Ja, so kann es gehen: Klug, anregend, unterhaltsam, spannend – nicht mit erhobenem Zeigefinger, ohne Verbote oder Strafen – so geht es, direkt und einprägsam Erkennen, Verstehen, Verhalten und Wissen zu vermitteln. Dass das nicht durchgehend gelingt, liegt an der Macht des Stoffes.
Denn die Vorlage zum Stück, Michael Endes Roman MOMO, ist kein Kinderbuch. Statt dessen ein tief philosophisches Werk, das sich an die Jugend richtet, da Michael Ende dort für seine Gedankenspiele zwischen Fantasie und Realität die wichtigste Adresse sah. Dem Buch zugrunde jedoch liegt die absolut ernste Auseinandersetzung mit der Geldwirtschaft unserer Zeit.
Entsprechend kritisch stand Ende Bearbeitungen seiner Werke gegenüber, in denen dieser tiefere Sinn abhanden zu kommen drohte. Die Verfilmung der UNENDLICHEN GESCHICHTE versuchte er 1984 gar gerichtlich zu verhindern, ließ sich schließlich aus der Liste der daran Beteiligten streichen und distanzierte sich von diesem „gigantischen Melodram aus Kitsch, Kommerz, Plüsch und Plastik“.
Der Anspruch ist also hoch, will man einen Ende-Roman überhaupt in einem anderen Medium umsetzen. In Cottbus geschieht dies zugleich mit einer sehr weit nach unten gesetzten Altersempfehlung ab sechs Jahren.
Initiator dieses Versuches ist Regisseur Jörg Steinberg. Für das Staatstheater schrieb er eine eigene, wie das Infomaterial zum Stück mitteilt, eine sanft modernisierte Fassung, die die philosophische Tiefe des Stoffes bewahren möchte. Ist das für Sechsjährige realistisch?
Natürlich ist es ein großer Fehler, Kinder zu unterschätzen. Sie zu überfordern aber auch. Im günstigsten Fall kommen dann einfach einige Ebenen und Feinheiten bei den ganz Kleinen nicht an. Um ungünstigen gehen sie ansatzweise traumatisiert aus dem Theater.
“Wow! Alter – ist das gruselig!”, spricht ein etwa Elfjähriger nach der Pause vor sich hin, der inzwischen auf seinem Stuhl hockt, die eigenen Beine umklammert. Gerade so, als würden die Grauen Herren gleich nach ihm greifen können.
Hier gelingt also einerseits ein tiefer Theatereindruck, scheitert zugleich die Adaption des Stoffes für noch jüngere Kinder. Und von denen ist das Theater voll an diesem Vormittag. Fast alle sind aus den ersten Klassenstufen und inwischen sehr unruhig und aufgewühlt. Die einen kuscheln sich aneinander, die anderen rufen dazwischen, wollen Momo helfen. Viele reagieren nur noch auf Effekte des Spiels, auf die Bedrohung, die sie unmittelbar mitfühlen. Einen Handlungshintergrund haben sie längst verloren oder nie verstanden.
An den Darstellern liegt das nicht, die sind einfach nur großartig.
Ariadne Pabst ist eine MOMO, die man einfach sofort liebhaben muss und die dieses Mädchen, mit der Gabe des besonders heilsamen Zuhörens, so wunderbar wahrhaft und nah macht.
Ihr zur Seite steht ein Ensemble, voller Spiellust und Können. Jeder ist neben seiner Rolle in Momos Stadt auch Grauer Herr und Zeitdieb oder Susann Tiede neben der Wirtin Liliana auch der geheimnisvolle Meister Hora. Die Gestaltung dieser Figuren, ob Straßenkehrer Beppo, Maurer Nicola, Gastwirt Nino – Fusi der Frisör, und Gigi der Fremdenführer ist detailreich, ganz und gar verständlich und sehr liebevoll. Besondere Darstellungen gelingen mit Schildkröte Kassiopeia und – mit einem kurzen und für jedes Alter klaren Auftritt – mit Puppe Bibigirl.
Sie alle agieren auf einer wunderbunt-wandelbaren sich drehenden Bühnenwelt in phantasievollen Kostümen – oder den tristgrauen Anzügen der Mitarbeiter der “Zeitsparkasse”.
Ja, so kann es also gehen, das eingangs Gesagte – wenn man etwas älter ist, als Sechs.
Auch die Kleinen sind im Bann des Geschehens, keine Frage. Reagieren jedoch weitaus übermütiger, wenn die Schildkröte die Tischdeko isst, als dass sie dem zugleich laufendem Dialog zu folgen vermögen oder der doch recht verzwickt werdenden und sich ab und zu auch etwas ziehenden Handlung.
Es gelingt eine insgesamt äußerst sehenswerte Michael Ende Adaption, die seinem Anspruch durchaus gerecht wird. Lediglich die Altersempfehlung sollte um vier Jahre angehoben werden.
Jens Pittasch
MOMO
Schauspiel-Märchen nach dem Roman von Michael Ende für alle ab 6 in einer Fassung von Jörg Steinberg
Premiere 26. November 2017, Staatstheater Cottbus
(gesehen am 8. November)
Realisierung
Regie | Jörg Steinberg |
Bühne | Tilo Steffens |
Kostüme | Stephanie Dorn |
Musikalische Einstudierung | Hans Petith |
Dramaturgie | Sophia Lungwitz |
Regieassistenz | Maria Bock |
Momo | Ariadne Pabst |
Fremdenführer Gigi/Grauer Herr | Maxim Agné |
Straßenkehrer Beppo/Grauer Herr | Rolf-Jürgen Gebert |
Kassiopeia (Schildkröte)/ Grauer Herr/Polizist | David Kramer |
Puppe Bibigirl/Agentin/u.a. | Maja Lehrer |
Nicola (Maurer)/Grauer Herr | Michael von Bennigsen |
Nino (Gastwirt)/Grauer Herr | Kai Börner |
Liliana (Ninos Frau/ Meister Hora | Susann Thiede |
Fusi (Friseur)/Grauer Herr | Henning Strübbe |
Eltern/Passanten Ensemble | |
Graue Herren/Kinder Statisterie |