Ich bin früh auf.
Ein frischer Wind poltert am Haus, klappert an den Fensterläden und kräuselt das Wasser im Swimmingpool.
Urlaub an der Ostsee ist gebucht: Fischgeruch, Möwenschrei, schäumende Gischt am Leuchtturm. Unsere Sehnsucht nach dem Meer wird vor oder nach der Saison gestillt; es ist ruhiger, nicht so teuer.
Die kühne Silhouette Stralsunds – weiter nordwärts, nach Rügen.
Verträumte Häfen, endlose Strände warten, Butt und Bismarckhering.
Die Wohnung in der Ferienvilla ist sauber und aufgeräumt, zur Begrüßung steht eine Flasche Sekt auf den Tisch. Wir revanchieren uns stolz mit Köstlichkeiten aus dem Spreewald.
Schon am 2. Tag mieten wir einen Kutter, fahren raus, an der Steilküste vorbei; Richtung Kap Arkona. Eine knappe Woche im Mai, den Elementen nah.
Ich hatte mich nach der Schule bei der Handelsmarine beworben; der Zensurendurchschnitt ließ das durchaus zu. Körperlich stählte ich mich auf dem Schwielochsee. Gemeinsam mit 16 Gefährten ruderten wir endlose Kilometer mit dem “K10”, einem Ausbildungskutter der GST.
“Aufriemen”!
… noch bis heute zuck ich bei diesem Schrei zusammen: wir schufteten wie die Sklaven auf einer phönizischen Galeere; Kopf, Arme und Nacken von der Sonne verbrannt, blutige Blasen an den Händen, vom Willen beseelt, Seemann zu werden.
Den Sprung zur Handelsmarine und damit die Chance, ferne Länder zu sehen, war jedoch nur Wenigen vergönnt.
Gleich nach der Bewerbung tat sich Merkwürdiges in der Nachbarschaft: Schnüffler gingen um und holten penibelst Auskunft über die Gesinnung des Aspiranten.
Schon der kleinste, jemals im Scherz geäußerte Witz über den “Arbeiter und Bauernstaat” reichten zur Ablehnung.
Genauso wurde bestraft, wessen Verwandtschaft westlich der Mauer wohnte.
Wie wollte man, bitteschön, Oma Inge aus Köln, Tante Gretel aus Trier überreden, nach Marzahn oder Frankfurt/Oder zu ziehen? Wandlitz wäre vielleicht gegangen; abends, beim Kaminfeuer mit Mielke und Honni Romme’ zu spielen – warum nicht? Aber die waren immer gleich beleidigt, wenn mal ein anderer gewann, die Partisanen.
Nach dem 16. Plenum sollten ja Romme’ und Canasta abgeschafft werden, genau wie der Männertag.
In ihrem neuen Buch bestreitet Margot Honecker das alles, doch ich war dabei, weiß, wie das ablief.
Übrigens, die Liebe zur See ist geblieben.
Am Wochenende fahren Hilde und ich zum Schlabendorfer See und hören dem Rauschen der Wellen zu. Bald gibt’s hier Fische, dann finden sich auch Möwen ein, genau wie auf dem Atlantik.