Bereits zum zehnten Mal protestieren heute Einwohner bedrohter Dörfer aus der ganzen Lausitz, sowie Gäste aus Sachsen, Polen und Berlin mit einem Sternmarsch gegen neue Braunkohlentagebaue. Die über 800 Teilnehmer forderten von der rot-roten Landesregierung die sofortige Einstellung des Planverfahrens für den neuen Tagebau Jänschwalde-Nord und keine Genehmigung weiterer Tagebaue in der Lausitz. Der neue Eigentümer der Braunkohlesparte – die tschechisch-zypriotische Finanz- und Energieholding EPH im Bund mit dem nebulösen Finanzinvestor PPF – hat seine Entscheidung ob er den Aufschluss neuer Tagebaue weiter anstrebt, immer wieder verschoben. Im August 2016 hieß es noch, dass bis Weihnachten eine Entscheidung fallen soll, neuen Ankündigungen zufolge, soll es erst „vor der Sommerpause“ 2017 verkündet werden.
Die Brandenburger Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock berichtete von den Klimakonferenzen in Paris und Marrakesch, an denen sie teilgenommen hat: „Die Weltgemeinschaft hat sich auf der Klimakonferenz in Paris zum Ende von Kohle, Öl und Gas bekannt. Das gilt auch für Brandenburg. Statt neue Tagebaue in Aussicht zu stellen, muss sich die Landesregierung nun federführend darum kümmern, den bereits laufenden Strukturwandel in der Region zu begleiten. Es ist mehr als beschämend, dass die vom Bund dafür bereitgestellten Mittel bisher nicht abgerufen werden können, weil es an einem koordinierten Konzept von Seiten Brandenburgs fehlt“, sagte die Klima- und Energie-Expertin der Grünen im Bundestag in ihrer Rede auf der Kundgebung. Sie fügte hinzu: „Wir dürfen die Menschen in der Region nicht in der Luft hängen lassen. Heimat braucht Zukunft. Zukunft braucht Planungssicherheit.“
„Es ist eine Schande, dass wir seit fast zehn Jahren von der Brandenburger Landesregierung als Spekulationsobjekt hingehalten werden“, sagt Christian Huschga aus Atterwasch: „Während überall in der Welt die Zeichen auf einen mittelfristigen Kohleausstieg stehen, will die Regierung in Potsdam uns immer noch den Profit-Interessen tschechischer Oligarchen zum Fraß vorwerfen“.
„Wir erwarten von der Landesregierung, dass kein neuer Tagebau Jänschwalde-Nord bei der Überarbeitung der Energiestrategie mehr angestrebt wird“, fordert der Kreistagsabgeordnete Andreas Stahlberg aus der Gemeinde Schenkendöbern. Ein neues Kohlekraftwerk Jänschwalde werde nicht mehr kommen, damit habe sich auch der neue Tagebau erledigt. Stahlberg stellte klar, dass es „somit definitiv keine energiepolitische Notwendigkeit für einen neuen Tagebau Jänschwalde-Nord“ mehr gebe. „Auch haben die massiven Steuerrückforderungen des Bergbauunternehmens im vergangenem Jahr gezeigt, dass mit der Braunkohle keine Gewinne mehr zu machen sind“ ergänzt er. „Eine langfristige Sicherheit und Perspektive für die Region kann nur durch einen strukturierten Kohleausstieg erreicht werden.“
„Kohle-Konzerne kommen und gehen, aber unser Widerstand steht seit Jahren. Wir werden nicht weichen bis endlich eine Absage neuer Tagebauplanungen kommt. Dass der Sternmarsch bereits im zehnten Jahr stattfindet, ist ein beeindruckendes Zeichen für die Kontinuität des Widerstandes“, sagt Silvia Borkenhagen von der Agenda 21 der betroffenen Gemeinde Schenkendöbern.
„Mit der Überarbeitung der Brandenburger Energiestrategie muss in diesem Jahr endlich Klarheit geschaffen werden über den Kohleausstiegsfahrplan“, sagte die energiepolitische Sprecherin der bündnisgrünen Landtagsfraktion Heide Schinowsky: „Einer rückwärtsgewandten Politik, die auf neue Tagebaue in der Lausitz setzt, erteilen wir eine klare Absage“. Bislang rechtfertigte die Landesregierung den Aufschluss des Tagebaus Jänschwalde Nord mit dem Hinweis auf ein neues Kraftwerk. „Vom Neubau eines Kohlekraftwerks in Jänschwalde ist aus wirtschaftlichen Gründen schon lange keine Rede mehr“, sagte Schinowsky. „Schon heute rechnet sich die Kohleverstromung kaum mehr.“ Selbst kleinere Investitionen würden deshalb weniger getätigt. Die sofortige Einstellung des Planverfahrens für den neuen Tagebau Jänschwalde Nord bezeichnete die Landtagsabgeordnete als „längst überfällig“.
Unterstützung erhielten die Teilnehmer der Protestkundgebung aus Berlin. Im aktuellen Koalitionsvertrag lehnt der Senat von Berlin ausdrücklich neue Tagebaue ab, berichtete Dr. Stefan Taschner, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Im Rahmen der gemeinsamen Landesplanung von Berlin und Brandenburg wolle sich die rot-rot-grüne Koalition gegen den Aufschluss und die Erweiterung von Braunkohletagebauen wenden, sagte Taschner.
Hintergrund Sternmarsch
Zum traditionellen Sternmarsch rufen die Ortsvorsteher der von Umsiedlung oder Randlage am Tagebau Jänschwalde-Nord bedrohten Dörfer ebenso auf, wie der Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit der Agenda 21 der Gemeinde Schenkendöbern. Der Marsch findet seit zehn Jahren an einem der ersten Sonntage des Jahres statt. Nach Bekanntwerden der Pläne des Vattenfall-Konzerns und der Potsdamer Landesregierung war er am 6. Januar 2008 erstmals durchgeführt worden. Der Tagebau Jänschwalde-Nord bedroht die gesamte Gubener Region. Während drei Orte mit etwa 900 Einwohnern umgesiedelt werden sollen, würden Dörfer wie Taubendorf und Groß Gastrose in eine unzumutbare Randlage am Abgrund geraten. Insgesamt stehen mindestens fünf neue Tagebaue mit 3200 Umsiedlungen in der Lausitz zur Diskussion.
pm/red