Mit großer Symbolkraft setzten tausende Mitarbeiter des Lausitzer Bergbaubetreibers Leag in Cottbus heute ein Zeichen vor allem an die Bundespolitik. Anlass: Der erste 500 Megawatt Block im Braunkohlekraftwerk Jänschwalde ging heute um 17 Uhr in die Sicherheitsreserve und damit vorerst vom Netz. In dieser Bereitschaft muss der abgeschaltene Block F, der 1989 in Betrieb ging, innerhalb von zehn Tagen nach Aufruf durch den Übertragungsnetzbetreiber anfahrbereit und nach weiteren maximal 24 Stunden mit voller Leistung am Netz sein muss. Symbolisch saßen auf dem Stadthallenvorplatz 600 Mitarbeiter für rund 600 Arbeitsplätze, die laut Leag in Zukunft dadurch unternehmensweit nicht mehr neu besetzt werden können. Für die Sicherheitsreserve wird die LEAG vom Bund entschädigt.
Zu der Demonstration hatten die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) und die Gesamtbetriebsräte des Energieunternehmens LEAG aufgerufen. Moralische Unterstützung erhielten die Energiearbeiter am Sonntag auch vom Brandenburger Ministerpräsidenten Dr. Dietmar Woidke und dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister Sachsens, Martin Dulig.
Ute Liebsch, Bezirksleiterin der IG BCE in Cottbus: “Ich fordere die Bundesregierung mit ihrem Wirtschaftsminister Peter Altmeier auf, für einen Strukturwandel in den Revieren endlich belastbare Alternativen aufzuzeigen. Eine Fata Morgana ist kein Konzept und Geld alleine schafft keine neuen, gut bezahlten Arbeitsplätze! Heute wurden symbolisch 600 industrielle Arbeitsplätze politisch motiviert Abgeschaltet, bis jetzt haben wir von den politisch versprochenen gut bezahlten neuen industriellen Arbeitsplätzen in der Lausitz ganze 0 geschaffen.“
Brandenburgs Ministerpräsident Dr. Dietmar Woidke: „Ich danke den Kraftwerkern. Sie haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einen wichtigen Beitrag zur Energiesicherheit in Deutschland geleistet. Jetzt kommt es darauf an, aktiv die weitere Zukunft der Lausitz zu gestalten. Und da hat die IG BCE vor wenigen Tagen hier in Cottbus einen ganzen wichtigen und guten Aufschlag gemacht mit ihrer Standortkonferenz für die Lausitz. Unser Motto muss heißen: „Nicht schlecht reden, sondern gut machen.“
Der Sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig betonte: „Deutschland ist ein hochentwickeltes Industrieland. Sachsen steht daher fest auf dem Standpunkt, dass ein vorzeitiger Ausstieg aus der Kohleverstromung nicht mit einer verantwortungsbewussten Energiepolitik vereinbar ist. Braunkohle sorgt für Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Kalkulierbarkeit der Energieversorgung – und für sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze in einer sonst eher strukturschwachen Region. Das war in der Vergangenheit so. Und das ist auch heute noch so. Wir dürfen keinen zweiten Strukturabbruch zulassen und diesen nicht durch künstliche Festlegungen von Ausstiegsdaten befeuern. Zudem brauchen wir eine sichere und qualitativ hochwertige Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen für alle Verbraucher. Ansonsten gefährden wir nicht nur die ökonomische, sondern auch die soziale Stabilität in unserem Land.“
LEAG-Personalvorstand Dr.-ing. E.h. Michael von Bronk kündigte an, dass die Ausbildungssituation in der Lausitz sich durch die Abschaltung verändern wird: „Wir müssen ein Drittel der Erzeugungskapazität des Kraftwerks Jänschwalde stilllegen, obwohl diese Blöcke gut in Schuss und ihren vollen Beitrag zur sicheren Stromversorgung in Deutschland leisten könnten. Ganz abgesehen vom wirtschaftlichen Verlust bedeuten 1000 MW weniger Stromerzeugungskapazität (Anm. der Redaktion: Am 30.09.2019 geht ein weiterer 500MW Kraftwerksblock in die Sicherheitsreserve) auch eine um acht bis neun Millionen Tonnen geringere Braunkohlenförderung im Tagebau. Damit werden insgesamt 600 Arbeitsplätze bei der LEAG überflüssig, und dies trifft zuerst und im besonderen Maß den Fachkräftenachwuchs, auf den diese Region wie kaum eine andere angewiesen ist. Früher galt für Auszubildende ein guter Fachabschluss im Lausitzer Bergbau schon fast als sichere Garantie dafür, dass man auch einen Arbeitsplatz im Ausbildungsunternehmen bekommen würde. Diese Zusage können wir trotz der hohen Qualität unserer Ausbildung heute nicht mehr allen Auslernern geben. Wegen eines willkürlichen politischen Eingriffs wird das Ausbildungsangebot der LEAG in den kommenden Jahren zurückgehen. Vor weiteren Eingriffen dieser Art kann man nur warnen, sonst wird diese Region noch mehr junge Menschen an florierende Industriezentren in Westdeutschland verlieren.“
Franziska Sperfeld, stellvertretende Landesvorsitzende des BUND Brandenburg: „Heute zeigt sich vor allem eines: Der Kohleausstieg kommt. Und er liegt schon lange nicht mehr nur in der Hand der rot-roten Landesregierung. Die Stilllegung zweier Blöcke in Jänschwalde wurde von der Bundesregierung beschlossen, nun soll die Kohlekommission festlegen, bis wann der Rest abgeschaltet wird. Die EU hat zudem neue Luftschadstoffgrenzwerte festgelegt, welche ab 2021 gelten und welche die alten Kraftwerksblöcke nicht einhalten können. Die Landesregierung kann zwar immer noch – wie im kürzlich beschlossenen Maßnahmenkatalog zur Energiestrategie 2030 – die Braunkohleverstromung bis 2050 propagieren – in der Hand hat sie diese Entscheidung schon lange nicht mehr. Da auch Kohle aus dem Tagebau Welzow-Süd im Kraftwerk Jänschwalde verbrannt wird, ist es relevant, wie lange die einzelnen Blöcke laufen. Der Braunkohlenplan muss daher so überarbeitet werden, dass darin die Nutzung der Kohle in Welzow-Süd II ausgeschlossen wird. Einen Bedarf für den neuen Tagebau zu begründen ist jetzt erst recht nicht mehr möglich.“
Klaus-Peter Schulze (CDU), Bundestagsabgeordneter: „Hier sehen wir, wie es nicht laufen sollte. Durch eine politische Entscheidung gehen 600 Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region verloren, ohne dass eine strukturpolitische Kompensation stattfindet. Zwar sei der Stellenabbau sozialverträglich gestaltet, dennoch fehle der Lausitz nun die Kaufkraft von 600 Industriearbeitsplätzen. Neue Investitionen wie die kürzliche Grundsteinlegung einer zweiten Papierfabrik in Schwarze Pumpe können dies nicht kompensieren. Die Kommission muss den Fokus auf die notwendige Strukturentwicklung in den Kohleregionen legen. Erst dann kann über Ausstiegsszenarien gesprochen werden. Es darf nicht so enden, dass wir beim Ausstieg feste zeitliche Vorgaben haben und gleichzeitig bei der Strukturförderung nur vage Zusagen gegeben werden.”
Zeitgleich zur Kundgebung in Cottbus begann eine Mahnwache vor dem Kraftwerk Jänschwalde. Mehr als ein Dutzend LEAG-Mitarbeiter harren dort bis in die Morgenstunden aus, bis Block F endgültig heruntergefahren ist, denn ab Mitternacht – so die Vorgabe der Bundesregierung – darf er kein Kohlendioxid mehr emittieren. Im Herbst 2019 wird Block E in die Sicherheitsbereitschaft folgen. Insgesamt gehen 2,7 Gigawatt Braunkohlestrom in eine vierjährige Sicherheitsreserve und werden nach der Frist abgeschalten. Diese Leistung entspricht 13 Prozent der gesamten in Deutschland installierten Braunkohlenkraftwerkskapazität, die mit Stilllegung der letzten Blöcke im Oktober 2023 vom Netz gehen wird. Bislang wurden das Mibrag-Kraftwerk Buschhaus und zwei Blöcke des RWE-Kraftwerks Frimmersdorf vorläufig stillgelegt. Neben dem zweiten Block in Jänschwalde folgt zum 1. Oktober 2019 noch ein Block des RWE-Kraftwerks Neurath. Angefordert wurde die Reserve bei den seit 2016 stillgelegten Kraftwerken bisher nicht.
Die betroffenen Unternehmen RWE, LEAG und Mibrag sollen bis 2023 eine jährliche Entschädigung von 230 Millionen Euro erhalten. Damit entstehen insgesamt Kosten von rund 1,61 Milliarden Euro, die über die Netzentgelte auf die Verbraucher umgelegt werden.