Jubeln, Jauchzen, Klatschen – größte Freude, größtes Vergnügen – ein Theater voller Kinder aus dem Häuschen, die eine Zugabe einfordern und bekommen – so endet die Premiere „Sechse kommen durch die Welt“. Doch ihren Anfang nimmt diese Stimmung bereits nach wenigen Minuten, da soll zum ersten Mal mitgesungen werden: „Zweie kommen durch die Welt…“, – kurzes Zögern bei den überwiegend sehr jungen Zuschauern – dann haben sie sie. Und da aus Zweien, Dreie, Viere – und so weiter werden, findet das Lied einige Fortsetzungen und springt der Funke auch zum Letzten über. Als die Kinder den Sechsen auf der Bühne dann auch noch gegen den hinterlistig-bösen König und seine wirklich missratene Tochter helfen können, ist kein Halten mehr. Die Kinder springen auf und rufen Lösungen auf Rätsel, kaum dass die erste Hälfte der Fragen gestellt wurde.
Und all das passiert in einer Oper. Einer richtigen Oper. Aus dem Orchestergraben ertönen Instrumente, die nicht wenige Kinder noch nie gesehen haben, auf der Bühne agieren Opernsänger und Opernchor in wunderbaren Kostümen und gelungener Kulisse – ein Übriges tut das Ambiente des Großen Hauses, um das Staunen und das Erlebnis perfekt zu machen.
Wundervoll, dass jede einzelne Leistung jedes Mitwirkenden nicht nur in dieses Bild passt, sondern es individuell gestaltet und immer, immer wieder betont.
Da ist ganz zu Beginn die Freude über die tolle Sprachverständlichkeit der Hauptfigur, des Soldaten – was für ein Einstand für Christoph Bier in seiner ersten Rolle an unserem Theater. Da ist Carola Fischer als Mutter (Alte) mit artistischen Einlagen im Baumwipfel. Schon hier werden die Kinder einbezogen, als sie der Soldat um Rat fragt, seinen letzten Heller an das Mütterchen zu geben (die Antwort hat übrigens eine deutliche Tendenz zu Nein). Dann kommt ein Felsbrocken geflogen, das „Steinchen“ hat der Starke geworfen. Ingo Witzke ist gefühlt doppelt so groß, wie Christoph Bier – mit mächtigen Muskeln, tiefem Bass – und einem bestimmten Problem mit seiner eigenen Mutter. Er ist nicht der spielstärkste unserer Sänger, als Starker aber gelingt ihm ein ganz besonderer Typ. Der ist Dirk Kleinke in jeder Rolle sowieso, und doch setzt er bei jedem Mal noch einen drauf. So auch diesmal als äußert scharfsinniger Jäger. Den wirft auch der Wind nicht um, den der Bläser (Marlene Lichtenberg) entfachen kann und der nicht nur Mühlenflügel an- sondern später Soldatenhorden vertreibt. Fast hätte es auch den Läufer (Alexander Geller) weggefegt, der viele, viele Meilen in unglaublich kurzer Zeit schafft und das selbst nach einem unfreiwilligen Schläfchen. Und so ganz anders als diese Fünf und als jeder im Saal ist die seltsame Gestalt, die die Sechse komplett macht und ihnen später das Leben rettet – der Frost (Anika Paulick, a.G.).
Sie kommen in die Stadt und geraten in ein lustiges Markttreiben. Die gute Laune des Volkes kommt vom Spiel der Gauklergruppe die gerade eine Glosse auf König und Prinzessin zum Besten gibt. Meike Funken, Thorsten Coers und Ralf Schlotthauer machen dies, in für Chorsänger ungewohnten Rollen, ganz großartig. Ebenso wie ihre Kollegen Ingolf Czerny als königlicher Ausrufer, Hans Anacker als Dieb und Karl-Heinz Schischefsky als Priester. Überhaupt ist der Chor als Marktvolk ein Hingucker und eine musikalische Freude. Einstudiert von Christian Möbuis, bei dem auch die musikalische Leitung liegt und der mit seinem Orchester manchmal etwas viel Gas gibt, was jedoch zum Jubel und Trubel dann auch wieder passt.
Wo es karikierte Obrigkeiten gibt, sind die echten nicht weit – und doch in ihrer eigenen Welt. Dort herrscht Goldglanz allenthalben, der jedoch von all der endlosen Langeweile nicht ablenkt, so dass die Prinzessin (Katerina Fridland) auf allerlei boshaften Unsinn kommt – seit einer Weile hat sie sich darauf spezialisiert Brautwerber mit unlösbaren Aufgaben um deren Köpfe zu bringen. Ihr Vater (Heiko Walter) weiß nicht ein, noch aus und möchte das nervende „Kind“ einerseits endlich loswerden, ist andererseits aber der, von dem sie ihre Bosheit hat. Und so finden sie großen Gefallen daran, dass endlich wieder Abwechslung ins Schloss kommt, als der Soldat und seine fünf Freunde in den Wettbewerb um Prinzessin und halbes Königreich treten. Fair geht es dabei von Seiten der Majestäten nicht zu, und es braucht schon alle Sechse, um dem gewachsen zu sein.
Eine extra Anmerkung verdient Katerina Fridland. Es ist ihre erste wirkliche Bewährung als singende Darstellerin im neuen Engagement – und sie macht das so toll, dass sie sich am Ende wütendste Buhhs und Bähhs der Kinder einfängt. Katerina Fridland kann derart aufdrehen, singt, schneidet Grimassen, ist beleidigte Leberwurst und überhebliche Prinzessin – baut die Reaktionen der kleinen Gäste ein – es ist eine Freude, und auch sie fühlt sich dabei offenbar pudelwohl.
Mehr soll hier auch garnicht verraten werden. Wer Kinder ab Sechs hat und dieses bis ins Detail liebevoll ausgestattete (Hans-Holger Schmidt, Nicole Lorenz), inszenierte (Hauke Tesch) und gesungen-gespielte Stück verpasst, ist selber schuld. Und wer es bis Weihnachten nicht schafft: bestimmt läuft diese Märchenoper bald erneut.
Jens Pittasch
SECHSE KOMMEN DURCH DIE WELT
Oper für Kinder in fünf Bildern von Wolfgang Hocke
Libretto von Jo Fabian nach dem Märchen der Brüder Grimm für Kinder ab 6 Jahren
Musikalische Leitung CHRISTIAN MÖBIUS
Regie HAUKE TESCH
Bühne HANS-HOLGER SCHMIDT
Kostüme NICOLE LORENZ
Choreinstudierung CHRISTIAN MÖBIUS