Eine Mehrheit der in der Stadtverordnetenversammlung Senftenberg / Zły Komorow erkennt an, dass die Stadt die gesetzlich festgelegten Kriterien für die Zugehörigkeit zum sorbischen/wendischen Siedlungsgebiet erfüllt. Trotzdem wurde ein entsprechender Antrag abgelehnt.
Gestern, am 9. März 2016, stand als Punkt 1.15 der Stadtverordnetenversammlung Senftenberg auf der Tagesordnung „Antrag zur Feststellung der Zugehörigkeit der Stadt Senftenberg zum angestammten Siedlungsgebiet der Sorben/Wenden – Antrag mehrerer Stadtverordneter“. Das neue Sorben/Wenden-Gesetz legt fest, dass Gemeinden, die bisher nicht als Bestandteil des Siedlungsgebietes aufgelistet sind, nach Prüfung eines entsprechenden Antrages bis Mai 2016 aufgenommen werden können. Den Antrag können die Gemeinden selber, der Sorben/Wenden-Rat beim Landtag oder beide gemeinsam stellen. Die einflussreiche Mitwirkung der Kommunen wurde durch Druck der kommunalen Spitzenverbände des Landes Brandenburg erwirkt. Die Entscheidung trifft das zuständige Ministerium in Potsdam, wobei eine nochmalige Anhörung im Hauptausschuss des Landtages vorgesehen ist. Als Kriterium für die Aufnahme gilt, dass eine kontinuierliche sprachliche oder kulturelle Tradition bis zur Gegenwart nachweisbar sein muss.
Dieses Kriterium ist für Senftenberg/Zły Komorow erfüllt. Das sieht auch die Mehrheit der Stadtverordneten so, so dass damit zu rechnen war, dass der von vier Abgeordneten unterschiedlicher Fraktionen (CDU, DIE LINKE, SPD, UWS) eingereichte Antrag beschlossen wird. Es kam anders. Bei zwei Enthaltungen stimmten 14 der anwesenden Abgeordneten dafür und 14 dagegen, also Ablehnung. Ob nun Zufall oder nicht, zumindest bei den Sozialdemokraten nicht unüblich, die zwei Befürworter des Antrages in der SPD-Fraktion fehlten bei der Sitzung. Die SPD war es auch, die das Ansinnen der Initiatorin dieses Antrages Dr. Gudrun Andresen (CDU), den anwesenden Sorben/Wenden Rederecht zu erteilen, verhinderte. Damit konnten im weiteren Verlauf der Sitzung peinliche Uninformiertheit, Unkenntnis des Sorben/Wenden-Gesetzes und Falsches zum Thema „Sorben oder Wenden“ nicht richtiggestellt werden. Der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Reiner Rademann (SPD) berief sich gar auf „Empirisches“. Er hätte sich in der Stadt umgehört und nur eine Person gefunden, die der Meinung war, das könne man so machen mit dem Siedlungsgebiet. Alle anderen hätten das Ansinnen kategorisch abgelehnt. Es gäbe doch wohl andere Probleme. Klares Fazit für Rademann: Da eine Mehrheit Senftenberg nicht als Bestandteil des sorbischen/wendischen Siedlungsgebietes haben wolle, müsse es auch ein klares Votum bei den Abgeordneten geben. Damit steht dieser Abgeordnete als Musterbeispiel für die Probleme, die im Umgang mit der relativ fortschrittlichen Minderheitenpolitik des Landes Brandenburg immer wieder bei Behörden und Abgeordneten aller Ebenen zutage treten.
Zuerst ist das Unkenntnis der Gesetzeslage. So ist zum Beispiel immer wieder die Rede davon gewesen, dass doch die Domowina den Antrag stellen solle. Im Gesetz ist das natürlich nicht vorgesehen, handelt es sich doch bei der Domowina um einen Verein. Die Unkenntnis internationaler Vereinbarungen, die in Deutschland verbindlich gelten, wird nicht einmal als Defizit empfunden. Kein gutes Zeichen für den europäischen Gedanken.
Weiterhin ist erschreckend, wie die Bemühungen zur Belebung der sorbischen/wendischen Kultur der in der Stadt und in der Region lebenden Wenden ignoriert wird. Auch die Domowina-Gruppe der Stadt wurde bei Anhörungen in Fraktionen immer wieder unter Rechtfertigungsdruck gesetzt. Dabei spricht allein die Anzahl der Aktivitäten in der Stadt für sich. Vom Niedersorbisch-Unterricht an einer Oberschule, gut besuchten Sprachkursen, Lesungen, Konzerten, Ausstellungen, Vorträgen bis zum regelmäßig stattfindenden zweisprachigen Gottesdienst in der Wendischen Kirche reicht das Angebot.
Schließlich wird der tiefe Sinn der Minderheitenpolitik des Landes wohl nicht verstanden: Es ist quasi die Krone der Demokratie, wenn gegenüber Interessen von Minderheiten sehr bewusst vorgesehen ist, dass eine Mehrheit nicht die Macht der größeren Zahl in Anschlag bringen sollte, sondern dass die Minderheiteninteressen zu schützen sind.
Hier liegt der rationale Kern der „Bauchschmerzen“ von Bürgermeister Andreas Fredrich (SPD), wenn er es als bedenklich ansieht, dass eine Mehrheit über eine Minderheit befinden soll. Inzwischen, so scheint es, geht auch er davon aus, dass seine Stadt die Kriterien für die Zugehörigkeit zum Siedlungsgebiet erfüllt. Wenn die Sorben/Wenden-Vertretung auf Landesebene einen entsprechenden Antrag stellt und dieser Antrag positiv vom Land beschieden wird, dann ist wohl damit zu rechnen, dass die Mehrheit der Abgeordneten und der Bürgermeister diesen Beschluss unterstützen werden. Jedenfalls betonten mehrere Abgeordnete während der Debatte, dass sie trotz ihrer Nein-Stimme in der Stadtverordnetenversammlung anerkennen, dass Senftenberg traditionell zum Siedlungsgebiet gehört. Einige würdigten auch die aktuellen Aktivitäten ihrer wendischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.
Insgesamt war es jedoch beschämend, wie wenig gerade diese Bemühungen Anerkennung fanden. Der Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE Wolf-Peter Hannig betont völlig zu Recht, dass eine intensive Förderung des Sorbischen/Wendischen in der Stadt allein schon aus moralischen Gründen auf der Tagesordnung stünde, weil in der Vergangenheit durch politische Systeme und den Bergbau diese Kultur regelrecht überrollt wurde.
Für die anwesenden Sorben/Wenden waren solche Beiträge ermutigende Signale, jedoch war es insgesamt deprimierend, wieder einmal als Objekte der Begutachtung durch teilweise höchst inkompetente Lokalpolitiker ohne Möglichkeit der Erwiderung lediglich einem Spektakel beizuwohnen, das nicht frei von diskriminierenden und paternalistischen Momenten war.
Förderung und Ermutigung oder wenigstens Neugierde oder meinetwegen bloß die Hoffnung, dass sich sorbische/wendische Kultur touristisch vermarkten ließe, kamen nicht zum Tragen. Man kann nur hoffen, dass sich die Sorben/Wenden der Stadt jetzt nicht entmutigt oder genervt zurückziehen. Es wäre schade, wenn alle bisher erfolgreichen Bemühungen umsonst wären. Es wäre schade, wenn viele Einwohnerinnen und Einwohner nicht einmal erfahren würden, was ihnen ohne Bewahrung und Pflege der sorbischen/wendischen Kultur entgeht. Schließlich ist hier zu lernen, wie wertvoll der gleichzeitige Umgang mit mehreren Kulturen sein kann. Interkulturelle Kompetenz heißt das Prinzip, dass es zu fördern gilt. Nicht der Antrag spaltet oder schadet der Stadt, wie einige Abgeordnete meinten, sondern das provinzielle Gehabe einiger der lokalen Volksvertreter.
Eine Aufgabe bleibt natürlich, nämlich dafür zu sorgen, dass der Wert des Sorbischen/Wendischen für Senftenberg sinnlich erlebbar für möglichst viele wird. Diese Aufgabe kann die Minderheit nicht alleine bewältigen.
Foto: Modenschau moderner wendischer Kollektion der Designerin Sarah Gwiszczin Senftenberg (Foto: grh)