Nach einer eingehenden Betrachtung des Themas Religion im >Fokus< des FilmFestival Cottbus im Jahr 2012 wird ein Teilaspekt der religiösen Identität Osteuropas bei der 25. Festivalausgabe erneut aufgegriffen: der Islam. Fünf Filmprogramme werden in der Festivalwoche Einblicke in das muslimische Osteuropa geben – ohne sich dabei eingeschliffener Stereotype über die Weltreligion zu bedienen.
In der aktuellen Auseinandersetzung oft in erster Linie mit Extremen und Fundamentalismus assoziiert, möchte das “Special: Islam” gezielt den Blick in eine andere Richtung führen: “Wir möchten schlaglichtartig aufzeigen, wie ein muslimisch geprägter Alltag in Osteuropa aussieht – weit entfernt von den gängigen Klischees. Es soll um unvermutete Phänomene und Erscheinungen gehen, die in unseren starren Denkschablonen oft nicht existieren, aber auch um historischen Wandel und die Verwurzelung des Islam in einigen osteuropäischen Regionen”, beschreibt Programmdirektor Bernd Buder die Filmreihe.
So zeigen zwei Filme Frauen jenseits patriarchaler Unterwerfung: Die Dokumentation DIE STARKE (Kacper Czubak, Iwona Kaliszewska | Polen, Russland 2013) begleitet eine gläubige Judo-Lehrerin in Dagestan durch ihren Alltag, die sich typisch weiblichen Rollenzuschreibun-gen nicht fügen mag. Die Work-in-progress-Präsentation des Projekts UNDER THE COVER (Nejra Latic Hulusic, Sabrina Begovic | Bosnien und Herzegowina 2015) räumt auf mit der Überzeugung, dass das Kopftuch ein Symbol für Subordination ist, sondern gerne auch ein Stück Freiheit in einer sexuell aufgeladenen Gesellschaft bedeuten kann.
Historisch verwurzelt und bis in die Gegenwart bewahrt hat sich die Stellung des Islam als größte Glaubensgemeinschaft in Teilen des Balkans, im Kaukasus und in Zentralasien:Unter anderem in Aserbaidschan, dessen muslimisch geprägter Alltag von einem Regiekollektiv in BAKU VOM MORGENGRAUEN BIS ZUR ABENDDÄMMERUNG (Regiekollektiv | Aserbaidschan, Polen 2014) eingefangen wird; in Kirgisistan, dem Spielort von ERKINS RÜCKKEHR (Maria Guskova | Russland 2015), wo ein ehemaliger Sträfling versucht, in sein altes Leben zurückzu-kehren; und nicht zuletzt in Tschetschenien, wo die mystisch ausgerichtete Bewegung des Sufismus und seine Rituale viele Anhänger haben. DIE TSCHETSCHENISCHE FAMILIE (Martín Solá | Argentinien 2015) rückt dies atmosphärisch ins Licht und liefert gleichzeitig ein Beispiel dafür, wie religiöse Praxis zum Zufluchtsort wird, um die kriegerische Gegenwart zu betrauern und zu bewältigen. Gleichzeitig wirft das Tschetschenien-Thema ein Licht auf die schicksalhafte jüngere Geschichte des Islam und das komplexe Wechselverhältnis zwischen Christen und Muslimen in Osteuropa.
So galt die Zurückdrängung jeglichen Glaubens in der Sowjetunion des frühen 20. Jahrhunderts als Emanzipation, wie der sowjetische Stummfilm DIE TOCHTER DES HEILIGEN (Oleg Freilikh | 1931) deutlich werden lässt. Einen Wendepunkt im christlich-islamischen Verhältnis – der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 – spricht THE MAGIC MOUNTAIN (Anca Damian | Rumänien, Frankreich, Polen 2015) an, der das Engagement eines polnischen Dissidenten beleuchtet, der sich aus politischen Gründen dem Widerstandskampf der muslimischen Mudschaheddin gegen die Besatzer anschließt. Eine kluge, vielschichtige Analyse ideo-logischer Reflexe im Europa der 1970er und 80er-Jahre.
Ein weiteres Schlüsselereignis im Verhältnis zwischen den beiden großen Glaubensgemeinschaften thematisiert der Kurzfilm EIN HAUCH LEBEN IN SREBRENICA (Ado Hasanovic | Italien 2015) – der kurze Spot über einen Bosnien-Heimkehrer, der den Genozid an seiner Familie betrauert, zeigt, wie religiös etikettierte Morde die Koexistenz von Christentum und Islam in Osteuropa im 20. Jahrhundert ein weiteres Mal nachhaltig beeinträchtigten.
Das Festival wird maßgeblich vom Land Brandenburg, dem Medienboard Berlin- Brandenburg, der Stadt Cottbus sowie dem MEDIA – Creative Europe Programm der Europäischen Union gefördert.