Am 19. Juni traf ich mich mit dem Bundestagsabgeordneten Wolfgang Nešković zu einem Gespräch. Geboren und wohnhaft in Lübeck, Rechtsanwalt, Richter am Bundesgerichtshof a.D., kein Mitglied einer Partei, von den LINKEN im Wahlbezirk Cottbus/Spree-Neiße als Kandidat aufgestellt, seit 2005 im Bundestag und 2009 direkt in den Bundestag gewählt. Verbunden mit der Lausitz, wie er auf seiner Homepage schreibt.
Heute ist er, obwohl nicht Mitglied der LINKEN, Justiziar und Vorstandsmitglied der Fraktion DIE LINKEN im Bundestag.
Im ersten Teil interessierte mich das tiefe Misstrauen zwischen Volk und Regierung.
Wir sprachen aber auch über Möglichkeiten der neuen Medien und die Struktur der Gesetzgebung.
Helmut P. Fleischhauer: Thema neue Medien. Viele Bürgerinitiativen nutzen ja gerade die neuen Medien zur Vernetzung und Kommunikation.
Wolfgang Nešković: Ich bin weder bei facebook noch bei Twitter. Ich habe auch nicht die Zeit dazu. Zu solchen Netzwerken haben die jungen Leute in meinem Mitarbeiterteam eine ganz andere qualitative Anbindung als ich. Was da aber entstanden ist, ist faszinierend und erstaunlich. Z.B. Wikipedia: Da wird Wissen geteilt. Fremdes Wissen wird gelesen und mit dem eigenen Wissen verknüpft. Daraus entsteht dann wieder neues erweitertes Wissen. Wissen kann man verschenken, ohne etwas zu verlieren. Früher war es das Lexikon, heute reicht ein Suchbegriff in einer Suchmaschine im Internet, um viel Wissen und auch unterschiedliche Meinungen zu finden.
H.F.: … und die Chance der sozialen Netzwerke?
W.N.: Nach meinem Eindruck sind die bisherigen Versuche von Abgeordneten oder Ministerien, soziale Netzwerke sinnvoll zu nutzen, bislang wenig erfolgreich. Vieles wirkt hier amateurhaft, anbiedernd und manchmal unfreiwillig komisch. Einen wirklichen Zugang zu diesen Möglichkeiten oder einen Plan hat die Politik noch nicht.
Die PIRATEN hingegen nutzen die neuen Medien professionell und politisch erfolgreich. Reaktionen von Bürgern erreichen sie schnell und wirken sich so auf das Programm und das politische Handeln der Piraten aus. Das ist eine neue Dimension der Bürgerbeteiligung, die ich sehr begrüße. Vielfältige und unterschiedliche Rückmeldungen der Basis erlangen so in ganz kurzer Zeit politische Wirkung.
Wenn ich eine Veranstaltung zum Thema Rechtsextremismus durchführe, kann ich an einem Abend maximal 150 Besucher erreichen, bei 10 Veranstaltungen also ca. 1.500. Bei einer Direktübertragung via Internet wären es vielleicht 30.000. Das eröffnet gerade für solche Parteien, die sich nicht der Aufmerksamkeit und Fürsorge der Mainstream-Medien erfreuen, neue Kommunikationsmöglichkeiten. So könnte über Internet auch das Meinungsmonopol großer Medienkonzerne gebrochen werden.
H.F.: Sie verwendeten vorhin den Begriff ‘Abnickmaschinerie’, als wir über das Parlament sprachen. Was meinen Sie damit?
W.N.: Es gibt im Parlament zwei Probleme. Das eine ist die Wissensüberlegenheit der Regierung über das Parlament, das andere ist der Fraktionszwang. Fast alle Gesetzesvorlagen werden in den Ministerien geschrieben. Dort sind die fachlichen und finanziellen Möglichkeiten, die Auswirkungen und die Tragweite eines Gesetzes oder einer Gesetzesänderung genau zu überprüfen. So hat die Regierung in dem Bereich der Gesetzgebung eine gewaltige Übermacht gegenüber dem Parlament. Diese „Waffenungleichheit“ führt dazu, dass die Abgeordneten im Ergebnis die Gesetzentwürfe der Regierung regelmäßig „abnicken“, wobei die Regierungsfraktionen aus Loyalität der Regierung folgen, während die Opposition im Regelfall die Gesetzentwürfe der Regierung ablehnt.
Dieses wechselseitige Ritual wird durch den Fraktionszwang abgesichert. Entgegen dem Grundgesetz, das ausdrücklich regelt, dass Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind, unterwerfen sich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen den Gesetzentwürfen der Regierung. Durch diesen Mechanismus entsteht im Parlament keine Debattenkultur, bei der das bessere Argument die Oberhand behält. Bei dieser Sachlage könnte man die Abgeordneten ebenso durch dressierte Meerschweinchen ersetzen.
H.F.: Herr Nešković, noch ein Frage zum Schluß. Warum sind Sie eigentlich in die Politik gegangen?
W.N.: Ich wünsche mir mehr soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft und weltweit. Daran möchte ich mitarbeiten.
H.F.: Herr Nešković, ich danke Ihnen für das offene Gespräch und Ihre klaren Worte.
Foto: PR
Am 19. Juni traf ich mich mit dem Bundestagsabgeordneten Wolfgang Nešković zu einem Gespräch. Geboren und wohnhaft in Lübeck, Rechtsanwalt, Richter am Bundesgerichtshof a.D., kein Mitglied einer Partei, von den LINKEN im Wahlbezirk Cottbus/Spree-Neiße als Kandidat aufgestellt, seit 2005 im Bundestag und 2009 direkt in den Bundestag gewählt. Verbunden mit der Lausitz, wie er auf seiner Homepage schreibt.
Heute ist er, obwohl nicht Mitglied der LINKEN, Justiziar und Vorstandsmitglied der Fraktion DIE LINKEN im Bundestag.
Im ersten Teil interessierte mich das tiefe Misstrauen zwischen Volk und Regierung.
Wir sprachen aber auch über Möglichkeiten der neuen Medien und die Struktur der Gesetzgebung.
Helmut P. Fleischhauer: Thema neue Medien. Viele Bürgerinitiativen nutzen ja gerade die neuen Medien zur Vernetzung und Kommunikation.
Wolfgang Nešković: Ich bin weder bei facebook noch bei Twitter. Ich habe auch nicht die Zeit dazu. Zu solchen Netzwerken haben die jungen Leute in meinem Mitarbeiterteam eine ganz andere qualitative Anbindung als ich. Was da aber entstanden ist, ist faszinierend und erstaunlich. Z.B. Wikipedia: Da wird Wissen geteilt. Fremdes Wissen wird gelesen und mit dem eigenen Wissen verknüpft. Daraus entsteht dann wieder neues erweitertes Wissen. Wissen kann man verschenken, ohne etwas zu verlieren. Früher war es das Lexikon, heute reicht ein Suchbegriff in einer Suchmaschine im Internet, um viel Wissen und auch unterschiedliche Meinungen zu finden.
H.F.: … und die Chance der sozialen Netzwerke?
W.N.: Nach meinem Eindruck sind die bisherigen Versuche von Abgeordneten oder Ministerien, soziale Netzwerke sinnvoll zu nutzen, bislang wenig erfolgreich. Vieles wirkt hier amateurhaft, anbiedernd und manchmal unfreiwillig komisch. Einen wirklichen Zugang zu diesen Möglichkeiten oder einen Plan hat die Politik noch nicht.
Die PIRATEN hingegen nutzen die neuen Medien professionell und politisch erfolgreich. Reaktionen von Bürgern erreichen sie schnell und wirken sich so auf das Programm und das politische Handeln der Piraten aus. Das ist eine neue Dimension der Bürgerbeteiligung, die ich sehr begrüße. Vielfältige und unterschiedliche Rückmeldungen der Basis erlangen so in ganz kurzer Zeit politische Wirkung.
Wenn ich eine Veranstaltung zum Thema Rechtsextremismus durchführe, kann ich an einem Abend maximal 150 Besucher erreichen, bei 10 Veranstaltungen also ca. 1.500. Bei einer Direktübertragung via Internet wären es vielleicht 30.000. Das eröffnet gerade für solche Parteien, die sich nicht der Aufmerksamkeit und Fürsorge der Mainstream-Medien erfreuen, neue Kommunikationsmöglichkeiten. So könnte über Internet auch das Meinungsmonopol großer Medienkonzerne gebrochen werden.
H.F.: Sie verwendeten vorhin den Begriff ‘Abnickmaschinerie’, als wir über das Parlament sprachen. Was meinen Sie damit?
W.N.: Es gibt im Parlament zwei Probleme. Das eine ist die Wissensüberlegenheit der Regierung über das Parlament, das andere ist der Fraktionszwang. Fast alle Gesetzesvorlagen werden in den Ministerien geschrieben. Dort sind die fachlichen und finanziellen Möglichkeiten, die Auswirkungen und die Tragweite eines Gesetzes oder einer Gesetzesänderung genau zu überprüfen. So hat die Regierung in dem Bereich der Gesetzgebung eine gewaltige Übermacht gegenüber dem Parlament. Diese „Waffenungleichheit“ führt dazu, dass die Abgeordneten im Ergebnis die Gesetzentwürfe der Regierung regelmäßig „abnicken“, wobei die Regierungsfraktionen aus Loyalität der Regierung folgen, während die Opposition im Regelfall die Gesetzentwürfe der Regierung ablehnt.
Dieses wechselseitige Ritual wird durch den Fraktionszwang abgesichert. Entgegen dem Grundgesetz, das ausdrücklich regelt, dass Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind, unterwerfen sich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen den Gesetzentwürfen der Regierung. Durch diesen Mechanismus entsteht im Parlament keine Debattenkultur, bei der das bessere Argument die Oberhand behält. Bei dieser Sachlage könnte man die Abgeordneten ebenso durch dressierte Meerschweinchen ersetzen.
H.F.: Herr Nešković, noch ein Frage zum Schluß. Warum sind Sie eigentlich in die Politik gegangen?
W.N.: Ich wünsche mir mehr soziale Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft und weltweit. Daran möchte ich mitarbeiten.
H.F.: Herr Nešković, ich danke Ihnen für das offene Gespräch und Ihre klaren Worte.
Foto: PR