Acht Mitglieder der Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ haben sich am 3. April 2019 mit einem gemeinsamen Schreiben an die Bundeskanzlerin sowie an die Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg gewandt. Egal ob Ost oder West, Gewerkschaften, Unternehmen oder NGO, die Absender eint die Sorge, dass der Bericht der Kommission für „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ nicht vollinhaltlich umgesetzt wird. Das Schreiben ist auch der Beweis dafür, dass sich die Kommissionsmitglieder auch nach dem Ende der Beratungen in der Pflicht sehen, für die Umsetzung Sorge zu tragen. Sie sehen den erzielten Kompromiss und den Ausstieg aus der Kohleverstromung als Jahrhundertchance, die weltweit Beachtung findet, mahnen aber auch zur konsequenten Umsetzung und Einhaltung der zugesagten Mittel.
Der Brief im Wortlaut:
Umsetzung der Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – Integrität des Berichts muss respektiert werden
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
sehr geehrte Herren Ministerpräsidenten,
in etwas mehr als siebenmonatiger intensiver Arbeit ist es der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung gelungen, einen Plan zur schrittweisen Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung vorzulegen und gleichzeitig konkrete Perspektiven für neue zukunftssichere Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen aufzuzeigen. Das haben viele Kritiker sowohl inhaltlich als auch angesichts der Kürze der Zeit für unmöglich gehalten.
Getragen von einem breiten gesellschaftlichen Konsens zeigt der Abschlussbericht auf, welchen Weg die Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Energieversorgung gehen muss, damit wir die vereinbarten Klimaziele unter Berücksichtigung von Versorgungssicherheit, Preisstabilität und sozialem Frieden in den Revieren einhalten.
In diesem Sinne besteht der Abschlussbericht nicht aus mehreren von einander unabhängigen Teilen, sondern er ist eine unauflösliche Einheit. Nur in seiner Gesamtheit wird er der Tragweite der Entscheidungen aber auch dem Auftrag der Bundesregierung gerecht. Deshalb muss seine Integrität – vor allem angesichts des von der Bundesregierung ausdrücklich gewünschten Prozesses – nun durch ein parlamentarisches Verfahren verbindlich und unrevidierbar bestätigt werden. Ein Aufweichen der Beratungsergebnisse sendet ein verheerendes Signal und stellt den mühsam erreichten Konsens in Frage.
Es darf keine Mittelkürzungen für das Sofortprogramm oder für die langfristigen Strukturhilfen geben, die den erfolgreichen Strukturwandel als Generationenaufgabe gefährden. Wir wollen unsere Zuversicht, die auf dem gefundenen Kompromiss gründet, auch in den kommenden 19 Jahren nutzen, um die Herausforderungen in den Revieren zu meistern. Dafür bedarf es einer Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, die der historischen Dimension unserer gemeinsamen Aufgabe gerecht wird.
Der Abschlussbericht stellt einen tragfähigen gesamtgesellschaftlichen Kompromiss dar, der allen Beteiligten große Zugeständnisse abverlangt und der nie das Zielviereck aus Wirtschaftlichkeit, Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Sozialverträglichkeit außer Acht gelassen hat. Wir haben ein Bündel von effektiven Klimaschutzmaßnahmen vorgelegt, das zwingend mit umfangreichen Initiativen zur Gestaltung des Strukturwandels vorbereitet und begleitet werden muss. Es handelt sich dabei um ein eng miteinander verzahntes Maßnahmenpaket. Die unterzeichnenden Mitglieder der WSB-Kommission weisen mit diesem Schreiben nochmals darauf hin, dass sämtliche Einzelmaßnahmen einander bedingen.
Die Erreichung der Klimaschutzziele ist eigentlicher Zweck der Kommissionsvorschläge. Unser aller Anspruch ist und war es aber auch immer, durch die Förderung strukturwirksamer Projekte sowie gezielter arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen verlässliche Zukunftsperspektiven für die betroffenen Reviere zu schaffen und soziale Verwerfungen im Zuge des Ausstiegs aus der Kohleverstromung abzuwenden. Die vorhandenen hochwertigen Arbeitsplätze dürfen unter keinen Umständen gänzlich verloren gehen, sondern müssen frühzeitig durch andere substituiert werden. Diese Aufgabe haben alle Reviere gleichermaßen zu meistern. Sie dürfen dabei nicht mangels finanzieller Unterstützung des Bundes alleine gelassen werden.
Neben einer verbindlichen und unrevidierbaren gesetzlichen Finanzierungszusage der Strukturfördermaßnahmen ist die Verkürzung von Planungs- und Genehmigungszeiträumen eine weitere wesentliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Strukturwandel. Notwendig sind hierfür einerseits die Anpassung regulatorischer Rahmenbedingungen und andererseits eine angemessene Ausstattung mit zusätzlichen Personalkapazitäten.
Die Energiewende und der damit einhergehende Ausstieg aus der Kohleverstromung sind ein Kraftakt, den wir dennoch als Jahrhundertchance begreifen. Weltweit wird dieser Prozess mit großer Aufmerksamkeit beobachtet. Die Bundesrepublik Deutschland kann hier ein Vorbild für viele weitere Nationen sein. Ein Scheitern hätte neben ökonomischen und ökologischen Aspekten eine nachhaltig abschreckende Wirkung zur Folge. Der Druck ist damit hoch. Eine zweite Chance wird es nicht geben.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Kreuzberg, Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier
Christiane Schönefeld, Geschäftsführerin der Regionaldirektion NRW, Bundesagentur für Arbeit
Christine Herntier, Bürgermeisterin der Stadt Spremberg
Prof. Dr. Kai Niebert, Präsident Deutscher Naturschutzring
Andreas Scheidt, Bundesvorstand ver.di-Gewerkschaft
Michael Vassiliadis, Vorsitzender IG BCE
Stefan Körzell, Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Claudia Nemat, Vorstandsmitglied Technologie & Innovation Deutsche Telekom AG