Mit einem umjubelten „Jahr100Spektakel“ ist die Neue Bühne Senftenberg am 27. September in die Ära Soubeyrand gestartet. Die hochgesteckten Erwartungen des Publikums aus nah und fern wurden übertroffen. Der Blick auf das 20. Jahrhundert und die Gegenwart war verstörend und erkenntnisreich. Das Spektakel begann mit Heiner Müllers letztem Stück „Germania3 – Gespenster am toten Mann“, in Szene gesetzt von Manuel Soubeyrand. Zu beginn erzählen die am Bühnenrand sitzenden Schauspieler vom Turmbau zu Babel und dem Traum mit Menschenkraft eine glückliche Gemeinschaft zu schaffen. In der ersten Szene stehen Ernst Thälmann und Walter Ulbricht an der Mauer. Thälmann sagt klar: Das ist das Mausoleum des Sozialismus. Dafür, dass Menschen erschossen werden, haben wir nicht gekämpft. Und Ulbricht antwortet: Ich habe keine bessere Lösung. Was haben wir falsch gemacht ist die Frage, über die beide sinnieren. Dann wird Rosa Luxemburg von zwei Soldaten zur Erschießung geführt. Dann ist plötzlich Stalin (eindrücklich gespielt von Heinz Klevenow) zu sehen. Still sinniert über sein Leben und seine Politik. Er habe den Boden aus dem der Sozialismus wachsen soll mit Blut gedünkt. Und das war richtig, meint er. In dem inneren Monolog redet er auch mit seinem „Bruder Hitler“. Das ist entlarvend. Und dieser Hitler wird von Eva Geiler gespielt. Sie karikiert diese Figur ganz wunderbar. Und der Zuschauer fragt sich, wie konnten Tausende diesem Typen zu jubeln. In einen bunten Reigen nicht chronologisch geordnet werden Ereignisse der Welt- und Literaturgeschichte gezeigt. Kleists Prinz von Homburg spricht, Soldaten lesen Hölderlin, streiten sich um das Essen, drei Witwen lassen sich töten, weil sie alles verloren haben, die Russen befreien und vergewaltigen, Menschen werden denunziert und kommen ins Zuchthaus Bautzen und dann fällt die Mauer und die Menschen steigen über sie hinweg. Und dann sind Gagarins Worte: Dunkel ists im Weltall. Ein frustrierender Schluss bei Müller. Aber in Senftenberg ist am Ende Brecht in Originalton mit seinem Text „An die Nachgeborenen“, einen Text der Hoffnung macht, zu hören. Manuel Soubeyrand aus Müllers Text eine Reise durch die Geschichte des Jahrhunderts mit vielen Stationen, heiteren und ernsten Bildern, die zu Herzen gehen kreiert. Nach einer kulinarischen Pause kann der Besucher eines von vier Gegenwartsstücken auswählen. Alle Stücke gehen der Frage nach, ob der Turmbau zu Babel in der neuen Zeit vollendet werden kann. Das wird wohl eher nicht geschehen, denn das Fundament hat schon wieder Risse. In Jan Neumanns Stück „Fundament“ (Regie: Kai Festersen) werden Menschen porträtiert, die auf der Sinnsuche sind. Da ist Frührentner Wolfgang Röhrig, der seinen Leben Vieles ausprobiert. Er wollte Jude, Moslem und einiges mehr werden. Der Student Benjamin Ulrich will die Welt retten. Aber kommt nicht zum Ziel. Aber am Ende ist er einsam und radikal. Bettina Lauterbach versucht ihre Probleme, durch kreatives Malen zu lösen. Eine feine Dame, die mehrmals verheiratet war, wartet auf dem Bahnhof. Ein erfolgreicher Manager versucht, die Lügen der Werbewirtschaft mit sozialem Engagement zu übertünchen. Und plötzlich gibt es auf dem Bahnhof einen Bombenanschlag und Protagonisten gehen in den Tod. In Werner Buhss Stück „WolfsWelt. Die Stunde der Kammerjäger“, das in Senftenberg uraufgeführt wurde (Regie: Samia Chancrin) wird gezeigt, dass der Mensch immer noch der Feind des Menschen ist. In Fritz Katers Stück „Vineta“ (Regie: Tilo Esche) kehren Menschen in die Heimat zurück, werden dort aber nicht heimisch. Im“ Wunschkonzert“ von Franz Xaver Kroetz (Regie: Tilo Esche) wird ein Tag im Leben einer einsamen Frau gezeigt. Beschlossen wird das Spektakel mit einem von Heiner Kondschak entwickelten revolutionären Liederabend“ Keine Macht für Niemand“ (Regie und musikalische Leitung: Alexander Suckel). Hier kann man das Jahrhundert nun musikalisch erleben. Der titelgebende Song stammt Rio Reiser und seiner Band Ton, Steine Scherben. Die Auswahl der anderen Lieder reicht von Brecht bis zur Gruppe Lift, von Bob Dylan bis Victor Jara. Mit den Liedern wird auch an das Engagement der Revolutionäre des Jahrhunderts, wie Nelson Mandela, Che Guevara, Salvator Allende, gewürdigt. Der Liederabend macht Mut an die Verwirklichung des Traumes von Babylon, der Schaffung eines Landes ohne Krieg und Gewalt,zu glauben. Alle Lieder werden von der Band und Schauspielern meisterhaft interpretiert. Das Publikum dankt mit stürmischem Beifall nicht für den Liederabend, sondern für das ganze Spektakel.
Das Jahr100Spektakel ist wieder am 2., 3. 4., 10., 11., 17., 18. 24., 25., 30., 31. Oktober und 1. November zu erleben. Kartentelefon 03573 80 12 86. Weitere Informationen unter www.theater-senftenberg.de.