävention und Repression nutzen, um unsere Bürger und unsere Demokratie zu schützen. Niemand wirft die Rettungsringe über Bord, wenn das Schiff in schwere See gerät. Unsere Sicherheitsbehörden werden von engagierten Mitarbeitern getragen. Sie unternehmen alles Erdenkliche, um unser Land und unsere Freiheit zu schützen. Doch wir dürfen sie dabei nicht allein lassen. Schutz gibt es nicht zum Nulltarif. Wir brauchen personell gut aufgestellte Sicherheitsbehörden, und dazu gehört auch der Verfassungsschutz. Wir haben es mit einer nie dagewesenen Polarisierung der Gesellschaft zu tun. Es braucht nicht viel Fantasie, um die aktuelle Bedrohungslage zu erkennen.“
Reaktionen:
Björn Lakenmacher, innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion betonte, dass die heute präsentierten Zahlen samt der skizzierten Bedrohungslage durch den Anstieg gewaltbereiter Personen in den extremistischen Szenen die absolute Unabdingbarkeit eines personell hinreichend ausgestatteten Verfassungsschutzes zeigten. „Es ist und bleibt unverzichtbar, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen schon weit vor der Schwelle einer Straftat erkannt werden.“
Der Innenminister bleibe seinem Amtsmodus großer medialer Aufstockungsankündigungen samt folgendem Einknicken im Kabinett auch hier treu: laut Haushaltsentwurf für 2017/2018 wird der Verfassungsschutz Brandenburg nicht aufgestockt. „Dem linken Finanzminister Görke fehlt dazu nach dessen eigenem Bekunden die Phantasie und auch der Ministerpräsident Woidke lässt Schröters Warnungen und Forderungen im Kabinettssaal folgen- und tatenlos verhallen. Verantwortungsvolle und in langen Linien gedachte Innenpolitik ist mit dieser rot-roten Landesregierung schlicht und ergreifend unmöglich“, so Lakenmacher.
Neben dem Anstieg im Bereich der Links- und Rechtsextremisten binden auch die 70 in Brandenburg bekannten islamistischen Extremisten, von denen 50 als gewaltbereit und 10 als sogenannte Gefährder gelten, zunehmend personelle und materielle Ressourcen der Sicherheitsbehörden.
„Ich warne diese Landesregierung davor, die Sicherheitsabbaupolitik in Brandenburg weiter fortzusetzen. Der Verfassungsschutz in Brandenburg darf nicht weiter kaputt gespart werden. Die Stellenanzahl muss unverzüglich nach oben gehen. Das muss im Haushalt für die kommenden zwei Jahre endlich konkretisiert werden”, so Lakenmacher.
Die Sprecherin für die Bekämpfung des Rechtsextremismus der SPD-Landtagsfraktion, Inka Gossmann-Reetz:
„Der Bericht bestätigt erneut, dass vom Rechtsextremismus die größte Gefährdung aller extremistischen Strömungen ausgeht. Sorge bereitet mir vor allem die zunehmende Gewaltbereitschaft rechtsextremer Kräfte, die wir seit Sommer vergangenen Jahres beobachten. Diesen Entwicklungen müssen wir als Gesellschaft weiter konsequent entgegentreten. Außerdem ist es wichtig, dass der Rechtsstaat in diesen Fällen mit aller Härte durchgreift. Auch extremistische Hetze im Internet und in den sozialen Netzwerken sind Straftaten und werden entsprechend geahndet. Das muss allen klar sein, die sich hieran beteiligen.“
Neben der Zunahme „gewaltbereiter Rechtsextremisten“ offenbart der Bericht zudem einen Anstieg hinsichtlich der Gewaltbereitschaft unter Linksextremisten sowie einen Zulauf im Bereich islamistischer Extremismus. „Wir müssen alle extremistischen Erscheinungsformen ganz genau beobachten“, so Gossmann-Reetz weiter. „Letztlich greifen alle Extremisten die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung an, die es mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen gilt.“
Hintergrund: Der Verfassungsschutz zählt im Jahr 2015 insgesamt 1.230 Rechtsextremisten, 70 mehr als im Jahr zuvor. Dabei stieg die Zahl „gewaltbereiter Rechtsextremisten“ um 50 Personen auf insgesamt 470. Im Bereich „politisch-motivierte Gewaltkriminalität – rechts“ wurden 129 Straftaten registriert. Das sind 56 mehr als im Jahr zuvor und fast das Dreifache im Vergleich zum Jahr 2013. Im Bereich „politisch-motivierte Gewaltkriminalität – links“ ist eine Zunahme um 18 Straftaten gegenüber dem Jahr 2014 auf insgesamt 48 Straftaten zu verzeichnen. Zudem zählt der Verfassungsschutz 70 Personen im Bereich islamistischer Extremismus, von denen er 50 Personen als gewaltbereit und etwa 10 Personen als sogenannte islamistische ‚Gefährder‘ einstuft.
Der Vorsitzende der Jungen Union Brandenburg, Julian Brüning und der Stv. Landesvorsitzende, Mike Schuster:
“Seit Jahren spart Rot-Rot in Brandenburg Polizei und Verfassungsschutz kaputt. Der heute veröffentlichte Verfassungsschutzbericht 2015 zeigt jedoch, dass funktionierende Sicherheitsbehörden wichtiger sind denn je. Doppelt so viele Gewaltdelikte von rechts wie im letzten Jahr, steigende Delikte von links und eine geschätzte Zahl von 70 islamistischen Extremisten in Brandenburg verunsichern die Bürger. Der Innenminister sollte nun Taten statt Worte folgen lassen und Brandenburg in ohnehin angespannten Zeiten fit für die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft machen.”
pm/red
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