Am gestrigen 8. Dezember 2020 fand das lange Warten endlich ein Ende. Um 19 Uhr wurde das 30. Filmfestival Cottbus endlich eröffnet – nicht mit einer großen Show im Theater oder in der Stadthalle, aber dafür in intimen Gesprächen mit allen Verantwortlichen des Festivals. So spät fand das Festival in der 30-jährigen Geschichte noch nie statt – und das nicht in Bezug auf den abendlichen Termin, sondern auf die ungeplante Verschiebung des Festivals von November in den Dezember. Da in diesem Jahr dank Corona so einiges anders läuft, musste der Veranstalter Improvisationstalent unter Beweis stellen. Zunächst als reines Präsenz-Festival geplant – die Zuschauer vor Ort, verschiedene Kinos werden bespielt – wurde diese Idee aus Gründen des Infektionsschutzes schnell fallengelassen. Man entschied sich zunächst, ein Hybrid-Festival zu veranstalten, bei dem der größte Teil des Publikums und einige Filmemacher online zugeschaltet werden sollten, musste dann aber zuletzt auf eine rein digitale Streaming-Variante zurückgreifen.
Flexibilität in der Organisation nötig
In der Haut von Festivalgeschäftsführer Andreas Stein möchte man in den letzten Monaten nicht gesteckt haben – auch mit dem Gedanken, ob Förderer und Sponsoren die geplanten nächsten Schritte uneingeschränkt mitgehen würden. Aber hier gab es glücklicherweise Entwarnung. „Alle Sponsoren, Partner und Förderer haben sich so flexibel gezeigt, wie wir es auch tun mussten, dafür ein besonderes Dankeschön an das Medienboard Berlin-Brandenburg, der Geschäftsführerin Kirsten Niehuus und Bernd Warchold, dem Kulturreferenten der Stadt Cottbus“, so Stein im Gespräch mit Moderatorin Nadine Heidenreich, die souverän durch den Eröffnungsabend führte. Stein weiter: „Die Motivation der Mitarbeiter war zwar kurz im Keller, als wir uns eine Woche vor der geplanten Eröffnung für eine fünfwöchige Verschiebung entschieden haben, aber nach einer halben Stunde waren alle wieder dabei und noch motivierter als zuvor.“ Von Corona lässt sich in Cottbus eben keiner unterkriegen.
Um gleich eine lockere und beschwingte Stimmung zu schaffen, machte den Auftakt eine Musikeinlage von „Dubioza Kolektiv“, einer Band aus Bosnien-Herzegowina, die bereits das Publikum der tags zuvor stattfindenden 18. Filmschau Lausitz via Live-Schalte unterhalten hatte.
Dann folgte eine Grußbotschaft von Ministerpräsident Dietmar Woidke. „Das Festival per Streaming ist ein guter und kreativer Weg, um den Genuss vieler Produktionen aus dem ost- und mitteleuropäischen Kinomarkt zu ermöglichen. Und das Festival wird so um ein Kino bei uns zuhause erweitert. Ich drücke die Daumen, dass dieses Konzept ein Erfolg wird, denn ich bin mir sicher, dass die Qualität dieser Filme auch im 30. Jahr keine Wünsche offenlassen wird.“
Wiedervereinigung, Rechtsextremismus in den 90er Jahren und das 75jährige Ende des 2. Weltkriegs
Anschließend sprach Nadine Heidenreich mit Bernd Buder, der seit 2015 die Programmdirektion des Festivals innehat. „Corona ist dieses Jahr das Thema, über das alle sprechen, aber wir vom Filmfestival haben Themen wie Wiedervereinigung, Rechtsextremismus in den 90er Jahren und das 75jährige Ende des 2. Weltkriegs. Normalerweise haben wir Filmemacher physisch zu Gast, die aus Ländern kommen, die miteinander im Streit stehen, z.B. Ukrainer und Russen, vielleicht wären dieses Jahr auch Aserbaidschaner und Armenier bei uns zusammengekommen, wenn es dieses Festival physisch gegeben hätte.“ Dies ist ein Beispiel mehr, wie wichtig und systemrelevant die Kultur- und Kunstszene sogar im weltpolitischen Sinne sein kann.
Einen kleinen Trost hatte Buder dann aber doch für die Zuschauer des nun reinen digitalen Festivals: „Vermutlich konnten ob dieser Umstände noch mehr Deutschlandpremieren von Filmen gewonnen werden, als geplant gewesen wäre, es war eine wirklich solidarische Zusammenarbeit mit Produzenten, Filmemachern und Festivalkooperationspartnern in ganz Europa.“
Als nächstes durfte Oberbürgermeister Holger Kelch ein paar Worte an die Zuschauer richten und hatte mit seiner Metapher zum Filmfestival Cottbus die Sympathiepunkte auf seiner Seite: „Einmal Zwerg auf den Schultern von Riesen sein. Und wenn wir da den Vergleich mit der Berlinale oder den Filmfestspielen in Venedig sehen, dann muss man sagen, hat sich unser FFC-Zwerg in den vergangenen 30 Jahren prächtig entwickelt. Und was ist das Schöne an einem Zwerg? Wenn er auf dem Rücken eines Riesen steht, sieht er viel weiter als der Riese selbst und das ist unser Filmfestival.“
Die nächste Grußbotschaft folgte von Medienboard-Geschäftsführerin Kirsten Niehuus. Sie beglückwünschte Cottbus zum 30jährigen Bestehen des Festivals und wollte für das Engagement aller Mitarbeiter dem Team auch gleich ihre 2016 verliehene Ehren-Lubina zur Verfügung stellen.
Anschließend wurde erst einmal allen Hauptfördern gedankt: Dem Land Brandenburg, Medienboard Berlin-Brandenburg und der Stadt Cottbus.
Gedankt wurde ebenfalls den offiziellen Sponsoren: Creative Europe Media, dem Auswärtigen Amt, der Bundeszentrale für politische Bildung, die GWFF – Die Gesellschaft für Wahrnehmung von Film- und Fernsehrechten, Big Cinema, Sparkasse spree-Neiße, Bundesstiftung Aufarbeitung, Gebäudewirtschaft Cottbus und die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien. Quittiert wurde dies von einem tosenden Applaus aller Gäste der Veranstaltung im Staatstheater: Andreas Stein und Bernd Buder.
Nun ging es aber endlich mit dem Thema Film los. Zu Gast war bei Moderatorin Heidenreich der Regisseur, Schauspieler und das diesjährige Jurymitglied Axel Ranisch. Er hatte den diesjährigen Filmfeststival-Trailer gedreht und ist kein Neuling in der Stadt. Bereits 2008 und 2018 hatte er seine ersten beiden Trailer fürs Festival produziert und zudem 2016 die Eröffnungsfeier moderiert. Die weiteren Mitglieder der internationalen Festivaljury hatte er zu dem Zeitpunkt noch nicht persönlich getroffen, aber diese stellen sich selbst in kurzen Videobotschaften vor. Es waren der Schauspieler Arndt Schwering-Sohnrey, der polnische Regisseur und Schauspieler Bodo Kox, der mit seinem Film „Das Mädchen im Schrank“ 2013 beim FFC ausgezeichnet worden war, Maria Trigo Teixeria, eine aus Lissabon stammende Animationsfilmregisseurin, die 2019 mit dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet wurde, und die Schauspielerin und Regisseurin Yang Ge, die in Peking geboren wurde und ihre Ausbildung in Moskau absolvierte.
Bevor es dann mit dem Eröffnungsfilm losging, durfte Matthias Platzeck – seit 2018 Vorsitzender des Kuratoriums des Filmfestivals – noch ein Grußwort ausrichten. „Ich bin seit Jahrzehnten dem Festival verbunden und war unzählige Male vor Ort, es ist eine Ehre für mich diese Position zu besetzen. Ansonsten beschäftige ich mich auch so viel mit Mittel- und Osteuropa und von daher ist die Verbindung zum Festival sehr nah, deshalb passen Festival und ich, in gewisser Weise gut zusammen. Und dieses Mal wird das Festival sogar weltweit sichtbar sein, vielleicht ist das aus der Not geborene eine Bereicherung.“
150 Filme bis 31.12.2020
Anschließend folgte dann der Eröffnungsfilm des Festivals: MASEL TOV COCKTAIL. Der bereits mehrfach prämierte Film von Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch handelt von dem russischen Juden Dima, der sich bei seinem Schulkameraden Timo entschuldigen soll, weil er ihm die Nase gebrochen hat, nachdem er von ihm rassistisch beleidigt wurde. Dabei hat Dima mit seinem jüdischen Dasein gar nicht viel am Hut, wird aber dennoch immer von allen – seiner Freundin, seinen Lehrern, seinen Eltern und seinen Schulkameraden – darauf (und die damit einhergehende „Opferrolle“) reduziert – dabei will er das gar nicht. Dieser Film mit einem großartigen Hauptdarsteller (Alexander Wertmann) ist ein Weckruf zur Beantwortung der laut Regisseur Arkadij Kjaet dümmsten Fragen, die ihm immer wieder gestellt werden, wie sich der Antisemitismus in Deutschland ändern müsse? Darauf antwortete er mit: „Keine Ahnung! Warum bin ich derjenige, der das beantworten muss? Es ist die Aufgabe der deutschen Gesamtgesellschaft, die Antworten dazu zu liefern.“
Vermutlich muss jeder diese Antwort für sich selbst finden, genauso wie auf viele weitere Fragen, die in den nächsten Tagen des Festivals bei den Zuschauern aufkommen werden, wenn insgesamt bis zu 150 Filme online gestreamt werden können. Eine positive Entwicklung der Digitalversion: Die Filme können nicht nur bis zum Wochenende angesehen werden, sondern sogar bis zum 31. Dezember. Für interessante filmische Abwechslung nach den Feiertagen, während wir möglicherweise im Lockdown sitzen werden, sorgt dieses Mal also das Filmfestival Cottbus.
Informationen zu FFC-Tickets
Das Streaming-Angebot des 30. FilmFestival Cottbus ist vom 8. bis 31. Dezember 2020 über die Festivalwebsite www.filmfestivalcottbus.de abrufbar. Die Ticketbuchung ist über den jeweiligen Filmeintrag möglich. Die Filme sind in Originalsprache, wahlweise stehen deutsche oder englische Untertitel zur Verfügung. Da ein limitiertes Kontingent an Tickets für die online angebotenen Filme vorhanden ist, empfiehlt sich eine rechtzeitige Buchung.
Bereits gebuchte Tickets für das Streaming-Angebot behalten ihre Gültigkeit. Geliehene Filme können innerhalb der 24 Stunden nach erstem Start beliebig oft geschaut werden. Der Film-Start erfolgt durch die Eingabe der zuvor erworbenen Ticket-ID.
Tickets für Filmvorführungen in den Spielstätten, die in Verkaufsstellen erworben wurden, können dort zurückgegeben werden. Eine Rückabwicklung für online über reservix gebuchte Tickets ist über das Portal möglich.