Sylvia Wähling, Geschäftsführende Vorsitzende Menschenrechtszentrum Cottbus e.V. und Leiterin der Gedenkstätte Zuchthaus Cottbus erklärt: “Das kurdische Volk hat gestern mit überwältigender Mehrheit über die Unabhängigkeit Kurdistans im Nordirak abgestimmt. Unabhängig vom Ausgang des Referendums und von möglichen Konsequenzen fordert das Menschenrechtszentrum Cottbus e.V. die brandenburgische Landesregierung auf, den einstimmigen Beschluss des Landtages vom Dezember 2016 für die Aufnahme einer begrenzten Zahl von Jesidinnen und Jesiden außerhalb des regulären Asylverfahrens in Brandenburg dringend umzusetzen. Die Lage der Jesidinnen und Jesiden ist unverändert. Als der IS am 3. August 2014 die Stadt Shingal angriff, flüchteten hunderttausende Jesiden in Richtung irakisches Kurdistan. Mehreren Tausend Jesiden ist jedoch die Flucht nicht gelungen. Für den so genannten Islamischen Staat (IS) sind Jesiden, die weder Christen noch Moslems sind, „Teufelsanbeter“ und mussten entweder zum Islam konvertieren oder sterben. Knapp 6.500 Personen wurden vom IS entführt. Frauen erlebten, wie ihre Söhne, Männer und Brüder vor ihren Augen bestialisch enthauptet wurden. Jungs werden zu IS-Kämpfern ausgebildet, Babys den Müttern weggenommen, Frauen und Mädchen versklavt, zwangsverheiratet, vergewaltigt und für wenig Geld freitags nach dem Moscheebesuch wie Vieh verkauft. Der kurdischen Regionalregierung sind immer noch weit über 3.000 Frauen und Männer namentlich bekannt, die sich in den Fängen des IS befinden.
Die kurdische Regionalregierung und Verwandte der Betroffenen haben seit Beginn des Genozids gegen die Jesiden etwa 3.000 Personen für mehrere Tausend Dollar freigekauft. Sehr viele unter ihnen sind aufgrund der Misshandlungen und ihrer Erlebnisse schwer traumatisiert und benötigen dringend professionelle Hilfe, die in Kurdistan nicht gewährt werden kann. Es ist ein Gebot der Humanität, diesen Menschen zu helfen. Das Land Brandenburg sollte sich laut dem Beschluss des Landtages „auf der Bundesebene für eine humanitäre Hilfsaktion des Bundes für alleinstehende Frauen, ggf. mit ihren minderjährigen Kindern, sowie für unbegleitete Minderjährige, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Syrien und im Irak traumatisierende Gewalt erlitten haben und sich derzeit im Irak aufhalten“, einsetzen und so ein Aufnahmekontingent nach dem Aufenthaltsgesetz schaffen. Darüber hinaus sollten Gespräche mit anderen Bundesländern geführt werden, „um gemeinsam ein Aufnahmeprogramm für traumatisierte Frauen und Minderjährige aus dem Nordirak vorzubereiten, sofern der Bund bis zum 1. Juli 2017 kein Aufnahmekontingent … geschaffen hat.“ Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Baden-Württemberg haben ihre Kontingente aus dem Jahr 2015 erhöht.”
Die Umsetzung des Landtagsbeschlusses von Brandenburg lässt allerdings auf sich warten. „Wir fragen uns, wie lange noch die deutsche Bürokratie braucht. Traumatisierte Opfer können nicht auf langwierige deutsche Lösungen warten, sondern benötigen akut unsere Hilfe. Viele der jesidischen versklavten und befreiten Frauen wurden in der Zeit ihrer Versklavung durch die massiven Vergewaltigungen schwanger und haben mittlerweile entbunden. Diese Kinder haben also einen Vater, der ein Angehöriger des IS ist. Dies ist sowohl psychisch als auch vielleicht physisch ein großes Problem für das Kind, das Kind eines IS-Verbrechers zu sein. In jeder Kultur wäre es eine schwere Last, das Kind eines Schwerstverbrechers zu sein. Wie wird es wohl in Kurdistan sein“, fragt Sylvia Wähling, die sich bereits im August an die Landesregierung und die Fraktionsvorsitzenden gewandt und sich nach dem Sachstand erkundigt hatte. Nach der Antwort der Staatskanzlei wollte „die Landeregierung über den aktuellen Sachstand … noch im September des Jahres den Landtag informieren“. Das Thema der Jesiden ist jedoch nicht auf der Tagesordnung der morgen beginnenden Landtagssitzung.
pm/red