Wenn als Adresse des Greenpeace-Protestes gegen neue Tagebaue in Brandenburg die Parteizentrale in Berlin gewählt wurde, so ist das völlig korrekt. Denn die SPD hat in Brandenburg nie versprochen, dass sie Vorreiter für Energiewende und erneuerbarer Energien sein will.
Selbstverständlich hat die klima- und energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag Eva Bulling-Schröter Recht, wenn sie von einem Konflikt innerhalb der LINKEN spricht. Der Konflikt besteht darin, dass linke Landesminister einem neuen Tagebau zustimmen wollen, obwohl die Partei auf Bundes- wie auf Landesebene das Gegenteil beschlossen hat. Doch das ist nicht alles, was zu klären ist. Um wieder zum eigentlichen inhaltlichen Problem und zu den bereits vereinbarten Abmachungen in Beschlüssen und Programmen der Partei DIE LINKE zurückzukehren, ist ein Perspektivenwechsel notwendig.
Erstens: Die Arbeitsplatzlüge und ein falscher methodischer Ansatz
Ständig werden die angeblich nicht ersetzbaren Arbeitsplätze der Braunkohlenindustrie aufgezählt oder auch propagandistisch aufgemotzt, so dass schon mal von 22.000 die Rede ist. Niemand spricht davon, wie viele Arbeitsplätze durch den Tagebau vernichtet werden und wie viele geschaffen werden müssten, um die Energieversorgung mit alternativen Energien zu sichern. Immer wieder sind Gerüchte zu vernehmen, dass sich Vattenfall aus dem Braunkohlegeschäft zurückziehen wird. Umso mehr steht also für die Brandenburgische Politik die Aufgabe, einen Plan für den Strukturwandel zu entwickeln – ein Perspektivprogramm, das das Schaffen von Arbeitsplätzen durch die Energiewende befördert. Dass dies unterlassen wird, ist auch unfair gegenüber den Kohlekumpels. Wenn feststeht, dass Energiegewinnung mit fossilen Energieträgern aus ökologischen, sozialen, gesundheitlichen und ökonomischen Gründen auslaufen muss, so auch von der Partei DIE LINKE definiert, dann können doch nicht die „Guten“ diejenigen sein, die versprechen, so lange wie nur möglich um die alten Arbeitsplätze zu kämpfen und am Ende dann die Sache sozialverträglich abzuschließen. Hier wäre der erste Perspektivenwechsel angesagt, nämlich weg von einer „sozialverträglichen Sterbebegleitung“ und hin zu neuen Herausforderungen durch die Energiewende, einschließlich der Arbeit an Konzepten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Konfliktlos wird auch dieser Wechsel nicht zu haben sein.
Zweitens: Verlust der Heimat
Sehr kalt wirkt, wenn der Energiepolitische Sprecher der Landtagsfraktion Thomas Domres in einer Presseerklärung zum Beschluss des Braunkohlenausschusses, mit der Eröffnung des Tagebaues Welzow-Süd II die alte Braunkohlenpolitik fortzusetzen, lediglich feststellt: „Mit Proschim droht die Abbaggerung einer von 28 sorbischen Ortschaften und damit der Verlust von weiterem sorbischen Kulturgut.“ Jedoch spätestens mit solchen Bemerkungen, dass bei den Greenpeace-Protestierern kein Mensch aus Brandenburg dabei gewesen wäre, wird klar, dass es die brandenburgische LINKE ist, die die Orientierung verloren hat. Ich jedenfalls habe gute Bekannte aus Brandenburg, darunter Mitglieder meiner Partei, also der LINKEN, erkannt. Und wie Führungspersonal der LINKEN darauf kommt, im Braunkohlekonflikt lediglich ein regionales Problem zu vermuten, weshalb „englischsprachige Kollegen“ unter den Protestierern regelrecht verdächtig sind, wird wohl das Geheimnis des Plüschsofas bleiben, auf dem so etwas ausgedacht wird. Dieses provinzielle Herumgelärme ist einfach nur peinlich. Doch zurück auf die sachliche Ebene: Hier ist der zweite Perspektivenwechsel für Linke dringend geboten. Denn in den Erklärungen der Parteifunktionäre kommen die Menschen nicht vor. Doch um sie geht es, um die Menschen in Proschim (Prožym) zum Beispiel.
Drittens: Fortschritt neu definieren
Der dritte Perspektivenwechsel erfordert für Linke das Loslassen von einem Fortschrittsbegriff, der durch angeblich globale Sachzwänge definiert ist. Exemplarisch steht für diesen Konflikt das Dorf Proschim (Prožym). Das Land Brandenburg läuft nämlich Gefahr, eine Provinzposse mit kulturpolitischer und ökonomischer Brisanz zu produzieren, wenn tatsächlich dieses sorbische/wendische Dorf wegen des geplanten und von der Landesregierung gewünschten neuen Tagebaues Welzow-Süd II abgebaggert wird. Dann würde ein Dorf verschwinden, dass sich komplett mit erneuerbaren Energien, selbstverständlich CO2-frei, versorgt und wo es gelungen ist, auch darüber hinaus regionale Wirtschaftskreisläufe zu etablieren. Ein Dorf, das lokal verwirklicht hat, was landesweit als mittel- bzw. langfristige Aufgabe steht, würde zugunsten der technologisch, sozial und ökologisch überholten Braunkohlenverstromung vernichtet werden. Eine Energiepolitik des Gestern würde über ein Dorf, das für Tradition und Zukunft steht, den Sieg davon tragen dürfen.
DIE LINKE sollte sich gut überlegen, ob sie sich zum Untertanen eines Konzernes macht, der scheinheilig von der gut subventionierten „billigen Stromversorgung“ spricht, eine eigene Beteiligung an der Energiewende durch Tricksereien umgeht und längst das Land verlassen haben wird, wenn die sogenannten Ewigkeitskosten zu tragen sind – nicht vom Unternehmen, sondern von uns allen.
Viertens: Koalition als Wert an sich
Aus welcher Perspektive soll denn eigentlich diese Sicht Geltung haben? Geht es nicht vielmehr darum, unterschiedliche Positionen zu schwierigen Fragen im produktiven Streiten zu klären, vielleicht auch als gegenwärtig nicht überbrückbaren Interessengegensatz stehen zu lassen, damit zu leben lernen. Das Gerede vom Konsens ist meist ohnehin Unsinn, denn in der Regel geht es um Kompromisse. Wenn der Kompromiss heißt, Proschim (Prožym) und der Parteitagsbeschluss gegen neue Tagebaue müssen weg, dafür bleibt die Koalition, dann muss das erstens auch so gesagt werden. Zweitens ist jedoch auch die Frage zu stellen, ob damit das eigentliche Problem erfasst werden kann. Und schließlich ist das Argument der Parteiführung, auch auf Bundesebene, absurd, dass die Ablehnung der linken Minister im brandenburgischen Kabinett den Tagebau nicht verhindern würde, damit aber die Koalition am Ende wäre. Es stimmt zwar, dass dann mit der SPD-Mehrheit trotzdem alles wie von Vattenfall geplant läuft, aber es steht doch die Frage, was eine Koalition soll, die eine in existentiellen Fragen richtige Entscheidung der LINKEN verunmöglicht. Hat eine Koalition einen Wert an sich? Muss sich deshalb der kleinere Koalitionspartner mit seiner Erpressbarkeit abfinden? Worin besteht dieser Wert? Diese Frage halte ich nicht für banal, sie ist berechtigt, wenn die Alternativen in Betracht gezogen werden. So, wie jetzt von der Landtagsfraktion und den Ministern vorgeführt, ist aber nicht einmal diese Frage zu beantworten.
Deshalb ist ein Perspektivenwechsel nötig, der die Meisterung der Energiewende im Blick hat, nicht Bestandssicherung tradierter Vorstellungen und energiepolitischer Machtverhältnisse. Mit dem gegenwärtigen Agieren der LINKEN in Brandenburg beweist sie lediglich, dass sie in der Energiepolitik nicht zuförderst für Alternativen zur Braunkohle steht, sondern Teil des Problems ist, das durch widersprüchliches Taktieren gekennzeichnet ist. Macht an sich ist nichts Verwerfliches, eine Koalition unter Beteiligung der LINKEN erst recht nicht. Doch was soll Macht, wenn sie nicht auch als Macht der Aufklärung im Interesse der wirklich Betroffenen, der Proschimer, der Bergleute und Energiearbeiter genutzt wird? Was soll eine Koalition, wenn DIE LINKE so tut, als dürfe sie in diesem Rahmen nicht einmal andere als von SPD und Wirtschaftsminister gewollte Optionen vorbringen?
Quelle: Dr. Gerd-Rüdiger Hoffmann