Vom Palmsonntag, dem 9. April bis zum Ostermontag, dem 17. April führte das Menschenrechtszentrum Cottbus einen Friedens- und Versöhnungsmarsch im irakischen Kurdistan durch. Der Marsch begann in Ainkawa, dem christlichen Stadtteil der Hauptstadt Erbil und endete im Kloster Rabban Hormizd aus dem 7. Jahrhundert in den Bergen hinter der christlichen Stadt Alqosh. Ziel des Marsches war, den Dialog zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen im irakischen Kurdistan zu befördern. Der Krieg im Nahen Osten hat nicht nur Städte und vielerorts das Jahrtausende alte kulturelle Erbe der Menschheit vernichtet. Massive Menschenrechtsverletzungen, Minderheitenverfolgung und Genozid haben auch das Vertrauen zwischen den Menschen zerstört. Die ethnischen und religiösen Minderheiten des Irak, besonders die Christen und Jesiden, haben auf Grund der an ihnen begangenen Verbrechen durch den IS sowie der vielfachen schlechten Erfahrungen mit der muslimischen Mehrheitsgesellschaft das Vertrauen zu Muslimen verloren. Immer mehr Christen und Jesiden flüchten ins Ausland, weil sie endlich in Sicherheit, ohne Verlust und Schmerz, leben möchten. Es kann jedoch nicht das Ziel sein, dass der Irak und Kurdistan christen- und jesidenfrei werden. Die Menschen müssen wieder Vertrauen zueinander finden und den Weg des Zusammenlebens suchen, damit eines Tages wieder Frieden in der Region herrscht.
Die Gruppe der 30 Aktivisten bestand aus Deutschen, zwei Polen, einem Italiener, einer britischen Pfarrerin aus der Kathedrale von Coventry, wie auch Muslimen, Jesiden und Christen aus dem Irak und Kurdistan. Auf ihrem Weg der ca. 112 km von Ainkawa nach Alqosh trafen die Aktivisten die örtliche Bevölkerung, sprachen mit ihnen über das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen, unternahmen Aktivitäten mit Schulkindern und zeigten mit ihrer Präsenz ihre Solidarität mit den Kurden und den Flüchtlingen. Unter ihren Gesprächspartnern waren Muslime, Christen und Jesiden, einfache Menschen in ihren Gärten, junge Leute in den Feldern, Frauen und Männer, Mullahs, muslimische und jesidische Scheichs, Lehrer, Politiker und viele Flüchtlinge. Ein besonderes Erlebnis war der Gottesdienst mit dem chaldäischen Patriarchen Louis Raffael Sako am Gründonnerstag in der Kirche des Dorfes Mallabarwan. Dort leben friedlich miteinander gemischt Muslime und christliche Flüchtlinge aus Mossul von 2006 und 2007. Der Patriarch, der extra zur Gruppe in diesem symbolischen Dorf gestoßen ist, wurde vom Vertreter der Vereinten Nationen aus Bagdad, György Busztin, begleitet. Gemäß der chaldäischen Tradition wusch er die Füße von 12 Gottesdienstbesuchern. Unter ihnen befanden sich ein Jeside und ein Muslim. Obwohl die Gruppe während des neun Tage dauernden Marsches zu Fuß gelaufen ist, fuhr sie absichtlich mit dem Auto zu den zerstörten und erst vor kurzem befreiten christlichen Orten Batnaya und Bashiqa. Dort hielten sie unter der Leitung von Dr. Sarah Hills von der Kathedrale von Coventry eigene Andachten. Besonders bewegend und symbolisch war die Tatsache, dass die sie begleitende Polizisten, selbst Muslime, ihnen halfen die Kerzen in den dunklen Kirchen anzuzünden und an der Andacht teilnahmen. An besonderen Orten pflanzten sie als Zeichen des Friedens Olivenbäume ein, wie z. B. in einem der ältesten Klöster der Welt Mar Matti, nur 40 km von Mossul entfernt, an der Kirche von Batnaya, am Grab eines Derwisch Scheichs, vor der Moschee von Darebeni Herki, in Bashiqa am Monument des einzigen jesidischen Paschas von Mossul aus dem Jahr 1665, das vom IS zerstört worden war, aber auch in Shekhan, am Denkmal des Partisanenführers Mahmud Yazidi, der von Saddam Hussein 1979 ermordet worden war.
Das Logo des Marsches hatte im Oktober 2015 der 15-jährige jesidische Junge Azad aus dem Schingalgebirge gemalt, der als Flüchtling im Lager Dawodye lebt. Seine Zeichnung, die ein Herz mit einer Synagoge, einem jesidischen Tempel, einer Moschee und einer Kirche, umschlossen von einer Friedenstaube und Olivenzweigen zeigt, drückte genau den Sinn des Marsches aus. Azad und sein ihn begleitender Onkel, haben auf der Flucht aus dem Schingalgebirge viel Leid erlitten. Sie marschierten die ganzen neun Tage mit und trugen beide stolz die T-Shirts und das Banner mit dem Logo.
Das Menschenrechtszentrum Cottbus ist ein Verein von ehemaligen politischen Häftlingen der DDR. Drei dieser ehemaligen Häftlinge nahmen am Marsch teil. Während des gesamten Marsches trafen sie zahlreiche Opfer der Diktatur von Saddam Hussein und tauschten ihre Erfahrungen und Gefühle aus. In den Biografien aller Menschen dieser Region, ob muslimischen Kurden, Jesiden oder Christen steckt eine Verfolgungsgeschichte und eine Tragödie. „Politische Verfolgung verbindet über Grenzen hinweg die Opfer aller Diktaturen“, erklärte betroffen Matthias Katze, der 1979 in Cottbus inhaftiert gewesen ist. Bei diesen Gesprächen entstanden neue Ideen für eine Kooperation und einen Austausch zwischen Opfern der SED-Diktatur und der Diktatur von Saddam Hussein.
Die Tatsache, dass der Friedens- und Versöhnungsmarsch in einem Land stattfinden konnte, das sich im Kriegszustand befindet, ist bemerkenswert und einzigartig. Für die europäischen Mitglieder der Gruppe war darüber hinaus eine besondere Erkenntnis, dass das irakische Kurdistan ein sehr gastfreundliches Land ist, in dem ethnische und religiöse Gruppen auf einem guten Fundament für ein friedliches Zusammenleben aufbauen. Sie müssen lediglich diese Chance auf allen sozialen Ebenen nutzen – für sich selbst und als Beispiel für die gesamte muslimische Region im Nahen Osten. „Der Irak und Kurdistan sind wie ein Garten – sie sind schöner, wenn mehrere Blumen darin blühen“, sagt zum Abschluss der Reise die geschäftsführende Vorsitzende des Menschenrechtszentrums Cottbus, Sylvia Wähling.
pm/red