Wie bereits berichtet, hat der Besucher des Jahr100Spektakels im zweiten Teil des Abends die Qual der Wahl, vier Stücke stehen zur Wahl. Und alle sind sehenswert. Man muss also mehrmals zum Spektakel gehen. Niederlausitz aktuell war nach der Premiere noch zweimal in der Neuen Bühne hat sich „Wunschkonzert“ und „Vineta“ angeschaut. „Wunschkonzert“ von Franz Xaver Kroetz (Philipp Stemann) ist eine Studie über die Einsamkeit des Menschen. In eine schöne Einraumwohnung (Ausstattung: Saskia Wunsch) kommt nach getaner Arbeit Fräulein Rasch (Eva Kammigan). Sie bereitet pedantisch alles für gemütlichen Abend vor. Sie wäscht ab, pflegt ihren Körper, wäscht ab, isst zu Abend, nimmt sich eine Stickerei vor. Aber sie bleibt allein und hat niemand zum Kommunizieren, manchmal steht sie voller Sehnsucht am Fenster und schaut fern. Aber sie findet keine Befriedigung. Endlich kommt dann im Radio das Wunschkonzert, ihre einzige Verbindung zur Außenwelt. Schlager, Schnulzen und Popsongs werden gespielt und Grüße von der Volkssolidarität, von Oma, Opa, Freunden und Kollegen werden bestellt. Fräulein Rasch erlebt dieses Konzert sehr emotional. Freude, Trauer, Erinnerungen und Neid werden sichtbar. Nach dem Konzert geht alles seinen gewohnten Gang. Und Fräulein Rasch erkennt, dass sie für immer einsam und verlassen ist. Das ist aufregender grandioser Theaterabend. Es ist ganz toll, wie Eva Kammigan dieses Fräulein Rasch spielt. Es ist Stück ohne Worte. Dennoch ist das Spiel der Schauspielerin eine wunderbare Erzählung über das Leben einer einsamen Frau.
Das Stück „Vineta (oderwassersucht)“ wurde im Jahr 2000 von Fritz Kater geschrieben. Es ist ein Zustandsbeschreibung Ostdeutschlands, die immer noch aktuell ist. Die Geschichte spielt Frankfurt/Oder. Aber sie könnte auch Senftenberg spielen. Der Boxer Steve (Robert Eder) kehrt nach langen Jahren in seine Heimat zurück und will Boxer sein und mit seinem alten Trainer (Roland Kurzweg) arbeiten. Aber der ist total frustriert und macht ihm keine Hoffnung. Und außerdem arbeitet er jetzt mit dem jungen talentierten Frank (Johannes May) zusammen. Er ist sein Favorit für die Meisterschaft. Frank ist ein unsicherer Typ, dessen Lebensinhalt das Boxen ist. Seine Freundin Rosa Marianne Helene Jordan) ist ganz anders.. Sie ist eine starke Frau, die ein Kind von Frank möchte und dann mit Frank nach Hamburg ziehen will. Eigentlich ist Frank nicht der richtige Mann für sie. Deshalb sucht sie Kontakt zum Schläger Mike (Simon Elias), der nach Liebe sucht. Und dann ist da noch Franks Mutter (Sybille Böversen), die die Wende nicht verkraftet hat und aus Verzweiflung säuft. Alle müssen lernen, dass es keine humanen Regeln für das Zusammenleben der Menschen gibt. Steve und Frank werden brutal zusammengeschlagen. Im Krankenhaus werden beide von der Ärztin Leila behandelt. Diese Leila war Steves große Liebe, bevor er wegging. Steve erinnert sich und will neu beginnen. Aber das funktioniert irgendwie nicht. Regisseur Tilo Esche hat aus den hier kurz angerissen Geschichten ein eindrucksvolles Werk komponiert. Mit Tanz, Musik und der Schauspielkunst der Darsteller schafft er es, eine wahrhaftige Zustandsbeschreibung unserer Gesellschaft zu schaffen. Jeder Spieler gibt seiner Figur einen unverwechselbaren Charakter. Keiner ist wirklich böse oder wirklich gut. Es sind Menschen, die jeder kennt. Es bleibt die Frage: Welche Perspektiven bleiben für die Menschen in dieser Zeit. Das Jahr100 Spektakel versucht, darauf eine Antwort zu finden.
Weitere Informationen zu den Inszenierungen, Vorstellungsterminen gibt es unter www.theater-senftenberg.de
Foto: Steffen Rasche.