Nach 3 Tagen prall gefüllt mit Musik, Klamauk, Spaß und Spiel verteilt auf 16 Bühnen singt und klingt es noch immer im Kopf. Wo fängt man an, von einem Festival zu berichten, das so derart anders ist als alles was man sich vorstellen kann? Und wie schade, dass man nicht überall zugleich sein konnte…
Regen. Es war mal wieder ein hübsch verregneter Freitagstart und Petrus war wohl der Meinung, man könne in diesem Jahr mal mit ein paar Regentänzen beginnen. Nun gut, Folklorumbesucher sind natürlich abgehärtet, tanzt man eben im Gummistiefeln, der Stimmung macht dies keinen Abbruch. Im Gegenteil, der Freitagabend war mal wieder sehr tanzlastig, wenngleich die Füße später über die stundenlange wilde Tanzerei in den Stiefeln weniger begeistert waren-aber egal, da muss man durch.
Nachdem die Zelte in Windeseile in der Nässe aufgebaut waren hatte man schon um 19.00 Uhr die Qual der Wahl zwischen 3 Gruppen im Eingangsbereich. Schraubenyeti, diesmal mit Band „Schraubenyeti & das Mammut“ war eine nette Einstimmung auf einen heißen Tanzabend, der in der Hallenbühne folgen sollte. “The Underscore Orkestra“- dies war eine mehr als quitschlebendige Band aus Portland, Oregon die mit einem unglaublich guten Geiger die Massen in der Halle zum Beben brachte. Es wurde wild getanzt, einfach der Nachbar eingehakt und ab ging die Post zu Mischungen aus Balkan, Klezmer, Hot Jazz, Swing und weiteren Musikeinflüssen. Grandios was die Leute auf der Bühne rübergebracht haben. Anschließend konnte man auf der Holztanzbühne „Ruki Werch mit Klaus der Geiger“ genießen. Wer dann gegen 0.30 Uhr und nach einem langen Arbeitstag auf dem Weg ins Bett war, und nur mal eben schnell ein paar Lieder von „IL Civetto“ anhören wollte, erlebte eine Überraschung, denn die Jungs waren derart gut drauf, dass man nicht umhinkam, sich von der guten Laune anstecken zu lassen, und die Große Bühne dann in einen weiteren Tanzpalast umzuwandeln. Hier weiß man gar nicht mehr, wer hier wen anstachelte, die Zuschauer die Musiker, oder die Musiker die Zuschauer, beide Seiten wollten und konnten kein Ende finden. Das war Stimmung pur.
Wer nach dieser durchtanzten Nacht am nächsten Tag etwas Ruhe brauchte, fand dies bei „Anne Swoboda-und ein Ort zum Glück“ Sie brachte „Die Chansonette“ auf die Märchenbühne. Im Zwiegespräch mit der alternden charmanten Diva aus alten Zeiten, sang und tanzte Anne Swoboda herzergreifend und innig mit der fast Menschengroße Puppe, die sie eng an ihre Seite geschmiegt zum Leben und Singen brachte. Das Duett der Beiden beim Tanzen war eine phantastische Leistung der Künstlerin.
Wer sich einen Spaziergang jenseits der Neißebrücke gönnte, konnte auch hier feststellen, dass das Folklorumgelände längst ausgeufert ist. Auf dem Weg zum polnischen Erlebnisdorf Bielawa Dolna
konnten die Kinder Einblicke in ein Ritterlager bekommen, und später kam man am Campingplatz vorbei, der auf polnischer Seite liegt, weil der Platz auf deutscher Seite schon längst nicht mehr genügt. Übrigens liegt dieser sehr romantisch und ruhig inmitten von viel Grün. Ein Symposium der Holzgestalter zog viele Neugierige Zuschauer an. Konnte man hier live verfolgen, was, und vor allem wie man mit Werkzeugen aus einem Stamm Kunstwerke herstellen kann. Thema war Stuhlskulpturen für die Landschaft zu erschaffen. Nebenher liefen ein Korbflechter-und Marimbabau-Workshop in den Neißeauen. In der neu gebauten Camera Obscura konnte man bei Sonne, die sich am Sonnabend dann doch zeigte, die Landschaft mit einer speziellen Spiegeltechnik auf einer weißen Tischfläche im abgedunkelten Raum drehen und betrachten. Ein interessantes Projekt. Der Marimbabauworkshop im Grünen war auch gut besucht. Auf polnischer Seite fand auch das spektakuläre Eierrutschum, Popolum und Dreibeinum statt. Hierbei traten die Bewerber um die Ehrenturisederschaft an. Das Kinderfest fand am Waldspielplatz mit einem separaten Programm statt.
War man wieder an der Neißebrücke angelangt konnte man am Sonnabend „Schraubenyeti“ wie gewohnt am Klavier hören und genießen. Stehend oder liegend, je nachdem wie lang der Freitagabend war, der Kopf noch grummelte oder man sich einfach von seinen Texten tragen ließ.
Am späteren Abend war in der Waldbühne „2Bfolkish!“ angesagt. Mit Jens Sachse (Gesang, Fiddle, Bandoneon) sowie Alexander Hahne (Gesang, Gitarre, Bodhran) zog Wohnzimmeratmosphäre in die Zuschauer rund um die kleine, enge und steile Bühne. Die markante, angenehm dunkle Stimme von Alexander ging sofort unter die Haut und ein Jeder war einfach nur gebannt. Harmonie pur durften die Zuschauer erleben, was Alexander und Jens auf seiner Fiddle am späten Abend dort boten. Das virtuose Zusammenspiel der Beiden war einfach nur phantastisch, die kurzen Ansprachen und Erläuterungen zu den Liedern waren gut gewählt.
Nach wenigen Liedern allerdings, die mit so viel Leidenschaft gespielt wurden, passierte, was einfach passieren kann, die D-Seite riss. Kein Problem, man hat ja Ersatz dabei. Jens schnappte sich in der angedachten Seitenwechselzeit sein Bandoneon und überbrückte die Zeit mit ganz wunderbarer Musik mit diesem Instrument, welches gern als Tangomusik benutzt wird. Irgendwie nahm die Wechselzeit aber kein Ende, bis Alexander sichtlich verlegen nach vorn kam, und erklärte, dass er einen Satz neuer Gitarrrenseiten dabeihabe, aber just die D-Seite nicht. Er hatte am Nachmittag die Hose gewechselt, wo sich die benötigte Seite befand. Guter Rat war jetzt teuer. Da ja viele Musiker im Publikum saßen, wurden diese befragt, ob jemand mit einer Gitarre aushelfen könne. Nach einer Weile kam dann auch eine Gitarre, aber eine derart kleine, das man sich entschloss, doch die Gitarre ohne D-Seite weiter zu benutzen, Erlösung kam wiederum viel später, als dann endlich eine Gitarre gereicht wurde, die dann klasse klang. Das ist live! Aber eben diese kleinen ungeplanten „Tragödien“und Momente machen ein solches Event aus. Später wurde Alexander auch noch von seinem Kollegen etwas „genötigt“ ein Lied zu singen, welches er eigentlich gar nicht recht mochte, aber Jens legte Wert darauf, dass die Zuschauer auch mitsingen können. Weil dem Alexander dann irgendwann der Text ausging, sang ein Zuschauer ganz allein textsicher die zweite Strophe. Wie gesagt das war Wohnzimmeratmosphäre pur. Später erklang zumindest bei den Refrains der gesamte Zuschauerchor. Aber wer kann sich auch diesen melodischen irischen Weisen widersetzen? Zwei Stunden vergingen wie im Fluge, und werden wohl vielen unvergesslich als Konzert ohne D-Seite in Erinnerung bleiben.
Der Sonntag war unter anderem mit Mitmachtänzen von Usomafile, Paulines Choice und auch einer Bilderreise nach Swanetien- erläutert von Jürgen Bergmann selbst, geprägt. Während Doc Mac Dooley ein Rendezvous mit seinen Elfen hatte, gab es von nebenan mächtig was auf die Ohren. Foliba auf der Holztanzbühne trommelte sich die Seele aus dem Leibe, dass es eine Freude war der munteren Truppe zuzuhören.
Dann kam sie auf die Bühne…Anna Mateur. Wer jetzt am späten Nachmittag noch ein wenig gemütlichen Tagesausklang erleben wollte, wurde von der ersten Sekunde schlagartig wach. Was jetzt noch auf der Großen Bühne folgte, war ein eindeutiger Angriff. Auf die Lachmuskeln nämlich. Was für ein Pfundsweib, was für eine Stimmungskanone. Sängerin, Texterin, Schauspielerin, Zeichnerin. Sie kam auf die Bühne, ging dann sofort zielstrebig in mitten der Zuschauer und begann mit einer musikalischen Parodie, indem sie die Gegebenheiten der Zuschauer einfach in ihre Texte einbezog. Das war ganz großes Kino am Ende von 3 unvergesslichen Tagen auf der verrückten Kulturinsel Einsiedel.
Nach dem Folklorum ist vor dem Folklorum. Wir freuen uns jetzt schon auf das erste Septemberwochenende im Jahre 2018. Bleibt alle gesund.