Karsten Jennerjahn, Präsident des Bauernbundes Brandenburg, wirft der Landespolitik eine systematische Benachteiligung des ländlichen Raumes vor.
Wolfserwartungsland, Wegzugsprämie – die städtische Sicht auf den ländlichen Raum Brandenburgs spart nicht mit drastischen Formulierungen und Vorschlägen.
Eine demografische Herausforderung nie da gewesenen Ausmaßes wird festgestellt, grundlegende Strukturbrüche werden erkannt und tiefgreifende Anpassungsprozesse angemahnt. Solchermaßen wissenschaftlich fundiert hält die Landespolitik bereits seit vielen Jahren schmerzhafte Einschnitte und radikale Reformen für unausweichlich, wenn überhaupt noch eine Mindestversorgung aufrechterhalten werden soll.
Ich weiß nicht, an welches Land diese Wissenschaftler und Politiker dabei denken.
Vermutlich haben sie Lappland oder Australien vor Augen, Brandenburg ist es jedenfalls nicht. Wer in Brandenburg eine Landpartie unternimmt, fährt alle zwei bis fünf Kilometer in ein schönes, ordentliches Dorf mit renovierten oder neuen Häusern, gepflegten Gärten und Grünanlagen. Was in den vergangenen zwanzig Jahren – überwiegend in Privatinitiative – auf dem Lande alles geschaffen wurde, rechtfertigt ausdrücklich den fast schon vergessenen Begriff blühende Landschaften. Und wenn ich inmitten von Windrädern und Getreidefeldern stehe, frage ich mich manchmal, wo mehr Wertschöpfung stattfindet, hier oder in Berlin. Wohlgemerkt, ich spreche vom Geld verdienen! Dass Berlin Geld ausgeben kann, ist bekannt.
Es ist höchste Zeit, mit dem arroganten Vorurteil aufzuräumen, der ländliche Raum sei strukturschwach oder gar zurückgeblieben. Der ländliche Raum definiert sic durch eine vergleichsweise geringere Einwohnerdichte pro Flächeneinheit. Das hat Vor- und Nachteile, ist aber zunächst einmal der Normalfall. Historisch gesehen sind die Ballungszentren eine spätere Entwicklung, haben heute sicher ihre Berechtigung, dürfen aber keinesfalls als das Maß aller Dinge betrachtet werden. Nach wie vor leben viele Menschen gern in Dörfern und Kleinstädten, und das sollte der Staat ihnen nicht verleiden, sondern endlich als gleichberechtigtes Siedlungsmodell anerkennen.
Statt dessen erleben wir in Brandenburg seit Jahren eine systematische Benachteiligung des ländlichen Raumes, indem der Staat sich mit seinen hoheitlichen Aufgaben aus der Fläche zurückzieht, in der Wirtschaftsförderung falsche Akzente setzt und die Menschen auf dem Land überreguliert. Der demografische Wandel findet überall statt. Man muss aber die daraus resultierenden Probleme für den ländlichen Raum nicht noch durch politische Entscheidungen unnötig verschärfen, wie es die Landespolitik unverständlicherweise gezielt betreibt.
Wenn der Staat sich anmaßt – und das tut er sicher aus gutem Grund – bestimmte Aufgaben allein wahrzunehmen oder maßgeblich zu gestalten, so folgt aus diesem Monopolanspruch meines Erachtens die Pflicht, dafür flächendeckend ausreichende Angebote zu organisieren. Es ist nicht seine Aufgabe, jede Grundschule mit mehr als hundert Schülern auszulasten, sondern jedem Schüler in weniger als zehn Kilometern Entfernung zu seinem Wohnhort eine Grundschule anzubieten. Aus der geringeren Einwohnerdichte folgen zwar vergleichsweise höhere Bereitstellungskosten pro Einwohner – das dürfte aber kein Problem sein, weil in den Ballungszentren entsprechend niedrigere Kosten anfallen und die Kostenbelastung pro Einwohner sich damit ausgleicht. Wer sich hier mit dem Kostenargument aus der Verantwortung stiehlt, diskriminiert die Menschen auf dem Land als Bürger zweiter Klasse.
Unser ganzes von Bismarck erdachtes Sozialsystem beruht auf diesem Ausgleich:
Reiche zahlen mehr ein als Arme, Kranke nehmen es mehr in Anspruch als Gesunde – warum also sollten Großstädter besser versorgt sein als Landbewohner? Wie soll man einem jungen Menschen, der schon als Baby auf dem Weg zum Kreißsaal eine Dreiviertelstunde unterwegs war und als Schulkind täglich zwei Stunden im Bus verbringen musste, glaubhaft nahebringen, dass es sich für ihn lohnt, ausgerechnet auf dem Dorf eine Existenz aufzubauen und eine Familie zu gründen? Genau das wird aber immer wichtiger, denn zahlreiche mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum, die Landwirtschaft eingeschlossen, suchen inzwischen händeringend Nachwuchs …
Während um mich herum Schulen, Krankenhäuser und Polizeiwachen schließen, Straßen und Versorgungsleitungen verkommen, warte ich seit mittlerweile mehr als zehn Jahren auf schnelles Internet. Ich weiß, fließend Wasser wurde auch nicht zuerst aufs Dorf gelegt, aber die Selbstverständlichkeit, mit der heute Errungenschaften des modernen Lebens den Menschen im ländlichen Raum vorenthalten werden, enthält unausgesprochen schon fast den Vorwurf, wie man sich nur in einer solch entlegenen Gegend ansiedeln konnte.
Auch mit der öffentlichen Verwaltung treibt der Staat die Entleerung des ländlichen Raumes massiv voran, indem er die Landesverwaltung in den Ballungszentren konzentriert und Ämter und Gemeinden zu sinnlosen Fusionen zwingt. Die letzte Kommunalgebietsreform endete in einem Fiasko der Entmündigung: Tausende bislang für ihr Dorf ehrenamtlich aktive Bürgermeister und Gemeindevertreter verloren über Nacht jegliche Gestaltungsmöglichkeiten und wurden zu Bittstellern entfernter Verwaltungseinheiten degradiert – zu sagen hatten sie nichts mehr und an ihr Jahrhunderte selbständiges Dorf erinnerte nur noch ein Straßenname.
Aber nicht genug, bereits heute spekulieren die Technokraten des demografischen Wandels auf die nächste Kommunalgebietsreform, nur noch fünf Großkreise sind im Gespräch, keine Gemeinde mehr unter 10.000 Einwohner. Zwei Dinge sollte man sich voher allerdings klarmachen: 1. An Einsparungen hat die alte Kommunalgebietsreform bislang nichts gebracht und 2. ganz gleich, wie man die Effizienz märkischer Amtsstuben beurteilt, gehen den betroffenen Dörfern und Kleinstädten mit jeder Fusion attraktive, gut bezahlte Arbeitsplätze und damit Menschen und Kaufkraft verloren. Großkreise und Großgemeinden sind nicht nur unwirtschaftlich, weil sie ehrenamtliches
Engagement vernichten, sondern sie beschleunigen unmittelbar den Niedergang des ländlichen Raumes.
Selbst da, wo der Staat in die Wirtschaft hineinregiert, werden seit Jahren falsche Schwerpunkte gesetzt. Unter dem Motto “Stärken stärken” konzentriert sich die Wirtschaftsförderung des Landes auf am grünen Tisch von Verwaltungsfachleuten ausgedachte so genannte Regionale Wachstumskerne, die mit Ausnahme weniger Alibi-Standorte allesamt in den Ballungszentren liegen. Bleibt das Gesamtbudget gleich oder sinkt sogar, dann kann diese Strategie gar nicht zu einem anderen Ergebnis führen, als dass die nicht geförderten ländlichen Wirtschaftsstandorte Wettbewerbsnachteile erleiden – also bewusst geschwächt werden.
Hinzu kommt, dass derselbe Staat, der so konsequent seine Angebote im ländlichen Raum abbaut, immer neue Repressalien gegen die Landbevölkerung erfindet: Während die komplette Entsorgung gewachsener Kulturlandschaften inklusive ihrer Bewohner durch einen ausländischen Energiekonzern in der Lausitz offensichtlich kein Problem darstellt, werden diejenigen, die auf dem Lande nachhaltig wirtschaften, mit einem engmaschigen Netz von Auflagen und Einschränkungen überzogen: Natura 2000, Vogelschutzgebiete, Flora-Fauna Habitate, Biotopschutzprogramme und Gewässerentwicklungskonzepte
schreiben uns immer kleinteiliger vor, wie wir in Zukunft Landwirtschaft betreiben sollen – und bevormunden damit einen Berufsstand, der bei
aller berechtigten Kritik im Einzelfall doch immerhin für den schützenswerten Zustand der Flächen verantwortlich sein dürfte.
Nehmen wir etwa die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Brandenburg: Für Kartierung, Monitoring, Entwicklungsplanung, Flusslaufrenaturierung und Fischtreppen ist reichlich Geld vorhanden. Für die Gewässerunterhaltung hingegen, seit jeher Voraussetzung für eine ertragreiche Landwirtschaft, fehlt es an allen Ecken und Enden.
Praktisch für die Umweltbürokraten, da sich auf diese Weise die Feuchtbiotope von ganz alleine vermehren. Und damit auch das Wolfserwartungsland keine leere Versprechung bleibt, sorgt man fleissig für die Ausbreitung dieses Raubtieres, das in absehbarer Zeit die Weidehaltung von Rindern und Schafen wenn nicht unmöglich so doch mindestens unbezahlbar machen wird.
Ich möchte nicht falsch verstanden. Nichts läge mir ferner, als ein trostloses Bild vom ländlichen Raum in Brandenburg zu zeichnen, im Gegenteil: Mir geht es gut, ich fühle mich wohl hier und möchte nirgendwo sonst leben. Wir haben vielleicht nicht die spektakulären Boom-Branchen, aber mit Landwirtschaft, Handwerk und mittelständischem Gewerbe, Tourismus und regenerativen Energien haben wir sehr reale, stabile Wirtschaftszweige. Und wir haben einen hohen Anteil an Selbständigen und Eigentümern
auf dem Land. Wir sind, um es deutlich zu sagen, strukturstark.
Dass unsere Dörfer und Kleinstädte heute überhaupt lebenswert sind, verdanken wir freilich nicht in erster Linie dem Staat, sondern unserer eigenen privaten Initiative. Es
ist gute Tradition im ländlichen Raum, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Vielleicht brauchen wir in Zukunft wirklich gar nicht so viele Schulen, Krankenhäuser und Polizeiwachen.
Dass für Straßen kein Geld da ist, damit kann ich schon jetzt leben, denn mit meiner Technik komme ich auch so überall durch. Vielleicht müssen wir tatsächlich in dieser Richtung umdenken. Dann allerdings brauchen wir zuallererst kein Finanzamt mehr. Dann sollen sich die Steuereintreiber bitte in den Speckgürtel verziehen, wo sie doch bestimmt viel wirtschaftlicher arbeiten können. So lange jedenfalls, wie der ländliche Raum in Brandenburg nicht gleichberechtigtes Zielgebiet von Bildungs-, Gesundheits-, Innen- und Infrastrukturpolitik ist, sondern lediglich Spielwiese für mobile Dorfläden, Schwester Agnes und Kulturscheunenprojekte, so lange muss sich niemand über eine anhaltende Landflucht wundern und auch nicht über Frust und Politikverdrossenheit bei den Menschen, die trotzdem auf dem Land bleiben.
Karsten Jennerjahn bewirtschaftet einen Ackerbaubetrieb in dem 100-Einwohner-Dorf Schrepkow im Landkreis Prignitz.
Der Beitrag erschien heute in den pnn
Zur Verfügung gestellt vom Bauernbund Brandenburg
Foto © Bernard Landgraf
Veröffentlicht bei wikipedia.org unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation
Karsten Jennerjahn, Präsident des Bauernbundes Brandenburg, wirft der Landespolitik eine systematische Benachteiligung des ländlichen Raumes vor.
Wolfserwartungsland, Wegzugsprämie – die städtische Sicht auf den ländlichen Raum Brandenburgs spart nicht mit drastischen Formulierungen und Vorschlägen.
Eine demografische Herausforderung nie da gewesenen Ausmaßes wird festgestellt, grundlegende Strukturbrüche werden erkannt und tiefgreifende Anpassungsprozesse angemahnt. Solchermaßen wissenschaftlich fundiert hält die Landespolitik bereits seit vielen Jahren schmerzhafte Einschnitte und radikale Reformen für unausweichlich, wenn überhaupt noch eine Mindestversorgung aufrechterhalten werden soll.
Ich weiß nicht, an welches Land diese Wissenschaftler und Politiker dabei denken.
Vermutlich haben sie Lappland oder Australien vor Augen, Brandenburg ist es jedenfalls nicht. Wer in Brandenburg eine Landpartie unternimmt, fährt alle zwei bis fünf Kilometer in ein schönes, ordentliches Dorf mit renovierten oder neuen Häusern, gepflegten Gärten und Grünanlagen. Was in den vergangenen zwanzig Jahren – überwiegend in Privatinitiative – auf dem Lande alles geschaffen wurde, rechtfertigt ausdrücklich den fast schon vergessenen Begriff blühende Landschaften. Und wenn ich inmitten von Windrädern und Getreidefeldern stehe, frage ich mich manchmal, wo mehr Wertschöpfung stattfindet, hier oder in Berlin. Wohlgemerkt, ich spreche vom Geld verdienen! Dass Berlin Geld ausgeben kann, ist bekannt.
Es ist höchste Zeit, mit dem arroganten Vorurteil aufzuräumen, der ländliche Raum sei strukturschwach oder gar zurückgeblieben. Der ländliche Raum definiert sic durch eine vergleichsweise geringere Einwohnerdichte pro Flächeneinheit. Das hat Vor- und Nachteile, ist aber zunächst einmal der Normalfall. Historisch gesehen sind die Ballungszentren eine spätere Entwicklung, haben heute sicher ihre Berechtigung, dürfen aber keinesfalls als das Maß aller Dinge betrachtet werden. Nach wie vor leben viele Menschen gern in Dörfern und Kleinstädten, und das sollte der Staat ihnen nicht verleiden, sondern endlich als gleichberechtigtes Siedlungsmodell anerkennen.
Statt dessen erleben wir in Brandenburg seit Jahren eine systematische Benachteiligung des ländlichen Raumes, indem der Staat sich mit seinen hoheitlichen Aufgaben aus der Fläche zurückzieht, in der Wirtschaftsförderung falsche Akzente setzt und die Menschen auf dem Land überreguliert. Der demografische Wandel findet überall statt. Man muss aber die daraus resultierenden Probleme für den ländlichen Raum nicht noch durch politische Entscheidungen unnötig verschärfen, wie es die Landespolitik unverständlicherweise gezielt betreibt.
Wenn der Staat sich anmaßt – und das tut er sicher aus gutem Grund – bestimmte Aufgaben allein wahrzunehmen oder maßgeblich zu gestalten, so folgt aus diesem Monopolanspruch meines Erachtens die Pflicht, dafür flächendeckend ausreichende Angebote zu organisieren. Es ist nicht seine Aufgabe, jede Grundschule mit mehr als hundert Schülern auszulasten, sondern jedem Schüler in weniger als zehn Kilometern Entfernung zu seinem Wohnhort eine Grundschule anzubieten. Aus der geringeren Einwohnerdichte folgen zwar vergleichsweise höhere Bereitstellungskosten pro Einwohner – das dürfte aber kein Problem sein, weil in den Ballungszentren entsprechend niedrigere Kosten anfallen und die Kostenbelastung pro Einwohner sich damit ausgleicht. Wer sich hier mit dem Kostenargument aus der Verantwortung stiehlt, diskriminiert die Menschen auf dem Land als Bürger zweiter Klasse.
Unser ganzes von Bismarck erdachtes Sozialsystem beruht auf diesem Ausgleich:
Reiche zahlen mehr ein als Arme, Kranke nehmen es mehr in Anspruch als Gesunde – warum also sollten Großstädter besser versorgt sein als Landbewohner? Wie soll man einem jungen Menschen, der schon als Baby auf dem Weg zum Kreißsaal eine Dreiviertelstunde unterwegs war und als Schulkind täglich zwei Stunden im Bus verbringen musste, glaubhaft nahebringen, dass es sich für ihn lohnt, ausgerechnet auf dem Dorf eine Existenz aufzubauen und eine Familie zu gründen? Genau das wird aber immer wichtiger, denn zahlreiche mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum, die Landwirtschaft eingeschlossen, suchen inzwischen händeringend Nachwuchs …
Während um mich herum Schulen, Krankenhäuser und Polizeiwachen schließen, Straßen und Versorgungsleitungen verkommen, warte ich seit mittlerweile mehr als zehn Jahren auf schnelles Internet. Ich weiß, fließend Wasser wurde auch nicht zuerst aufs Dorf gelegt, aber die Selbstverständlichkeit, mit der heute Errungenschaften des modernen Lebens den Menschen im ländlichen Raum vorenthalten werden, enthält unausgesprochen schon fast den Vorwurf, wie man sich nur in einer solch entlegenen Gegend ansiedeln konnte.
Auch mit der öffentlichen Verwaltung treibt der Staat die Entleerung des ländlichen Raumes massiv voran, indem er die Landesverwaltung in den Ballungszentren konzentriert und Ämter und Gemeinden zu sinnlosen Fusionen zwingt. Die letzte Kommunalgebietsreform endete in einem Fiasko der Entmündigung: Tausende bislang für ihr Dorf ehrenamtlich aktive Bürgermeister und Gemeindevertreter verloren über Nacht jegliche Gestaltungsmöglichkeiten und wurden zu Bittstellern entfernter Verwaltungseinheiten degradiert – zu sagen hatten sie nichts mehr und an ihr Jahrhunderte selbständiges Dorf erinnerte nur noch ein Straßenname.
Aber nicht genug, bereits heute spekulieren die Technokraten des demografischen Wandels auf die nächste Kommunalgebietsreform, nur noch fünf Großkreise sind im Gespräch, keine Gemeinde mehr unter 10.000 Einwohner. Zwei Dinge sollte man sich voher allerdings klarmachen: 1. An Einsparungen hat die alte Kommunalgebietsreform bislang nichts gebracht und 2. ganz gleich, wie man die Effizienz märkischer Amtsstuben beurteilt, gehen den betroffenen Dörfern und Kleinstädten mit jeder Fusion attraktive, gut bezahlte Arbeitsplätze und damit Menschen und Kaufkraft verloren. Großkreise und Großgemeinden sind nicht nur unwirtschaftlich, weil sie ehrenamtliches
Engagement vernichten, sondern sie beschleunigen unmittelbar den Niedergang des ländlichen Raumes.
Selbst da, wo der Staat in die Wirtschaft hineinregiert, werden seit Jahren falsche Schwerpunkte gesetzt. Unter dem Motto “Stärken stärken” konzentriert sich die Wirtschaftsförderung des Landes auf am grünen Tisch von Verwaltungsfachleuten ausgedachte so genannte Regionale Wachstumskerne, die mit Ausnahme weniger Alibi-Standorte allesamt in den Ballungszentren liegen. Bleibt das Gesamtbudget gleich oder sinkt sogar, dann kann diese Strategie gar nicht zu einem anderen Ergebnis führen, als dass die nicht geförderten ländlichen Wirtschaftsstandorte Wettbewerbsnachteile erleiden – also bewusst geschwächt werden.
Hinzu kommt, dass derselbe Staat, der so konsequent seine Angebote im ländlichen Raum abbaut, immer neue Repressalien gegen die Landbevölkerung erfindet: Während die komplette Entsorgung gewachsener Kulturlandschaften inklusive ihrer Bewohner durch einen ausländischen Energiekonzern in der Lausitz offensichtlich kein Problem darstellt, werden diejenigen, die auf dem Lande nachhaltig wirtschaften, mit einem engmaschigen Netz von Auflagen und Einschränkungen überzogen: Natura 2000, Vogelschutzgebiete, Flora-Fauna Habitate, Biotopschutzprogramme und Gewässerentwicklungskonzepte
schreiben uns immer kleinteiliger vor, wie wir in Zukunft Landwirtschaft betreiben sollen – und bevormunden damit einen Berufsstand, der bei
aller berechtigten Kritik im Einzelfall doch immerhin für den schützenswerten Zustand der Flächen verantwortlich sein dürfte.
Nehmen wir etwa die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Brandenburg: Für Kartierung, Monitoring, Entwicklungsplanung, Flusslaufrenaturierung und Fischtreppen ist reichlich Geld vorhanden. Für die Gewässerunterhaltung hingegen, seit jeher Voraussetzung für eine ertragreiche Landwirtschaft, fehlt es an allen Ecken und Enden.
Praktisch für die Umweltbürokraten, da sich auf diese Weise die Feuchtbiotope von ganz alleine vermehren. Und damit auch das Wolfserwartungsland keine leere Versprechung bleibt, sorgt man fleissig für die Ausbreitung dieses Raubtieres, das in absehbarer Zeit die Weidehaltung von Rindern und Schafen wenn nicht unmöglich so doch mindestens unbezahlbar machen wird.
Ich möchte nicht falsch verstanden. Nichts läge mir ferner, als ein trostloses Bild vom ländlichen Raum in Brandenburg zu zeichnen, im Gegenteil: Mir geht es gut, ich fühle mich wohl hier und möchte nirgendwo sonst leben. Wir haben vielleicht nicht die spektakulären Boom-Branchen, aber mit Landwirtschaft, Handwerk und mittelständischem Gewerbe, Tourismus und regenerativen Energien haben wir sehr reale, stabile Wirtschaftszweige. Und wir haben einen hohen Anteil an Selbständigen und Eigentümern
auf dem Land. Wir sind, um es deutlich zu sagen, strukturstark.
Dass unsere Dörfer und Kleinstädte heute überhaupt lebenswert sind, verdanken wir freilich nicht in erster Linie dem Staat, sondern unserer eigenen privaten Initiative. Es
ist gute Tradition im ländlichen Raum, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Vielleicht brauchen wir in Zukunft wirklich gar nicht so viele Schulen, Krankenhäuser und Polizeiwachen.
Dass für Straßen kein Geld da ist, damit kann ich schon jetzt leben, denn mit meiner Technik komme ich auch so überall durch. Vielleicht müssen wir tatsächlich in dieser Richtung umdenken. Dann allerdings brauchen wir zuallererst kein Finanzamt mehr. Dann sollen sich die Steuereintreiber bitte in den Speckgürtel verziehen, wo sie doch bestimmt viel wirtschaftlicher arbeiten können. So lange jedenfalls, wie der ländliche Raum in Brandenburg nicht gleichberechtigtes Zielgebiet von Bildungs-, Gesundheits-, Innen- und Infrastrukturpolitik ist, sondern lediglich Spielwiese für mobile Dorfläden, Schwester Agnes und Kulturscheunenprojekte, so lange muss sich niemand über eine anhaltende Landflucht wundern und auch nicht über Frust und Politikverdrossenheit bei den Menschen, die trotzdem auf dem Land bleiben.
Karsten Jennerjahn bewirtschaftet einen Ackerbaubetrieb in dem 100-Einwohner-Dorf Schrepkow im Landkreis Prignitz.
Der Beitrag erschien heute in den pnn
Zur Verfügung gestellt vom Bauernbund Brandenburg
Foto © Bernard Landgraf
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