Die Cottbuser Schlosskirche in der Spremberger Straße ist seit dem frühen Mittwochvormittag kein evangelisches Gotteshaus mehr. Ihr letzter Akt ist beendet. Mit dem Abbau des vergoldeten Turmkreuzes, der Messingkugel und weiterer christlicher Symbole im Inneren des Gebäudes ging damit eine genau 300 Jahre währende Zeitspanne zu Ende.
Die Schlosskirche war 1714 von Hugenotten – aus Frankreich geflohene reformierte Christen – als deren neue Gemeindeheimat erschaffen worden. Die Kirchenglocke wurde bereits am vergangenen Freitag ausgebaut und nach Frankfurt/Oder transportiert.
Von erstaunlich wenigen Passanten beobachtet, entfernten Handwerker einer Bauklempnerei aus Groß Kölzig in weniger als einer Stunde Kreuz und Kugel von der Kirchturmspitze. Dokumentiert wurde das gesamte Ereignis von zahlreichen Journalisten, Fotoreportern und auch einem Kamerateam des ZDF.
Entgegen der ursprünglichen Absicht öffnete man die Kugel nach der schnellen Demontage fachmännisch sofort an Ort und Stelle. Neben einigen handschriftlichen Zetteln, die Handwerker beigelegt hatten, enthielt die Kugel auch eine Bleischatulle mit hochinteressantem Inhalt. So eine Ausgabe des „Cottbuser Anzeiger“ vom 15. April 1903. Der Hauptartikel auf Seite 1 trägt beginnend in der linken Außenspalte (nach Art der Londoner „Times“) die Überschrift „Das rothe Buch der Sozialdemokratie“. Der Autor polemisiert darin ausführlich gegen ein „Handbuch für sozialdemokratische Wähler“, in dem die Abschaffung und Bedeutungsschrumpfung der Ehe durch Erwerbsarbeit der Frauen angekündigt werde. Nebenbei erfährt man aus dem Zeitungskopf u. a. noch, dass diese Zeitung 1903 im 56. Jahrgang erschien und über den Fernsprecher Nr. 10 erreichbar war.
Außerdem enthielt die Schatulle auch ein mit Schreibmaschine verfasstes Schriftstück aus dem Jahr 1930. Es informiert detailliert darüber, dass die Schlosskirche im September jenes Jahres einer Instandsetzung unterzogen wurde. Auf Antrag des Gemeindekirchenrates und ihres Vorsitzenden Pastor Frielinghaus befreite man damals den Turm von seiner Schieferabdeckung und deckte ihn mit Kupfer ein, lötete die Turmkugel und vergoldete sie neu. Letztlich bekam das Bauwerk einen Anstrich mit Förderstädter Kalk. Beteiligt daran waren die Cottbuser Firmen Richard Kittel, A. Patzelt und Malermeister Quitzke – alles unter der Leitung des Preußischen Hochbauamtes Cottbus mit Regierungsbaurat Seering, Regierungsbauobersekretär Hirschberg und Regierungsbauführer Hensch.
In einem Gespräch mit „Niederlausitz aktuell“ sagte Pfarrer Christoph Polster, der die gesamte Entwidmung der Schlosskirche miterlebte, zu seinen Empfindungen in diesen Stunden: „Da ist zunächst natürlich das Gefühl des Abschieds – auch von einem Ort, aus dem Ende der achtziger Jahre die Umweltgruppe Cottbus hervorging und einmal pro Monat zu öffentlichen Veranstaltungen einlud. Ab Mai 1989 fanden dann hier Zusammenkünfte wegen der Wahlfälschung bei den Kommunalwahlen und Veranstaltungen zur Auseinandersetzung mit dem DDR-Staat statt. Aber neben der Wehmut stellt sich bei mir auch ein Gefühl der Freude für die Jüdische Gemeinde Cottbus ein, die mit ihren jetzt über 400 Mitgliedern seit 1938 endlich wieder einen eigenen Sakralbau in dieser Stadt haben wird.“
Text und Fotos: Rudolf Neuland